# taz.de -- Ringer Frank Stäbler über Olympia 2021: „Ich bin All-in gegange… | |
> Ringen-Weltmeister Frank Stäbler über triste olympische Erfahrungen und | |
> wie er den verschobenen Spielen von Tokio das Beste abgewinnen will. | |
Bild: Letzter Triumph: Stäbler gewinnt im Februar das EM-Finale in Rom | |
taz: Herr Stäbler, eigentlich war für den 5. August 2020 das olympische | |
Ringerturnier in der Klasse bis 67 Kilo mit Ihnen geplant. Die Spiele sind | |
verschoben, was machen Sie an diesem Tag? | |
Frank Stäbler: Ich habe nichts Besonderes vor, denn an diesem Tag hat mein | |
Bruder Geburtstag. | |
Keine Spur von Wehmut? | |
In der Tat war auf diesen 5. August mein ganzes Leben ausgerichtet. Ich | |
hatte die Vision vom Olympiasieg. Durch [1][die Verschiebung der | |
Olympischen Spiele durch Corona] ist alles für mich als Sportler in eine | |
extrem weite Zukunft gerückt. Und da ich mit meiner momentanen Form so weit | |
weg bin von der Form, die ich bei den Olympischen Spielen hätte haben | |
müssen, ist der Gedanke beängstigend: Was wäre gewesen, wenn jetzt | |
Olympische Spiele wären? | |
Warum haben Sie spontan gesagt, noch ein Jahr dranzuhängen? | |
Ich habe mit Olympia noch eine große Rechnung offen. Olympisches Gold ist | |
das letzte Mosaiksteinchen, das mir noch fehlt. In London bin ich im | |
kleinen Finale umstritten an einer Medaille gescheitert, in Rio habe ich | |
mir im Abschlusstraining das Syndesmoseband gerissen und bin trotzdem | |
Siebter geworden. Jetzt ist es einfach an der Zeit. Ich habe das Gefühl, | |
dass ich mich mein ganzes Leben auf dieses Turnier vorbereitet habe. Ich | |
habe hart trainiert, bin dreimal Weltmeister geworden, zweimal | |
Europameister, aber über Olympia steht für mich bislang ein unglücklicher | |
Stern. Ich bin All-in gegangen, das wird mein letzter internationaler | |
Wettkampf werden, ganz egal was passiert. | |
Hätten Sie weitergemacht, wenn Sie sich noch einmal hätten qualifizieren | |
müssen? | |
Dann wäre meine Karriere beendet gewesen. Um die Quali überhaupt zu | |
schaffen, musste ich unheimlich viel Energie aufbringen. Normalerweise | |
wiege ich 76 Kilo, weil die Gewichtsklasse bis 72 Kilo gestrichen wurde, | |
muss ich in der Klasse drunter an den Start gehen und deswegen 9 Kilogramm | |
abnehmen. Dies noch einmal machen zu müssen, wäre nicht möglich gewesen. | |
Mein Körper hat fast ein halbes Jahr gebraucht, um sich von dieser Tortur | |
zu regenerieren. Und dann kurz vor Olympia noch einmal das Gewicht zu | |
bringen und bei Olympia noch mal – das wäre nicht möglich gewesen. Einmal | |
werde ich das noch hinbekommen. | |
Trotz großem Traum – wie realistisch schätzen Sie Ihre Chancen in einem | |
Jahr ein? | |
Ich bin durch und durch Optimist. Durch dieses eine Jahr, das ich älter | |
werde, wird dies alles andere als einfach. Meine Chancen, eine olympische | |
Medaille zu gewinnen, haben sich extrem verschlechtert. Dieses Jahr hätte | |
alles gepasst. Ich bin im Frühjahr noch mal Europameister geworden, hatte | |
somit schon einmal Gold gewonnen. Ich hatte eine brutale Euphorie. Auf | |
dieser Welle wollte ich weiter surfen. | |
Konnte sich wenigstens Ihr Körper in der Zeit, in der Sie nicht trainieren | |
konnten, erholen? | |
Ganz im Gegenteil. Ohne den Druck durch Olympia sind Verletzungen an der | |
Schulter und dem Sprunggelenk aufgebrochen. | |
Was bedeutet die Verschiebung der Spiele für Sie persönlich? | |
Wirtschaftlich gesehen ist es eine Herausforderung. Einer meiner | |
Hauptsponsoren wurden durch Corona stark getroffen, kann deshalb die | |
Partnerschaft nicht mehr verlängern. Zudem wird es höchstwahrscheinlich | |
keine Bundesligasaison geben. Neben den Sponsoren und der Bundeswehr eine | |
wichtige Einnahmequelle. Es fehlen aber auch die Kämpfe. Aber die Folgen | |
der Coronapandemie treffen Millionen andere Menschen auch. Ich nehm's an, | |
mache weiter und hole es mir 2021 doppelt zurück. | |
Gibt es etwas, was Sie durch die Verschiebung verpassen werden? | |
Das ganze Leben danach verschiebt sich um ein Jahr. Der Berufseinstieg als | |
Motivationscoach zum Beispiel. Ich habe mit der Kultusministerin von | |
Baden-Württemberg, Susanne Eisenmann, eine Kampagne ins Leben gerufen. Ich | |
werde gezielt in Brennpunktschulen gehen und Motivationsvorträge halten. | |
Das läuft zwar, aber es wäre viel intensiver losgegangen. Andererseits kann | |
ich jetzt den Bau unseres Hauses intensiv begleiten. | |
Sie waren vor wenigen Wochen beim Klettern. Ist das eine neue Leidenschaft? | |
Gemeinsam mit meinem Trainer Andreas Stäbler habe ich überlegt, was wir | |
verändern und verbessern können. Schnell kamen wir überein, dass jetzt die | |
Zeit für etwas Neues sei. Ein Kontrastprogramm, andere Dinge | |
auszuprobieren, weg von der Ringermatte zu gehen. Also sind wir zum | |
Grundlagentraining in die Berge gegangen, haben das mit wandern und | |
klettern verbunden. Dabei habe ich auch einen extrem schweren Klettersteig | |
absolviert. Eigentlich komme ich in der Höhe nicht so klar. Diese neuen | |
Herausforderungen, den Umgang mit dem Druck und der Angst zu meistern, | |
waren [2][ganz neue Erfahrungen.] | |
Sie müssen noch einmal extrem abnehmen. Wie anstrengend ist das? | |
Man muss sich mental darauf einstellen, welche Entbehrungen und Schmerzen | |
auf einen zukommen. Über drei, dreieinhalb Monate Gewicht zu machen ist ein | |
extremer Kampf. Es ist mein Weg durch die Hölle. Mein Opa hat gesagt: Wer | |
den Himmel erreichen will, muss zuvor durch die Hölle spazieren. Unter | |
diesem Motto wird vor meinem Gang auf den Olymp eine schöne Talwanderung | |
stattfinden. | |
5 Aug 2020 | |
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## AUTOREN | |
Klaus-Eckhard Jost | |
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