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# taz.de -- Masken in Zeiten von Corona: Diesmal ein Zeichen der Fürsorge
> Sie gibt Schutz, dient dem Verbergen, ist Kunstwerk, Drohung, Bestrafung
> und maskiert das Defekte. Warum das Tragen einer Maske hochsymbolisch
> ist.
Bild: Teil einer Verkleidung: Trump und Militärs mit Maske am 11. Juli in eine…
Als Präsident Trump scherzend darauf verwies, er fühle sich mit einer Mund-
und Nasenmaske zum Schutz gegen die Übertragung des Corona-Virus „wie der
Lone Ranger“, da war dem Popkultur-Nerd klar: Davon versteht er also auch
nichts. Denn bekanntlich – ähem!- trägt der Lone Ranger eine Augenmaske,
die genau das offen lässt, was eine [1][Corona-Maske] bedeckt. Einer der
Helden, die mit ihrer Maske gelegentlich auch die untere Gesichtshälfte
verbergen, ist Zorro, der aber wohl wegen seiner hispanischen Kultur für
einen Trump-Scherz nicht in Frage kommt.
Masken also. Stets scheinen sie neben einer praktischen auch eine
symbolische Bedeutung zu haben, und das macht sie ein wenig unheimlich. Sie
verbergen Identitäten; sie stehen in mysteriöser Verbindung mit Tod, Verrat
und Revolte. Sie sind Teil einer „Verkleidung“, überschreiten den Bereich,
den wir „Wirklichkeit“ nennen. Darum ist das Tragen von Masken auch
strengen Regelungen unterworfen. Und genau deshalb sind Masken auch ein
großes Faszinosum.
1. Dient die Maske dem Schutz, wie Zahnärzte, Punktschweißer,
Chemielaboranten, Viehtreiber und Motorradrennfahrerinnen erzählen können.
Zunächst geht es um den eigenen Schutz. Aber schon die OP-Maske des
Chirurgen bedeutet auch eine Umkehr der Schutzfunktion. Es ist ein
zivilisatorischer Fortschritt, dass wir Masken auch überziehen können, um
unsere Mitmenschen vor uns zu schützen. Es soll, fern im Osten,
Gesellschaften geben, in denen solches Verhalten auch bei weniger
desaströsen Erkrankungen Teil des normalen Verhaltenscodes ist. Umgekehrt
gibt es in den Gesellschaften des Westens nicht wenige, denen eine solche
Rücksichtnahme als „Eingriff in die persönliche Freiheit“ gilt. Aber
vielleicht hat die Aversion gegen die Maske tiefere Ursachen?
2. Dient die Maske dem Verbergen. Nicht nur einsame Rächer tragen sie,
sondern auch Banditen, Raubmörder, Mitglieder verbotener Organisationen,
Geheimgesellschaften, oder Orgienteilnehmer.
3. Ist die Maske ein theatralischer Ausdruck. Was in Alltag, Arbeit und
Politik verborgen bleiben muss, die Wünsche und Hoffnungen, Ängste und
Projektionen, finden in der Maske einen Ausdruck; Schicksal, Struktur und
„Persona“ finden eine neue Sprache. Die Maske sagt, dass der Mensch nicht
genau das ist, was er ist. Es ist schließlich
4. Die Maske eine Form der Transzendenz. In der Maske tritt man in Unter-
und Überwelt ein, tanzt mit den Dämonen, lässt Jenseitiges in sich ein. An-
und Ablegen der Maske ist ein ritueller Übergang.
5. Aber kann die Maske auch als eine Form der Bestrafung, der
entwürdigenden öffentlichen Darstellung dienen. So mag der Mensch gänzlich
in ihr gefangen sein, wie der „Mann in der eisernen Maske“ oder die armen
Frauen in den Hexenmasken. Dem Spott preisgegeben wie der dumme Schüler mit
der Eselsmaske. Die Maske ist ein wichtiges Instrument der Karikatur und
der Satire. Im Maskenspiel sollen die politischen Verhältnisse und ihre
Protagonisten zur Kenntlichkeit verzerrt werden.
6. Die Maske ist ein Kunstwerk. Oder wenigstens kann sie Teil der Mode
werden. Darin versucht sie listenreich ihre eigene Bestimmung zu
unterwandern, und statt zu verbergen, drückt sie das Verborgene nur noch
stärker aus. Viele Menschen versuchen aus einer „Corona-Maske“, die als
notwendig akzeptiert wird, ein „Acessoire“ zu machen, mit dem man sich
darstellen und unterscheiden kann.
7. Eine Maske ist eine Drohung, nicht nur im sportlichen und militärischen
Bereich. Als Signal löst sie Alarm und Furcht aus. Die Masken-Behelmung
macht aus Klonkriegern oder Einsatzpolizisten lebende Waffen.
8. Allgemein erscheint „Maskenhaftigkeit“ als etwas Verstörendes. Menschen,
die ihr Gesicht zu einer Verweigerung der Gefühle oder zu einer Verleugnung
des sozialen Status disziplinieren, im Pokerface oder in der Grinse-Maske
des Medien-Politikers.
9. Maskiert muss schließlich das Defekte und Fehlende werden, die Fassade
wird zur Potemkinschen Maske, und auch ein menschlicher Körper kann durch
Teil-Maskierungen prophetisch verwandelt werden. Kosmetische Chirurgie
lässt am Ende auch menschliches Fleisch als Maske zu; in den Visionen des
„Posthumanismus“ verschwinden die Grenzen zwischen Mensch und Maske. Der
Mensch der Zukunft wird lernen müssen, sich in seinen Masken zuhause zu
fühlen.
10. Ist die Maske auch ein Bekenntnis, nicht nur zum Micky Maus-Club oder
zur Fast Food-Kette. Durch Masken kann man sich distanzieren oder
solidarisieren. Sie wird politisiert.
Und damit sind wir wieder in der Gegenwart der Pandemie. Verlangt wird die
Maske nicht nur als praktischer Schutz, sondern auch als Zeichen einer
mitmenschlichen Fürsorge. Eine Gesellschaft, die auf kritische Vernunft und
humanistische Liberalität bezogen sein will, würde dies „anstandslos“
akzeptieren, doch dieser Bezug ist längst nicht mehr selbstverständlich.
Einerseits entwickelte sich eine Form der „phobischen Reaktion“ gegen das
Maskentragen – was wohl mit den erwähnten Mehrdeutigkeiten der Maske zu tun
hat.
Andererseits wird die Maske von den üblichen Verdächtigen der Post- und
Antidemokratie politisiert. Wer [2][Maske trägt], ist ein demokratisches
Weichei, wer sie tragen muss, soll auf jeden Fall darauf hinweisen, dass
diese keineswegs Teil seiner Überzeugungen oder politischen Persönlichkeit
ist. Der Maskenverzicht wird zum heroisch-maskulinen Widerstand stilisiert.
Die soziale Zärtlichkeit, die sich [3][im Maskentragen] ausdrückt, ist dem
rechten Maskenphobiker schon zuviel. Was dem liberalen Humanisten eine
kleine Hoffnung ist, ist ihm ein Gräuel: Dass er durch die Maske ein klein
wenig zu einem anderen Menschen werden könnte.
15 Jul 2020
## LINKS
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## AUTOREN
Georg Seeßlen
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