Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- 50. Jahrestag des Falls Road Curfew: Der Marsch der Frauen
> 1970 verkündete das britische Militär eine Ausgangssperre in einem Teil
> von Belfast. Für viele war das Auslöser, sich offen politisch zu
> engagieren.
Bild: Protest gegen die Ausgangssperre in der Gegend um die Falls Road
Berlin taz | „Mein Vater regte sich fürchterlich darüber auf, dass die
britische Armee aus dem Hubschrauber heraus eine nicht genehmigte
Ausgangssperre verkündete.“ 50 Jahre sind die Geschehnisse her, die als
Falls Road Curfew in die Geschichte des Nordirlandkonflikts eingehen
sollten. Die Belfaster Drehbuchautorin Anne Devlin erinnert sich noch
genau. „Das war illegal“, sagt sie. „Mein Vater durfte erst am nächsten …
in das Gebiet, obwohl er der Wahlkreisabgeordnete war, und wurde trotz
Immunität verhaftet!“ Patrick Joseph „Paddy“ Devlin saß für die Northe…
Irish Labour Party im nordirischen Parlament.
Die Militäroperation in einem Wohngebiet, das als Hochburg der katholischen
Untergrundarmee Official IRA (Irish Republican Army) in Belfast galt,
radikalisierte 1970 den Nordirlandkonflikt und ist ein wesentlicher
Bezugspunkt irisch-feministischer Geschichtsschreibung geworden – denn es
waren katholische Frauen, die massenhaft gegen die Maßnahmen der britischen
Armee protestierten.
Eine Woche zuvor waren bei Ausschreitungen in Belfast überwiegend
Protestanten getötet und verletzt worden. Die Folge: Am 3. Juli kam es nun
zu Hausdurchsuchungen, um IRA-Waffenlager zu finden. Als sich daraus Gewalt
entwickelte, verhängte die Armee noch am Abend die Ausgangssperre und
setzte sie mit massiver Gewalt durch, es folgten Schusswechsel zwischen
IRA-Kämpfern und Soldaten. Insgesamt tötete die britische Armee vier
Zivilisten und verwundete etliche, achtzehn Soldaten wurden verletzt.
Zuvor hatte es innerhalb der katholischen Minderheit noch Stimmen gegeben,
die in den britischen Soldaten eine neutralere Instanz als die
mehrheitlich protestantische nordirische Polizei sahen und hofften, dass
jene sie vor loyalistischen Angriffen schützen würde. Nun war das vorbei.
„War das Vertrauen in den Staat bereits seit Sommer 1969 weitgehend
verloren, wurde das Vertrauen in die britische Armee als unparteiisches
Instrument der Westminster-Regierung nun in wenigen Stunden ebenfalls
verspielt“, resümiert Anne Devlin.
## Eindringen ins Privatleben
Viele Katholik:innen deuteten die Ereignisse als Vorgeschmack auf die
mögliche Nordirlandpolitik des neuen konservativen britischen Premiers
Edward Heath. Tatsächlich war es, wie erst neuerdings bekannt ist, der
protestantische nordirische Premierminister James Chichester-Clark gewesen,
der den verstärkten Einsatz der Armee gegen „Schläger und Bewaffnete“
gefordert hatte.
In der Erinnerung der Bewohner:innen der Gegend war das brutale Durchsuchen
von mehr als 1.000 Haushalten in kurzer Zeit durch bewaffnete Soldaten ein
systematisches, gewaltsames Eindringen in das von Frauen organisierte
Privatleben. Diese Wahrnehmung drückt sich auch darin aus, dass die
Ereignisse auch als „Vergewaltigung der Falls“ bezeichnet werden. Das war
für viele Frauen der Auslöser, sich erstmals öffentlich politisch zu
engagieren: „Es waren gewöhnliche Frauen aus dem Viertel, die meinen Vater
riefen, um die Zerstörung zu dokumentieren, und es waren diese Frauen, die
gegen seine Verhaftung protestierten“, sagt Devlin.
In der Ausgangssperre durften knapp 10.000 Menschen ihre Häuser unter
Androhung von Verhaftung nur für zwei Stunden verlassen, um einzukaufen.
Ein Marsch von rund 3.000 Frauen und Kindern markierte das Ende der
Ausgangssperre. Es ist umstritten, ob die Soldaten das zuließen, weil sie
wortwörtlich überrannt wurden, weil die Sperre bereits aufgehoben war oder
ein Niederschlagen als zu gewaltvoll erschien.
Fest steht: Der Falls Road Curfew ist ein frühes Beispiel für kollektive
militante Proteste von nordirischen Frauen – und für die Katholik:innen
eine schmerzliche Erinnerung. Wer die Falls Road entlanggeht, gelangt an
ein Wandbild der marschierenden Frauen, das zum 40. Jahrestag angebracht
wurde. Das Gedenken zum 50. Jahrestag findet online statt –
Corona-Ausgangsbeschränkungen.
3 Jul 2020
## AUTOREN
Juliane Röleke
## TAGS
Nordirland
Belfast
Konflikt
Frauenmarsch
Nordirland
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus
IRA
Nordirland
## ARTIKEL ZUM THEMA
Nordirischer Friedensnobelpreisträger: John Hume ist gestorben
Für sein Wirken im Friedensprozess in Nordirland hat der Politiker Preise
erhalten. In der Krisenprovinz kämpfte er für soziale Gerechtigkeit.
Protestantischer Feiertag in Nordirland: Marschieren trotz Corona
In Nordirland finden traditionell große Oraniermärsche durch jede Stadt und
jedes Dorf statt. Wegen Corona wurden Alternativpläne gemacht.
Corona in Irland: Eine Insel, zwei Strategien
In beiden Teilen Irlands gelten unterschiedliche Corona-Maßnahmen.
Grenzgebiete zu Nordirland sind stärker vom Virus betroffen.
Politisches Erdbeben in Irland: Früher IRA-Flügel, jetzt Wahlsieger
Unser Autor lebt seit über 40 Jahren in Irland. Er hat die Wandlung der
Partei Sinn Féin aus der Nähe erlebt – auch durch seinen Schwiegervater.
Regierungsbildung in Belfast: Zwei Frauen für Nordirland
Drei Jahre lang konnten sich die protestantische DUP und die katholische
Sinn Féin nicht einigen. Seit Samstag gibt es nun wieder eine Regierung.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.