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# taz.de -- Drama um Meeressäuger in Kanada: Ein Buckelwal auf Abwegen
> Über 1.000 Kilometer ist ein tonnenschwerer Meeressäuger vom Atlantik bis
> ins kanadische Montréal geschwommen. Nun ist er gestorben, die Ursache
> ist unklar.
Bild: Dem immer enger werdenden Sankt-Lorenz-Strom folgte der Säuger bis nach …
Vancouver taz | Er war ein Gast, wie sie ihn in Montréal noch nie gesehen
hatten: Tagelang hielt der junge Buckelwal die Bewohner der kanadischen
Millionenmetropole in Atem. Scheinbar vergnügt und spielerisch sprang der
Wal immer wieder aus dem Fluss, tauchte elegant auf und ab, schlug mit
seinen mächtigen Seitenflossen auf die Wasseroberfläche und brachte so
viele Menschen zum Lächeln.
Über tausend Kilometer war der [1][Wal] aus seiner natürlichen Heimat im
Atlantik bis ins Landesinnere Kanadas geschwommen, von der Mündung des
Sankt-Lorenz-Stroms bis zur Jacques-Cartier-Brücke am alten Hafen von
Montréal. Oft hatte er gegen die Strömung des immer enger werdenden Flusses
kämpfen müssen, geräuschlos war er unter Brücken hindurch geglitten, vorbei
an Schleusen und Frachtschiffen, gesäumt von tausenden begeisterten
Schaulustigen am Ufer. Noch nie hatte es ein Buckelwal je so weit bis nach
Montréal geschafft.
Schon bald nach seiner Ankunft löste der Wal neben Freude auch Sorgen bei
seinen Fans aus: Würde er so weit entfernt von seiner natürlichen Heimat
überleben können? Würde er den Schiffen und Tankern ausweichen und dem
[2][Verkehrslärm] und den Abwässern trotzen? Würde er genügend Futter
finden? Am Sonntag noch schien der Wal bei bester Gesundheit, danach wurde
er nicht mehr gesichtet.
Bewohner wie Biologen hatten seitdem um ihn gebangt. Sie hatten gehofft,
dass sich der Wal nach zehn Tagen Aufenthalt schlicht auf seine Heimreise
begeben hatte, vom Süßwasserhafen in Montréal zurück in die salzhaltigen
Gewässer flussabwärts. Doch am Dienstag dann der Schock: Der junge
Buckelwal, der lange vielen Widrigkeiten getrotzt hatte, hat seine Odyssee
in die Großstadt am Ende nicht überlebt.
## Wale überleben im Süßwasser nur wenige Wochen
Am frühen Morgen fand ein Hafenlotse den leblosen Körper des Wals etwa
dreißig Kilometer flussabwärts von Montréal im Wasser treiben. „Wir hatten
alle gehofft, er würde irgendwie seinen Weg zurück ins Meer finden“,
berichtete der Lotse Simon Lebrun, der den Wal Ende Mai auch als erster vor
den Toren der Stadt gesichtet hatte. Wie viele Kanadier sei er jetzt nur
noch traurig.
Laut Meeresbiologen ist es äußerst ungewöhnlich, dass ein Wal so weit vom
Atlantik ins Landesinnere ins Süßwasser schwimmt, wo er in der Regel nur
wenige Wochen überleben kann. In Montréal hatte man in den letzten Jahren
daher nur vereinzelt kleinere Mink- oder Belugawale gesichtet, nie aber
einen so mächtigen Buckelwal.
Laut Experten war der Wal etwa zwei bis drei Jahre alt, zehn Meter lang und
weit über zehn Tonnen schwer. Forscher der Universität von Montréal und
Beamte der kanadischen Fischereibehörde haben seinen toten Körper jetzt aus
dem Fluss geborgen und wollen ihn obduzieren. Fragen, die eine solche
Untersuchung beantworten könnte, gibt es zuhauf: Warum schwomm der Wal
überhaupt nach Montréal? Folgte er Fischschwärmen oder hatte er sich
schlicht verirrt? War er krank?
„Vielleicht war er auf der Suche nach neuen Futtergründen, vielleicht hatte
er auch gesundheitliche Probleme und war desorientiert“, mutmaßte die
Sprecherin des Meeressäugerrettungsnetzwerks der kanadischen Provinz
Québec, Marie-Eve Muller. Denkbar sei auch, dass der Säuger aus
jugendlichem Leichtsinn handelte und schlicht neugierig war.
## Todesursache unklar
Wissenschaftler und Tierschützer rätseln auch, woran der populäre
Meeressäuger am Ende starb: War er verletzt oder hungrig? Kollidierte er
mit einem Schiff? Die Mitarbeiter des Netzwerkes hatten den Wal täglich
beobachtet und keinerlei auffälliges Verhalten beobachtet. Bis auf einen
sichtbaren Hautausschlag hatten sie auch keine Anzeichen für eine
Erkrankung ausgemacht.
Diskutiert wird in Kanada nun die Frage, ob man den Wal rechtzeitig zurück
ins Meer hätte geleiten können, etwa mit Schiffen oder mit Hilfe von
Unterwasserschallwellen. Tierschützer jedoch winken ab: „Am besten ist es,
man lässt der Natur in solchen Fällen ihren Lauf“, sagte Muller dem Sender
CTV. Menschliche Rettungsversuche seien zwar immer wieder erprobt worden,
hätten sich aber oft als zu riskant und wenig erfolgversprechend erwiesen.
Einen guten Aspekt können Umweltschützer wie Muller der Odyssee bei aller
Tragik aber abgewinnen. Der junge Buckelwal habe den Menschen vor Augen
geführt, dass der Sankt-Lorenz-Strom nicht nur ein Verkehrsweg, sondern
auch ein Ökosystem ist. Viele Großstädter hätten in den vergangenen Tagen
zum ersten Mal einen leibhaftigen Wal gesehen und seien jetzt
sensibilisiert für den Schutz der [3][Meeressäuger]. „Vielleicht machen wir
uns zukünftig mehr Gedanken darüber, was wir so in unsere Flüsse leiten,
wie viel Schiffsverkehr wir wirklich brauchen, wie wir unsere Gewässer
besser mit den Tieren teilen können“, hofft Muller.
10 Jun 2020
## LINKS
[1] /Seismische-Messungen-im-Atlantik/!5564338
[2] /Unterwasserlaerm-verringern/!5567915
[3] /Schutz-von-Meeressaeugetieren-in-Kanada/!5601611
## AUTOREN
Jörg Michel
## TAGS
Wal
Meeressäuger
Kanada
Wale
Ostsee
Umwelt
2050 – die, die überleben wollen
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