| # taz.de -- LGBTI und Alltag: Längst nicht so offen | |
| > Sechs Jahre ist es her, dass eine Rede der Dragqueen Panti Bliss über | |
| > ihre Diskriminierungserfahrungen viral ging. Wie viel hat sich seitdem | |
| > geändert? | |
| Bild: Panti Bliss 2015 in Dublin | |
| „Und ich kontrolliere mich“, hat Panti Bliss gesagt. Das ist sechs Jahre | |
| her. „Ich hasse mich dafür, aber ich kontrolliere mich.“ [1][Vor sechs | |
| Jahren sprach die irische Dragqueen im Anschluss an eine Theatervorführung | |
| in Dublin über Homophobie.] Über ein Erlebnis mit Jugendlichen an einem | |
| Zebrastreifen. Die jungen Männer werfen ihr, werfen ihm – denn da ist sie | |
| gerade als Er unterwegs – eine leere Milchpackung an den Kopf und rufen | |
| „Schwuchtel!“. | |
| Panti Bliss spricht darüber, dass sie sich nun immer am Zebrastreifen | |
| kontrolliere, um zu entdecken, „was mein Schwulsein verraten hat“. Das | |
| Video von der Rede bekam damals in zwei Tagen 200.000 Klicks. | |
| Damals, vor sechs Jahren, ist die Welt eine andere. In Irland wie | |
| Deutschland ist heiraten noch Heteros vorbehalten, und Maischberger talkt | |
| zum Thema „Homosexualität auf dem Lehrplan: Droht die ‚moralische | |
| Umerziehung‘?“. Einer der Gäste, ein Politiker namens Jens Spahn, wird dort | |
| als „bekennender Homosexueller“ angekündigt. | |
| Und Panti Bliss spricht darüber, dass jede „vernünftige Diskussion“, ob | |
| LGBTI so viel wert sind wie alle anderen Menschen, dass jeder abfällige | |
| Spruch, jeder Milchkarton für immer bei dir bleibt. „Und das fühlt sich | |
| beklemmend an“, sagt Bliss – oppressive, man könnte auch übersetzen: | |
| unterdrückend. „Und ich kontrolliere mich, und ich hasse mich dafür. Und | |
| manchmal“, sagt sie ins Publikum, „manchmal hasse ich Sie dafür, dass sie | |
| mir das antun.“ Endet dann aber versöhnlich: „Aber nicht heute.“ | |
| Die Welt ist gar keine andere | |
| Zum Glück ist das lange her. Sechs Jahre. Einige von uns dürfen heiraten, | |
| man spricht von „besorgten Eltern“ nur noch ironisch und von „bekennenden | |
| Homosexuellen“ gar nicht mehr. Diejenigen, die vor sechs Jahren anfingen, | |
| ihre Sexualität zu entdecken, während man im Fernsehen diskutierte, ob die | |
| Schule ihnen dafür Wissen zur Verfügung stellen darf, sind jetzt erwachsen. | |
| Die Menschen, die damals eingeschult wurden, entdecken allmählich ihre | |
| Sexualität. Dieses Mal sind wir vorbereitet, oder? | |
| Ich wünschte, Panti Bliss’ Vortrag käme mir alt vor. Aber sechs Jahre ist | |
| nicht lang, und die Welt ist gar keine andere. Der schwule Mann gilt als | |
| angekommen, seit er heiraten darf. Aber die abfälligen Sprüche, die | |
| „vernünftigen Diskussionen“, die Milchkartons, die sind noch bei uns. | |
| Und langsam schleicht sich diese Idee hinzu, dass wir dankbar sein sollen. | |
| Für die Ehe und dafür, dass wir nicht mehr „bekennend“ genannt werden. Und | |
| langsam schleicht sich die Idee ein, dass es mal gut ist mit dem Gejammer, | |
| denn das ist doch alles Jahre her! | |
| So offen, wie wir heute alle sind, so offen sind wir doch seit Ewigkeiten! | |
| Und dann kommt der Gedanke auf, dass dieses schwul (dieses lesbisch, dieses | |
| queer) keine politische Kategorie mehr ist, sondern etwas, mit dem ich mich | |
| interessant mache. Denn es ist ja alles erreicht, und alles, was war, ist | |
| vergessen. Und das fühlt sich beklemmend an. | |
| 27 Jun 2020 | |
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| [1] https://www.youtube.com/watch?v=WXayhUzWnl0 | |
| ## AUTOREN | |
| Peter Weissenburger | |
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