| # taz.de -- Justiz in Russland: Straflager für Aktivisten | |
| > In St. Petersburg wurden zwei Männer mit linker Gesinnung wegen | |
| > Mitgliedschaft in einer Terrorvereinigung verurteilt. Die Beweislage ist | |
| > dünn. | |
| Bild: Viktor Filinkow, einer der Angeklagten, bei der Urteilsverkündung | |
| Moskau taz | „Ein Antifaschist ist kein Terrorist“ und „Schande, Schande!… | |
| skandierten Demonstrant*innen am Montag vor dem Militärgericht in Sankt | |
| Petersburg. Soeben hatte das Gericht zwei Aktivisten aus der linken Szene | |
| zu fünfeinhalb und sieben Jahren Straflager verurteilt. | |
| Den 25- und 27-jährigen Männern wird Mitgliedschaft in einer | |
| terroristischen Vereinigung vorgeworfen. Sie sollen Aktivisten in der | |
| Bewegung „Set“ (auf Deutsch Netzwerk) gewesen sein, die in Russland | |
| mittlerweile als Terrororganisation verboten ist. | |
| Der ältere Angeklagte, Yulii Boyarshino, habe sich schuldig bekannt, hieß | |
| es im Militärgericht. Sein jüngerer Mitangeklagter Viktor Filinkow habe | |
| dagegen die Schuld bestritten. Er behauptete, das frühere | |
| Schuldeingeständnis nur unter Folter gemacht zu haben. Der Vorwurf, von den | |
| Ermittlern gefoltert worden zu sein, begleitete den gesamten Prozess. | |
| Dem Verfahren in Petersburg war bereits im Februar ein längerer Prozess vor | |
| einem Militärgericht in der zentralrussischen Stadt [1][Pensa] | |
| vorausgegangen. Dort waren gegen sieben Männer im Alter zwischen 23 und 31 | |
| Jahren Haftstrafen von sechs bis 18 Jahren verhängt worden. | |
| ## Umsturzversuch geplant | |
| Die Ermittler behaupteten damals, über ausreichend Beweise zu verfügen, | |
| dass die Gruppe einen Umsturzversuch gegen die Regierung geplant habe. | |
| Keiner der Männer bekannte sich jedoch für schuldig. Auch bei der Höhe des | |
| Strafmaßes folgte das Petersburger Militärgericht den Urteilen aus Pensa. | |
| Das Strafmaß in Pensa hatte im Februar landesweit eine Welle der Empörung | |
| in Gang gesetzt. „Wir Ärzte wollen uns nicht damit anfreunden, dass | |
| Menschen gefoltert und erniedrigt werden“, forderten Mediziner. | |
| Unabhängige Beobachter und Ärzte hatten bei Besuchen in der U-Haft die | |
| Misshandlung von Inhaftierten bereits festgestellt. Demnach hatten fünf | |
| Verurteilte ihre Geständnisse erst unter Folter gemacht. | |
| Die US-Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch erinnerte unterdessen | |
| daran, dass sich Russland gemäß der Europäischen Menschenrechtskonvention | |
| dazu verpflichtet habe, keine Folter anzuwenden. | |
| ## Sympathien für Antifaschisten | |
| Daneben meldeten sich auch 3.000 Wissenschaftler*innen mit einer Petition | |
| zu Wort: Im Gegensatz zu den „fiktiven Terrorakten“ der Verurteilten seien | |
| „der wirkliche Terror die Strafen“ meinten sie hinsichtlich des | |
| drakonischen Strafmaßes. | |
| Bereits Ende 2017 waren die jungen Männer festgenommen worden. Sie teilten | |
| damals linke Einstellungen und hegten Sympathien für Antifaschisten und | |
| Anarchisten. Einige arbeiteten in sozialen Projekten, andere kümmerten sich | |
| um Hilfe für Obdachlose. | |
| Nebenher verband sie jedoch noch ein Interesse für Paintball, das für die | |
| Anklage die Rolle eines zentralen Indizes erfüllte. Zum Paintball-Training | |
| traf man sich im Wald. Das wurde als Vorbereitung auf einen bewaffneten | |
| Kampf ausgelegt. | |
| Auch im ersten Verfahren konnte keiner der Anklagepunkte – ob Terrorismus | |
| oder Umsturzabsicht – am Prozessende nachgewiesen werden. Selbst der | |
| Nachweis über die Existenz des „Netzwerkes“ als Organisation konnte nicht | |
| erbracht werden. | |
| ## Unmissverständliche Warnung | |
| Einem Angeklagten wurde überdies noch der Besitz eines Bandes des | |
| „Kapitals“ von Karl Marx zur Last gelegt. Was früher als Pflichtlektüre | |
| galt, jedoch nicht geschätzt wurde, untermauert jetzt den Terrorverdacht. | |
| So warnte der Chef der KPRF, Gennadij Sjuganow, davor, „in jeder Gruppe von | |
| Jugendlichen Verschwörer zu wittern, die das Regime umstürzen wollen“. | |
| Auch in St. Petersburg sendete der Geheimdienst FSB mit dem jüngsten harten | |
| Urteil eine unmissverständliche Warnung aus. Wer zu verurteilen ist, | |
| bestimmen wir, so das Motto: „Wir sind die verfassungsrechtliche Ordnung.“ | |
| 22 Jun 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Folter-gegen-russische-Antifaschisten/!5664639 | |
| ## AUTOREN | |
| Klaus-Helge Donath | |
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