| # taz.de -- Unteilbar-Demonstrationen: Bildet Bänder! | |
| > Mit Masken und viel Abstand: Zehntausende demonstrierten am Sonntag in | |
| > zehn Städten gegen Rassismus und soziale Ungleichheit. | |
| Bild: Gegen Rassismus: TeilnehmerInnen am Band der Solidarität in Berlin | |
| Berlin taz | Eine lange Linie quer durch Berlin, mit einigen Lücken und | |
| vielen dicken Knoten. Ein Symbol natürlich. Aber wofür: Die vielfältige | |
| Gesellschaft, die trotzdem zusammenhält? Die Geschichte der Protestkultur? | |
| Den Verlauf des Lebens gar? | |
| Vom Brandenburger Tor zum Hermannplatz zog sich am Sonntagnachmittag die | |
| vom Unteilbar-Bündnis organisierte Menschenkette. Und jene, die Teil davon | |
| waren, konnten die knapp eineinhalb Stunden in der Reihe zum Beispiel | |
| nutzen, um über philosophische Fragen wie jene oben nachzudenken. Denn die | |
| nächste Teilnehmende stand – wenn alle Vorgaben eingehalten wurden – drei | |
| Meter weiter und hielt das andere Ende einer ebenso langen orangefarbenen | |
| oder blauen oder gelben oder grünen Plastikbanderole in der Hand. Ein | |
| bisschen weit weg zum Plaudern also, erst recht, wenn er oder sie auch noch | |
| den vorgesehenen Mund-Nasen-Schutz trug und aus einem der an vielen Stellen | |
| aufgebauten Lautsprecher Redebeiträge oder Musik zu hören waren. | |
| Insgesamt 130 Organisationen hatten den [1][Aufruf des | |
| #Unteilbar-Bündnisses] unterschrieben, darunter große wie der DGB, Fridays | |
| for Future und mehrere Parteien, aber auch kleinere wie die Omas gegen | |
| Rechts, die Migrantifa und die Seebrücke. „Jetzt wird entschieden, wer die | |
| Kosten der globalen Krise trägt, wer danach stärker wird und schwächer“, | |
| heißt es in dem Aufruf. Es gehe nun darum, eine „antirassistische, soziale | |
| und klimagerechte Gesellschaft“ zu schaffen, und zwar auf solidarische | |
| Weise. | |
| Aktionen fanden außer in Berlin auch in Hamburg, Leipzig, Chemnitz, Plauen, | |
| Münster und anderen Städten statt. In Leipzig trotzen die DemonstrantInnen | |
| dem strömenden Regen. | |
| In dem breiten Spektrum an Themen konnten sich viele einordnen. Etwa Renate | |
| Schrott in Berlin, die zusammen mit weiteren Mitgliedern des Verein der | |
| Verfolgten des Naziregimes (VVN/BdA) nahe dem Moritzplatz stand. „Wir | |
| müssen jetzt öffentlich gegen Rassismus eintreten“, sagt die Rentnerin aus | |
| Neukölln und bezieht sich auf die besorgniserregende Entwicklung in den | |
| USA, aber auch in Deutschland. Und sie hat die Hoffnung, damit die | |
| Aufmerksamkeit auf etwas Größeres zu richten. Denn eigentlich müsse man ja | |
| das Problem Kapitalismus angehen. „Aber dafür kriegen wir noch nicht so | |
| viele Menschen auf die Straße.“ | |
| Den unterstützenden Gruppen waren in Berlin jeweils unterschiedlich lange | |
| Teile der Strecke zugeordnet worden, auf denen sie OrdnerInnen stellen und | |
| die vorgeschnittenen Bänder verteilen sollten. Auch Reden konnten sie dort | |
| halten. Vor allem sollten sie sich darum kümmern, dass das Band ab 14 Uhr | |
| keine Lücken aufwies. | |
| Nicht ganz einfach in einer Stadt, in der Menschen gerne mal mit ein | |
| bisschen Verspätung zum Protest erscheinen. So auch an diesem Sonntag: | |
| Während an zentralen Orten wie dem Moritz- oder dem Hermannplatz gleich | |
| mehrere Reihen stehen, ist die Linie in einigen Straßen nicht zu sehen. | |
| Wenig später erklärt ein Unteilbar-Sprecher auf taz-Nachfrage, das „Band | |
| der Solidarität“ sei geschlossen. Mehr als 20.000 Menschen hätten sich | |
| beteiligt; die Polizei sprach von rund 5.000 Teilnehmenden gegen 15 Uhr. | |
| „Solidarität“ ist das Stichwort, unter das sich alle hier einreihen könne… | |
| „Wir müssen zeigen, dass die Folgen der Krise die Jugend ganz besonders | |
| betreffen, und gegen die gesellschaftliche Spaltung mit Menschenketten und | |
| viel Abstand vorgehen, egal ob in der Schule oder am Arbeitsplatz“, sagt | |
| Roylan Tolay vom Jugendverband der Föderation Demokratischer | |
| Arbeitervereine (DIDF) mit zumeist türkei- oder kurdischstämmigen | |
| Mitgliedern. Die 23-Jährige, die zusammen mit weiteren | |
| DIDF-MitstreiterInnen auf der Heinrich-Heine-Straße steht, befürchtet einen | |
| Sozialabbau und den Verlust von Arbeitsplätzen wegen der Coronakrise. | |
| ## Protest in zehn Städten | |
| Wenige hundert Meter weiter am Moritzplatz setzt sich die Gruppe Seebrücke | |
| für Menschen auf der Flucht und für sichere Fluchtrouten ein. Kurz dahinter | |
| fordert Medico ein gerechteres Gesundheitssystem weltweit. Danach verlangt | |
| Verdi eine fairere Bezahlung von Pflegekräften und einige Meter weiter | |
| halten mehrere Menschen bunte Plakate mit der Aufschrift | |
| „#BlackLivesMatter“ hoch; Mitglieder der Grünen forderten eine Agrarwende. | |
| „Solidarität hat viele Facetten“, sagt Thomas Stange aus Prenzlauer Berg, | |
| der mit Freunden gekommen ist. Am liebsten würde er ein Plakat tragen, sagt | |
| er, mit der Aufschrift: „Die Reichen sollen bezahlen, Vermögensteuer | |
| jetzt“. | |
| Vorbild für den breiten Protest war die Unteilbar-Demo im Oktober 2018, zu | |
| der allein in Berlin [2][mehr als 200.000 Menschen] auf die Straße gegangen | |
| waren. Es gab auch einen Livestream im Internet. Denn den Organisatoren war | |
| klar, dass in Coronazeiten mit den entsprechenden Auflagen für | |
| Demonstrationen eine andere Form des Protests gefunden werden musste als | |
| der Massenauflauf vor knapp zwei Jahren. Deswegen die Bänder, die | |
| gleichzeitig eine Abstandskontrolle darstellten. | |
| Trotzdem hatten PolitikerInnen vor der Teilnahme an der Demonstration | |
| gewarnt, darunter der SPD-Bundestagsabgeordnete Karl Lauterbach: „Die | |
| Abstände werden im Zweifel nicht eingehalten, da wird gerufen und skandiert | |
| auf engem Raum – das sind ideale Bedingungen für eine Verbreitung des Virus | |
| durch Superspreader“, hatte er im Tagesspiegel [3][orakelt]. | |
| Hintergrund war der [4][Black-Lives-Matter-Protest am Samstag] vergangener | |
| Woche auf dem Berliner Alexanderplatz, zu dem mehrere zehntausend Menschen | |
| gekommen waren – angemeldet waren lediglich 2.000 gewesen. Sie hatten zwar | |
| überwiegend eine Maske getragen, aber ein Abstand von 1,5 Metern war | |
| angesichts des Gedränges auf dem überfüllten Platz schlicht nicht | |
| einzuhalten gewesen. | |
| Die aktuelle Berliner Coronaverordnung erlaubt Demonstrationen in | |
| unbegrenzter Größe, allerdings müssen die AnmelderInnen ein Hygienekonzept | |
| vorlegen. Die Sorge, dass es auch nach Demonstrationen draußen zu | |
| Corona-Ausbrüchen kommen könnte, gab es schon mehrfach, etwa nach den | |
| spontanen Protesten am 1. Mai in Kreuzberg. Die Befürchtungen haben sich | |
| bisher jedoch nie bestätigt. | |
| Entlang des Protestes spielen größere Coronasorgen kaum eine Rolle. Viele | |
| Menschen tragen eine Maske, die Sonne scheint, die Stimmung ist gelöst bis | |
| fröhlich. Die Vorstellung, Teil eines langen Bandes, einer gemeinsamen Idee | |
| zu sein, sie hat gewirkt. | |
| 14 Jun 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.unteilbar.org/sogehtsolidarisch/ | |
| [2] /Demonstration-gegen-Rassismus/!5540470&s=unteilbar+demonstration+berli… | |
| [3] http://www.tagesspiegel.de/berlin/kilometerlange-menschenkette-durch-berlin… | |
| [4] /Black-Lives-Matter/!t5320244/ | |
| ## AUTOREN | |
| Bert Schulz | |
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