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# taz.de -- Schamanismus in Russland: Auf nach Straßburg
> Ein „Magier“ will nach Moskau laufen, um Putin zu stürzen. Er landet in
> der Psychatrie. Jetzt klagt er vor dem Europäischen Menschengerichtshof.
Bild: Alexander Gabyschew in Jakutsk im Oktober 2019
Moskau taz | Alexander Gabyschew sitzt wieder in einer psychiatrischen
Klinik. Vor zwei Wochen drangen zwei Dutzend Polizisten im sibirischen
Jakutsk in das Haus des russischen Schamanen ein und nahmen ihn fest. Seine
Anwälte reichten inzwischen Klage gegen die Zwangsunterbringung in einer
psychiatrischen Anstalt beim Europäischen Menschengerichtshof ein.
Die Einweisung sei gegen das Gesetz und seinen Willen erfolgt, meinte eine
Anwältin. Die Gesundheitsbehörde hätte keine klaren Gründe für die
Festnahme nennen können und habe überdies wegen Corona-Sicherheitsauflagen
auch einen Besuch in der Anstalt verboten. Selbst telefonisch sei der
Schamane nicht zu erreichen gewesen.
Alexander Gabyschew, der selbsternannte „Krieger-Schamane“, spukt schon
seit mehr als einem Jahr in den Weiten Sibiriens herum. Damals brach er mit
einem Aluminiumanhänger für seine Habseligkeiten im sibirischen Winter in
Jakutsk auf und wollte im Sommer 2020 Moskau erreichen. Ziel war es,
Präsident Wladimir Putin aus dem Kreml zu vertreiben. Putin sei ein Dämon,
kein Mensch, behauptete er damals. Gott habe ihm aufgetragen, den bösen
Geist zu verjagen.
Vergangenes Jahr legte [1][der Schamane] zu Fuß 2.000 Kilometer bis in die
Republik Burjatien zurück. In der Hauptstadt Tschita versammelten sich
Hunderte Demonstranten nach einer vermeintlich gefälschten
Bürgermeisterwahl um den Jakuten. „Russland ohne Putin!“ skandierten sie.
## Kein Schutz vor Verfolgung
Unterwegs hatte der Schamane seine Weltsicht von einer „Volksmacht“, die
auf Natur und Gott beruhe, ausführlich in Interviews verbreiten können.
Nach wenigen Wochen avancierte er bereits zu einer Youtube-Größe.
Das schützte ihn jedoch nicht vor Verfolgung. Im September wurde er zurück
nach Jakutien verfrachtet und das erste Mal [2][in eine Anstalt]
eingewiesen. Unabhängige Gutachter bestätigten ihm jedoch volle
Zurechnungsfähigkeit und er kam wieder frei.
Russland ist eine zutiefst abergläubische Gesellschaft. Wer könne
garantieren, dass die Kräfte des sibirischen Zauberers nicht doch eines
Tages ihre Magie entfalteten?, schmunzeln Beobachter. Gleichwohl sind
Verschwörungstheoretiker und Anhänger des Übersinnlichen auch in den
herrschenden Zirkeln anzutreffen.
Der erneuten Festnahme war wieder ein hellseherisches Video vorausgegangen.
Gabyschew absolvierte einen traditionellen Tanz und versprach den
Anhängern: „Leute, in zwei Monaten werdet ihr die Welt nicht mehr
wiedererkennen, auch Russland nicht. Sehr bald schon werdet ihr in die
Freiheit aufbrechen“, orakelte Alexander.
## Alles hinwegfegen
Niemand könne die Macht des Volkes noch länger unterdrücken. Noch zwei
Monate und sie werde alles hinwegfegen, meinte er. „Nimm es als meine
Vorhersage, meine Prophezeiung“. Jeder Einzelne müsse jedoch für sein
Schicksal selbst Sorge tragen und die „Freiheit mit den eigenen Händen
ergreifen“.
Klare Worte, die ein Eingreifen der Staatsmacht wieder erforderlich
machten. Offensichtlich ist auch Hartnäckigkeit ein unverzichtbarer
Wesenszug eines glaubwürdigen Schamanen. Mehrfach hatte Gabyschew nach den
Festnahmen angekündigt, den Marsch auf Moskau fortzusetzen.
Im vergangenen Dezember bei rekordverdächtigen Minusgraden machte er sich
wieder mit zwei Begleitern auf die Wanderschaft, wurde aber nach zwei Tagen
von der Polizei aufgehalten und zur Rückkehr gezwungen.
Das Handwerk des „weißen Magiers“ erlernte Gabyschew nach dem frühen Tod
seiner Frau. Er zog sich in den Wald zurück, an der Trauer sei er damals
fast zerbrochen, sagte er.
## Historiker und Schweißer
Drei Jahre Einöde hätten ihn zum Schamanen gemacht. Heute besäße er Kräfte,
mit denen er alles Negative vertreiben könne. Von Beruf ist er Historiker,
gearbeitet hat er die meiste Zeit jedoch als Schweißer.
„Die Herrschenden nehmen die schamanische Welt als Bedrohung wahr, weil sie
selbst an Zauberer und Wahrsager glauben“, meint der Dichter Lew
Rubinstein. Russlands Herrscher seien selbst „heidnische Schamanen“, die
vor dem Geisterbeschwörer Angst hätten. Womöglich seien dessen Kontakte in
die Welt der Geister effektiver.
Selbst wenn es zu einer Vertreibung Putins kommen sollte, versicherte der
Magier dem Präsidenten: „Niemand wird Sie anfassen, ein Haar krümmen oder
Blut vergießen.“
27 May 2020
## LINKS
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## AUTOREN
Klaus-Helge Donath
## TAGS
Russland
Wladimir Putin
Schamanismus
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