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# taz.de -- Die Wahrheit: Das Dorf der Fremdgänger
> Es gibt einen düsteren Ort in Irland, der sinnbildlich steht für alle
> menschlichen, allzu menschlichen Fehltritte: Belmullet.
Belmullet. Wie das schon klingt! Der Ort liegt in der westirischen
Grafschaft Mayo, über die Heinrich Böll im „Irischen Tagebuch“ schrieb:
„Nun haben die Iren eine merkwürdige Gewohnheit; wenn der Name der Provinz
Mayo genannt wird (es sei lobend, tadelnd oder unverbindlich), sobald nur
das Wort Mayo fällt, fügen die Iren hinzu: ‚God help us!‘“
Belmullet hat rund tausend Einwohner. Nicht alle sind freiwillig hier.
Daran ist eine Frau aus Dublin schuld, nennen wir sie Bernadette Wilkins.
Sie wohnt in einer Sozialbausiedlung in der Dubliner Innenstadt. Als sie
einmal krank war, kam der Arzt zu einem Hausbesuch. Er kümmerte sich so
gründlich um sie, dass sie schwanger wurde. Die Frau des Arztes bekam das
heraus und organisierte den Umzug ihrer Familie nach Belmullet.
Der Briefträger bereut heute noch den Tag, als er Wilkins einen
Einschreibbrief zustellte. Inzwischen trägt er die Post in Belmullet aus.
Ein Teil seines Gehalts muss er für Alimente abgeben. Und eines Tages wurde
Wilkins Zeugin eines Einbruchs in der Nachbarschaft. Der Polizist, der ihre
Aussage aufnahm, blieb länger als nötig. Danach war Wilkins zum dritten Mal
schwanger. Der Polizist hoffte, seine Frau wüsste nichts von Belmullet,
aber der Ort ist auf der Insel als Strafkolonie berühmt. Sie ließ ihn
dorthin versetzen.
Der frühere Premierminister Charles Haughey überredete Kneipiers oft, über
die Sperrstunde hinaus Getränke auszuschenken. Wenn eine Polizeistreife
vorbeikam und mit Geldstrafen drohte, fragte Haughey: „Wollt ihr ein Bier
oder eine Versetzung nach Belmullet?“
Polizisten haben normalerweise ein ruhiges Leben in dem Kaff. Als Shell
allerdings eine unterirdische Hochdruckleitung von einem Gasfeld im
Atlantik zur Raffinerie bei Belmullet legen wollte, kam es zum Konflikt mit
den Anwohnern und mit Umweltschützern aus dem ganzen Land. Die Polizisten,
die Shell schützen sollten, jammerten in Hörweite der Manager des Öl-Multis
lauthals über ihren Durst. Shell verstand den Wink und versorgte die
Polizisten mit Alkohol im Wert von 30.000 Euro. Dafür vermöbelten sie gern
die Demonstranten.
Der irische Schriftsteller John Millington Synge war 1904 in dem Ort und
schrieb: „Belmullet am Abend ist laut und dreckig, einsam und gleichzeitig
vollgestopft und ohne jegliche Wirkung auf die Vorstellungskraft.“
Im Jahr 1958 kam es zu einem Streit zwischen dem Staatsminister Erskine
Childers und lokalen Bauarbeitern, die sich weigerten, einen Zaun auf einem
Stück Land zu errichten, weil sie behaupteten, es sei von Leprechauns –
irischen Kobolden – bewohnt. Childers musste nachgeben.
Vor einigen Jahren machte das Lokalblatt, der Mayo Advertiser, mit der
Schlagzeile auf: „Massive blow jobs for Belmullet.“ Daran hätten sich der
Arzt, der Briefträger und der Polizist halten sollen. God help them.
8 Jun 2020
## AUTOREN
Ralf Sotscheck
## TAGS
Irland
Moral
Sex
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