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# taz.de -- Umstrittener Start des Collegesports: Verlogenes System
> Trotz Coronabeschränkungen wollen einige Unis nun den Sportbetrieb
> starten. Denn vor allem sie profitieren.
Bild: Milliardengeschäft College-Football: Duell in der Southeastern Conferenc…
Mark Schlissel ist Mikrobiologe und Immunologe. Das ist momentan eine
ziemlich praktische Zusatzqualifikation, wenn man als Universitätspräsident
arbeitet. Denn wie alle seine Kollegen muss Schlissel, der die University
of Michigan leitet, darüber nachdenken, wie seine Lehranstalt in
Coronazeiten wieder den Betrieb aufnehmen könnte. Ob die Studenten zum
Herbstsemester zurück auf den Campus kommen können. Wie die
Lehrveranstaltungen gestaltet werden sollen. Und ob die verschiedenen
Uni-Teams wieder den Spielbetrieb aufnehmen dürfen.
Sport, echt jetzt? Hat Mr. Schissel keine anderen Probleme? Tatsächlich ist
die Wiederaufnahme des organisierten Sports für ein großes amerikanisches
College wie Michigan eine wichtige Entscheidung, denn Sportarten wie
Football und Basketball tragen unverzichtbare Millionensummen zum Budget
vieler Universitäten bei.
Deshalb hörten die ganzen USA gut zu, als Schlissel am Montag erklärte,
dass die Michigan Wolverines, eine der traditionsreichsten und
erfolgreichsten Football-Mannschaften, die bei Heimspielen ein Stadion mit
mehr als 107.000 Plätzen füllen, in diesem Herbst nur dann auflaufen
werden, wenn ein halbwegs normales Universitätsleben stattfindet: „Wenn es
keinen Unterricht auf dem Campus gibt, wird es auch keinen Football geben.“
Eine überraschend klare Aussage, um die sich Schlissels Kollegen seit
Wochen herumdrücken. Denn die Universitäten stecken in einer Zwickmühle. Zu
den üblichen und eh schon komplexen organisatorischen und medizinischen
Fragen, die aufgeworfen werden, wenn Profi-Ligen mit Profi-Sportlern
inmitten einer Pandemie wieder starten wollen, ergibt sich für den
College-Sport ein gewaltiges moralisches Dilemma. Obwohl sie
Hochleistungssportler sind, vor Zehntausenden Zuschauern spielen und den
Universitäten über TV-Verträge und Merchandising Dollarmillionen
einbringen, gelten die Studentensportler als Amateure.
## Offensichtliche Lebenslüge
Selbst die Stars, manche von ihnen bekannter als Profi-Sportler, werden mit
einem Stipendium abgespeist und dürfen nicht einmal eigene
Sponsorenverträge abschließen, während die Trainer Millionen verdienen.
Seit Jahren sorgt der College-Sportverband NCAA vor Gericht und mit
Lobbyarbeit dafür, dass das absurde und unzeitgemäße System erhalten bleibt
und die Akteure nicht direkt an den gewaltigen Einnahmen beteiligt werden
müssen – immer mit dem Argument, die Universitäten könnten es sich nicht
leisten, die Sportler wie Profis zu bezahlen.
Eine Lebenslüge, die die Coronakrise noch einmal deutlich sichtbar gemacht
hat. Normalerweise wäre die Vorbereitung auf die im Spätsommer beginnende
Football-Saison längst in vollem Gang. Aber kann man es Studentensportlern
zumuten, auf einem Campus zu leben und zu trainieren, der sonst
menschenleer ist, weil er wegen des Infektionsrisikos für normale Studenten
gesperrt ist? Anscheinend schon, meinten einige Universitätspräsidenten und
beorderten die Football-Spieler zum 1. Juli aufs unieigene
Trainingsgelände. Stellvertretend verkündete E. Gordon Gee von der West
Virginia University: „Wir spielen Football im Herbst, daran glaube ich fest
– und wenn ich selbst auflaufen muss.“
Das war natürlich ein Scherz, Gee ist 76 Jahre alt, aber auch er weiß: Von
den 17 Sportprogrammen, die seine Universität betreibt, sind die
Sportschützen mit 19 US-Meisterschaften zwar die erfolgreichsten, [1][aber
das Geld bringt die Cashcow College-Football]. Mehr als 4 Milliarden Dollar
setzt der Sport landesweit um. Kein Wunder, dass die Verantwortlichen
gerade in endlosen Video- und Telefonkonferenzen versuchen, die Saison doch
noch zu retten. Dass die USA noch lange nicht zur Normalität zurückgekehrt
sind, dass in den verschiedenen Bundesstaaten die Situation oft vollkommen
unterschiedlich ist, dass manche Bundesregierungen die Öffnungen der Unis
erlauben, andere verbieten werden, das sind allerdings nur die technischen
Fragen, vor denen die Verantwortlichen stehen.
Das grundsätzliche Problem formuliert Jamie Pollard, der für den Sport an
der Iowa State University zuständige Direktor: „Wie wir alle weiß auch ich
nicht, ob das aktuelle NCAA-Modell überleben kann, wenn wir im Herbst
keinen Football spielen.“ Das offenbart die ganze Verlogenheit des System:
Dieselben Funktionäre, die seit Jahren behaupten, sie könnten es sich
nicht leisten, College-Sportler zu bezahlen, behaupten nun, sie könnten
ohne die Einnahmen aus dem College-Sport nicht überleben.
26 May 2020
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## AUTOREN
Thomas Winkler
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