# taz.de -- Denkmalschutz für Mauerrest: Zwölf Meter Geschichte | |
> In Pankow konnte ein Stummel der Hinterlandmauer gerade noch als Denkmal | |
> geschützt werden. Viele solcher Zeugnisse sind vom Verschwinden bedroht. | |
Bild: Eher unscheinbar: Hinderlandmauer-Stummel an der Pankower Maximilianstra�… | |
Auf dem Weg durchs Dickicht, das auf der stillgelegten Trasse der Stettiner | |
Bahn wuchert, fischt Sören Marotz mit Kennerblick ein kleines buntes Stück | |
Beton aus dem Schotter. „Ein Originalstück der Berliner Mauer“, befindet | |
der Ausstellungsleiter des DDR-Museums. Es sieht wirklich so aus wie die | |
noch heute am Checkpoint Charlie feilgebotenen, echten oder gefälschten | |
Fragmente. Wahrscheinlich stammt es vom einstigen „Mauerfriedhof“ gleich | |
nebenan: Anfang der Neunziger wurden hier Tausende Segmente des | |
„antifaschistischen Schutzwalls“ zu Schüttgut für den Straßenbau | |
geschreddert. | |
Bei dem Ortstermin am südwestlichen Rand von Pankow, zu dem Axel | |
Klausmeier, Direktor der Stiftung Berliner Mauer, geladen hat, geht es | |
allerdings um ein anderes Stück Mauer. Eines, das noch immer dort steht, wo | |
die DDR-Grenztruppen es einst platzierten: Es ist ein Rest der sogenannten | |
Hinterlandmauer, die die Grenzanlagen nach Osten abschloss und die auch die | |
meisten DDR-BürgerInnen kaum zu Gesicht bekamen: Schließlich wurde jedem, | |
der dem neuralgischen Bereich ohne triftigen Grund zu nahe kam, frühzeitig | |
nahegelegt, einen anderen Weg zu wählen. | |
Das Teilstück, das Klausmeier präsentiert, dürften allerdings doch einige | |
gesehen haben: Es steht genau dort an der Böschung, wo die Maximilianstraße | |
unter der Bahn hindurch die Dolomiten- mit der Brehmestraße und damit zwei | |
Pankower Kieze verbindet. Die eigentliche Grenze lag zwar mehrere hundert | |
Meter weiter westlich an der S-Bahn-Strecke zwischen den Stationen | |
Bornholmer und Wollankstraße. Aber die Hinterlandmauer schirmte hier die | |
Eisenbahntrasse zusätzlich ab, damit sich niemand über die Schienen in | |
Richtung Westen aufmachte. | |
„Vor einem guten Monat hat das Landesdenkmalamt dieses Segment als Denkmal | |
eingetragen“, erklärt Klausmeier die Bedeutung des zwölf Meter langen, mit | |
Graffiti verzierten Stummels. „Wir haben in der Stadt aber noch mehr | |
Mauerreste, die ähnlich versteckt sind wie dieses. Im Bewusstsein der | |
meisten Menschen sind sie nicht verankert, obwohl wir jeden Tag an ihnen | |
vorbeifahren.“ | |
## Peitschenlampen und Garagen | |
Der Stiftungsdirektor muss es wissen: Er hat vor zwanzig Jahren eine | |
ausführliche, längst vergriffene Dokumentation veröffentlicht, die alle | |
Rudimente der Grenzanlagen auflistete, die nicht unter Denkmalschutz | |
standen wie die touristisch präsentierten Überreste der Vorderlandmauer an | |
der Bernauer Straße oder der East Side Gallery. Viele Teilstücke der | |
Hinterlandmauer waren unter diesen rund 1.800 Objekten, aber auch einzelne | |
Peitschenlampen, Garagen oder Betonsockel. | |
„Im Jahr 2007 sind wir alles noch einmal abgegangen“, erzählt Klausmeier, | |
„da waren 800 Objekte bereits verschwunden“ – weil ihre Bedeutung nicht | |
erkannt worden sei oder weil die baulichen Verwertungsinteressen überwogen. | |
Bei diesem Ortstermin am Freitag soll klar werden, wie dringlich es ist, | |
mehr dieser Zeitzeugnisse unter Schutz zu stellen: Tatsächlich ist es fast | |
schon ein glücklicher Zufall, dass die 12 Meter an der Maximilianstraße | |
überhaupt erhalten sind. | |
Im Herbst 2019 hatte die Mauer-Stiftung erfahren, dass die Pankower | |
Wohnungsbaugenossenschaft EWG mit einem Neubauprojekt auf dem davor | |
gelegenen Grundstück begann. Klausmeier und DDR-Musemsleiter Marotz wandten | |
sich an das Landesdenkmalamt mit der dringenden Bitte, die damals noch 70 | |
Meter Mauer unter Schutz zu stellen. Ihrem Wunsch kam das Amt nach, wie | |
dessen Referentin Christina Czymay berichtet – aber kurz vor einem | |
Gesprächstermin mit der EWG Ende Februar riss die Baufirma den größten Teil | |
der Mauer einfach ab: „Angeblich hatten sie davon nichts mitbekommen“, so | |
Czymay. Die verbliebenen 12 Meter blieben übrig, weil sie auf Bahngelände | |
stehen. | |
Die Beteiligten wollen nun das Beste daraus machen: „Der Denkmalschutz kann | |
nicht das Ende sein“, sagt Sören Marotz. „Wir müssen in unseren | |
verschiedenen Rollen bewirken, dass das Segment in ein Erinnerungskonzept | |
eingebunden wird.“ Möglich sei, dass am künftigen Radschnellweg | |
„Panke-Trail“, der wohl über die Bahntrasse verläuft, eine Infotafel auf | |
das Stück Geschichte am Wegesrand hinweist. | |
## Die Zeit wird knapp | |
Aber auch für die anderen versteckten Grenzrelikte in der Stadt tut | |
politischer Druck not: Zurzeit arbeitet das Landesdenkmalamt an keiner | |
weiteren Unterschutzstellung. Axel Klausmeier schätzt, dass es noch rund | |
200 ungesicherte Objekte gibt, die von ähnlicher Aussagekraft sind wie das | |
nun gesicherte Stück Hinterlandmauer in Pankow. | |
Andreas Otto, direkt gewählter Pankower Abgeordneter der Bündnisgrünen, | |
fordert denn auch eine breite Katalogisierung der Überreste und eine | |
Priorisierung, welche davon unbedingt stehen bleiben sollten: „Wir sind | |
verpflichtet, diese Objekte zu erhalten, damit nicht nur Touristen, sondern | |
auch die Berliner sehen können, wie das war mit der Teilung der Stadt.“ Er | |
will mit seiner Fraktion eine Beschlussempfehlung vorantreiben, mit der das | |
Parlament den Senat zum Handeln auffordert. | |
Dass diese Maßnahmen besonders teuer werden, glaubt Otto nicht: „Wir reden | |
hier nicht über sehr große Summen. Es geht hauptsächlich um die | |
Dokumentation und die Errichtung von touristischen Infotafeln. Einiges wird | |
man baulich sichern oder auch das jeweilige Grundstück erwerben müssen, wie | |
hier von der Deutschen Bahn.“ Auf eine schriftliche Anfrage Ottos | |
antwortete der Senat allerdings gerade, man wisse gar nicht, auf welchen | |
Bahnflächen sich noch Mauerreste befänden. Hier gibt es offenbar doch noch | |
einiges zu tun. | |
18 May 2020 | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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