# taz.de -- Jakobsweg und das Coronavirus: Pilgersaison ohne Pilger | |
> 2019 liefen 350.000 Menschen den Jakobsweg, nun ist er wie ausgestorben. | |
> Bis sich die Grenzen wieder öffnen lohnt es sich, in Deutschland zu | |
> pilgern. | |
Bild: Still und wie ausgestorben – der spanische Jakobsweg | |
Die Zeit ist erstarrt, wie eingefroren. Noch immer steht der Stempel, | |
[1][den sich Jakobspilger] an der Kathedrale von Pamplona in ihr | |
Ausweisheft drücken können, auf dem 14. März. Seither ist kein Wanderer, | |
kein Radler mehr eingetroffen. Schwarzmaler hatten geätzt, der Jakobsweg | |
werde durch den Dauerboom irgendwann an seinem eigenen Erfolg zerbrechen. | |
Doch die berühmteste Pilgerstrecke der Welt blieb ein Selbstläufer, den | |
nichts aufhalten konnte. Das hat [2][die Coronapandemie] geschafft. Derzeit | |
herrscht Geisterstimmung. In den Herbergen sind seit zwei Monaten die | |
Fensterläden dicht, die Türgitter zu, die Gardinen vorgezogen. Zumindest | |
bis auf Weiteres. Was die Frage aufwirft: Wann feiert der Jakobsweg | |
Wiederauferstehung – und wie? | |
Eigentlich markiert der Frühling den Auftakt zur großen Pilgersaison nach | |
Santiago de Compostela, wo – so die Legende – die Reste des Apostels | |
Jakobus begraben liegen. Eigentlich fluten dann gewaltige Besucherströme in | |
den Nordwestwinkel Spaniens, aus Glaubens-, Sport- oder | |
Selbstfindungsgründen. | |
So wie im Vorjahr, als das Wallfahrtsbüro von Santiago im Mai 46.673 und im | |
Juni 49.058 Urkunden an jene ausgab, die per Stempelfolgen im Ausweisheft | |
nachweisen konnten, mindestens die letzten 100 Kilometer bis zur | |
Apostelstadt marschiert oder die letzten 200 Kilometer geradelt zu sein. | |
Letztlich nahmen im Jahr 2019 insgesamt 347.578 Ankömmlinge ihr Diplom in | |
Empfang. Das waren so viele wie niemals zuvor. | |
## Totaleinbruch für Herbergen | |
Dass der Höhen- zum Sturzflug in den Totaleinbruch geriet, hat die | |
Betreiber privater Pilgerherbergen ins Mark getroffen. [3][Nachdem Spaniens | |
Regierung einen Stufenplan der Lockerungsmaßnahmen] hin zu „einer neuen | |
Normalität“ vorgelegt hat, sehen die Wirte jedoch einen Lichtstreif in der | |
Finsternis. Nach dem 22. Juni fallen die Schranken für den Binnenverkehr | |
über die Provinzgrenzen hinweg. Das macht Enrique Valentín Mut. | |
Er betreibt am Routenklassiker von den Pyrenäen nach Santiago in der Rioja | |
im Dorf Ventosa die Herberge San Saturnino und ist gleichzeitig | |
Vorsitzender des Herbergsnetzwerks am Jakobsweg. Wie viele seiner Kollegen | |
will auch Valentín „bis Ende Juni“ wieder öffnen, wohl wissend, dass dann | |
„erst einmal nur Pilger aus Barcelona, Madrid oder Valencia“ kommen. | |
Wann sich die Schleusen für internationale Pilgerströme öffnen, hängt von | |
den Grenzregelungen und der Wiederaufnahme von Flugverbindungen ab. | |
Valentín hofft „auf den Sommer.“ Bislang sieht es auf den Flughäfen so | |
gespenstisch aus wie auf dem Jakobsweg. Zwischen Deutschland und Spanien | |
gibt es momentan nur Notverbindungen. | |
Augusto Castiñeira Paredes, der mit seiner Partnerin Aranzazu Imaz in | |
Santiago de Compostela die Albergue Acuario führt, eine von knapp zwei | |
Dutzend Herbergen in der Stadt, rechnet mit Pilgerankünften „in der zweiten | |
Augusthälfte, September, Oktober“. Danach sei die Hauptsaison ohnehin | |
vorbei. Diese zweieinhalb Monate im Spätsommer und Herbst könnten zumindest | |
helfen, „ein paar Löcher zu stopfen“. | |
Deutsche Jakobspilger dürften in naher Zukunft zunächst die Wege in der | |
Heimat angehen. Die Jakobusvereinigungen stellen seit Kurzem „wieder | |
Pilgerpässe aus“, wie Norbert Wallrath von den Santiago-Freunden Köln | |
berichtet. Die Deutsche Jakobusgesellschaft mit Sitz in Aachen registriert | |
minimale Bewegungen bei den Nachfragen nach Pilgerausweisen. In normalen | |
Zeiten gehen „manchmal 100 Anträge pro Tag“ ein, momentan seien es „etwa | |
zehn pro Woche“, hört man aus dem Sekretariat. | |
Hildegard Becker-Janson vom Vorstand der St. Jakobusgesellschaft | |
Rheinland-Pfalz/Saarland bekräftigt, welch „tolle Wege“ es in Deutschland | |
gibt. Halte man Hygiene- und Abstandsregeln ein, sieht sie „kein Problem“, | |
mit dem Partner „oder auch in kleinen Gruppen“ loszuziehen. Im Freien sei | |
dem Pilgern „keine Grenzen gesetzt, das tut der Schönheit, den Erlebnissen | |
keinen Abbruch“. Richtung Spanien könne es „vielleicht im Sommer“ wieder | |
losgehen, wobei sie damit rechnet, dass Herbergen dann „wohl nur mit | |
Voranmeldung“ operieren. | |
Die Wiedereröffnung der Herbergen nach altem Muster sieht Wirt Castiñeira | |
Paredes „mit Skepsis“. Alles spielt sich auf engem Raum ab: in Schlafsälen, | |
Gemeinschaftszimmern, geteilten Sanitäranlagen, Aufenthaltsbereichen, | |
Küchen. Das Miteinander macht den Geist der Pilgerbewegung aus, und gerade | |
das ist nun problematisch. „Wie soll man den einen vom andern isolieren, | |
überall die Abstände wahren?“, fragt Castiñeira Paredes. Abgesehen davon | |
sei mit „erheblichen Zusatzkosten für die tägliche Desinfektion“ zu | |
rechnen. Das auf die Gäste umzulegen und in den Privatherbergen die | |
moderaten Übernachtungspreise anzuheben, sei „das falsche Signal in solch | |
schwierigen Zeiten“, betont der Herbergswirt. | |
## Pilgern gegen das Elend | |
Enrique Valentín will seinen Preis von 11 Euro „auf jeden Fall“ halten, | |
obgleich er die 40 Plätze in seiner Herberge zunächst um ein Drittel | |
reduziert. Über ein neues Regelwerk stehe das Herbergsnetzwerk „derzeit in | |
Verhandlungen“ mit Verantwortlichen der Regierung. Es zeichne sich ab, dass | |
man künftig in den Gemeinschaftszonen „Schutzhandschuhe und Masken tragen“ | |
müsse. | |
Werden die Pilger der Zukunft andere sein? Castiñeira Paredes ist sich | |
sicher, dass die Intensität der Gefühle steigt: „Es wird Zustrom geben von | |
Menschen, die so lange gelitten haben. Katastrophen aller Art haben | |
irgendetwas, das dich stärker, mutiger macht. Aber auch demütiger. Mehr | |
Pilger kommen sicher mit einem Gelübde.“ Und er bekräftigt: „Nach all | |
diesem Leiden gibt es nichts Besseres, als den Jakobsweg zu gehen.“ | |
„Wir von den Santiago-Freunden Köln sagen immer: Der Tourist verlangt, der | |
Pilger nimmt hin“, so Norbert Wallrath aus dem Leitungsteam. Insofern | |
müssen Pilger diese „Durststrecke“ verkraften. Auch Wallrath wollte sich | |
jetzt im Frühjahr zum vierten Mal auf den Weg nach Santiago de Compostela | |
begeben. Das musste er absagen. Nun hofft er auf 2021, wenn ein heiliges | |
Jakobusjahr ansteht, in dem stets besonders viele Pilger „dann mal weg“ | |
sind nach Santiago de Compostela. | |
17 May 2020 | |
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## AUTOREN | |
Andreas Drouve | |
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