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# taz.de -- Deutscher Volleyball in der Krise: Vom Masterplan zum Krisenplan
> Die Volleyball-Bundesliga der Männer verliert in der Coronakrise ein
> Viertel ihrer Klubs. Und auch bei den Frauen wird ein Aderlass
> befürchtet.
Bild: Rottenburg vor dem Ausstieg: Friederich Nagel (M.) versucht, Frankfurter …
Seit Dienstag streicht Friederich Nagel im schwäbischen Rottenburg Farbe an
Wände. Sein bisheriger Arbeitgeber, der Volleyball-Bundesligist [1][TV
Rottenburg], kann ihm kein Gehalt mehr aufs Konto überweisen. Am 3. April
verkündete der Klub, man werde sich nach knapp 20 Jahren aus der
Bundesliga zurückziehen. Die Auswirkungen der Coronakrise seien nicht mehr
zu bewältigen, ein tiefe Lücke klaffe im Etat.
Mittelblocker Nagel reagierte rasch. Sein Studium der Sportwissenschaft,
Profil Gesundheitsförderung, muss schließlich finanziert werden. Er nahm
das Angebot eines Malerbetriebs in der Nachbarschaft an, 20 bis 25 Stunden
die Woche auszuhelfen. Das übellaunige Schicksal hat sich in dieser
schwierigen Zeit zudem noch einen besonders gemeinen Scherz mit Friederich
Nagel erlaubt. Sein erster Einsatzort war ausgerechnet die Rottenburger
Trainingshalle, in der er jahrelang Bälle aufgeschlagen, gebaggert,
gepritscht und geblockt hat. Diese Woche hat der Zwei-Meter-Mann dort
gemalert.
Nagel lacht tapfer. Gefasst erzählt er, wie sein Leben binnen Tagen
durcheinandergewirbelt wurde. Die Welt der Fußballmillionäre, wo über
Gehaltsverzicht debattiert wird, muss in seinen Augen surreal stabil
wirken. Der 26-Jährige geht davon aus, dass seine Profikarriere nun beendet
ist: „Es tut sehr, sehr weh. Auf einen Schlag ist alles weg. Da steckt viel
Arbeit dahinter. Mit 14 Jahren habe ich angefangen, sehr viel für den
Volleyball zu investieren. Aber es bringt nichts, wenn ich sehr traurig
bin.“ Vom Schweriner SC wurde Nagel als Jugendlicher gesichtet und im
Sportinternat untergebracht, beim VCO Berlin erhielt er seine ersten
Erstligaeinsätze, seit 2013 spielt er für den TV Rottenburg.
Für die Zeit nach dem Studium hat Nagel bis vor Kurzem noch mit der
Möglichkeit eines Auslandsaufenthalts bei einem Profiteam geliebäugelt,
Eine Option, die kurzerhand zu Utopie geworden ist. Nagel sagt: „Ich will
nichts ausschließen, aber momentan fühlt es sich nach dem Ende meiner
Karriere an.“ Andernorts könne er Ausbildung und Profisport nicht
verbinden.
## Gescheitertes Großprojekt
Volleyballprofis auf Klubsuche gibt es in Deutschland in diesen Tagen
ohnehin reichlich. Die aus zwölf Vereinen bestehende erste Liga beklagt
mittlerweile den Abgang eines Viertels ihrer Mitglieder. Diese Woche entzog
[2][die Volleyball Bundesliga] (VBL) dem schon vor der Coronakrise in die
Insolvenz gegangenen fränkischen Klub Volleys Eltmann die Lizenz. Besonders
schwer wiegt indes der am Mittwoch verkündete Rückzug der [3][Alpenvolleys
Haching].
Vergleichsweise viel Geld hatte der österreichische Unternehmer und
ehemalige Volleyballnationalspieler Hannes Kronthaler investiert, um ein
transnationales Projekt mit den Standorten Innsbruck und Unterhaching
aufzubauen, das mittelfristig dem Klassenprimus, den Berlin Volleys, die
Meistertitel streitig machen wollte. Um 30 Prozent wollte man den Etat auf
2 Millionen Euro aufstocken. Schon ohne die Epidemie schien dieses Ziel
mangels Sponsoren in weite Ferne gerückt zu sein. Die Coronakrise, erklärte
Kronthaler, habe nun den Ausschlag gegeben, trotz der sportlichen Erfolge
(Saison 2018/19 nach der Hauptrunde Zweiter) das Engagement zu beenden.
Welcher Klub verabschiedet sich als Nächstes aus der Liga? Klaus-Peter
Jung, Geschäftsführer der [4][Volleyball-Bundesliga (VBL)], muss sich
derzeit wie ein Schäfer vorkommen, der versucht, eine auseinanderstiebende
Herde zusammenzuhalten. Panikreaktionen gilt es einzudämmen. Er schlägt
einen beruhigenden Ton an: „Ich befürchte derzeit keine weiteren Abgänge.
Alle anderen Klubs haben kommuniziert, sie wollen weitermachen.“
Der Vorstand der Liga werde spätestens Anfang nächster Woche in einer
Videokonferenz besprechen, wie man etwa durch Lockerungen der
Lizenzbestimmungen den Klubs helfen könne. Bislang hat man nach dem Abbruch
der Saison lediglich die Abgabefrist der Lizenzunterlagen sechs Wochen nach
hinten geschoben.
## Scheidender Musterschüler
Die Überlegungen gelten, wie im deutschen Volleyball üblich, gleichermaßen
für die Männer und Frauen. Im Rahmen des sogenannten Masterplans hat die
Liga von 2013 an die Bestimmungen für die Erstligisten der Frauen und
Männer im Sinne einer Professionalisierung Schritt für Schritt verschärft.
Kaum ein Zweitligist will deshalb noch aufsteigen, sportliche Abstiege sind
selten geworden. In der vom Coronavirus verursachten Krisenzeit schmerzen
die angezogenen Daumenschrauben mehr denn je.
Beim TV Rottenburg hatte man bei einem Jahresetat von 650.000 Euro ohnehin
mit verminderten Sponsoreneinnahmen von etwa 100.000 Euro zu kämpfen, wie
Geschäftsführer Philipp Vollmer berichtet. Doch mit der Verbreitung des
Coronavirus brachen weitere 150.000 Euro weg. Der Rückzug, erklärt Vollmer,
sei eine „sehr schwere Entscheidung“ gewesen, man habe aber aus
Vernunftsgründen zeitig reagiert, um nicht noch Schulden anzuhäufen.
Zu kämpfen hatte der Verein aus den unteren Tabellenregionen Jahr für
Jahr. Vollmer ist aber stolz darauf, dass man stets alle Anforderungen
erfüllt hat und nie Lizenzauflagen erhielt. Dazu kam der zweithöchste
Zuschauerschnitt. „Das Tollhaus der Liga“ war eine feste Institution im
deutschen Volleyball.
Dass der kleine Musterverein als Erster die Herde verließ, hat
Liga-Geschäftsführer Klaus-Peter Jung etwas vergrätzt. Vor allem beklagte
der überraschte Jung den Mangel an Kommunikation im Vorfeld und die
mögliche „negative Signalwirkung“ auf die anderen Klubs. Er sagt, die Liga
hätte die großen Klubs für Solidaritätsmaßnahmen zusammenrufen können,
etwas aus dem Medienrechtetopf abzwacken oder anderweitig helfen können.
Rottenburgs Geschäftsführer Vollmer empfindet den Vorwurf als „Frechheit“
nach der jahrelang geleisteten Arbeit. Wenn Perspektiven für eine Rettung
vorhanden gewesen wären, hätte man sich doch an die Liga gewandt.
## Rote Karte für Corona
Das Scharmützel zeugt von der großen Nervosität im deutschen
Männervolleyball. Bei der VBL spürt man, dass sie auch mit den nun in
Aussicht gestellten Lizenzlockerungen das Heft des Handelns nicht wirklich
in der Hand hat. Jung sagt: „Zwei Vereine haben schon erklärt, wenn im
Oktober nur ohne Publikum gespielt werden kann, brauchen wir erst gar nicht
anzutreten.“ Sie seien auf die Zuschauereinnahmen angewiesen.
In der Frauen-Bundesliga ist die Lage zwar ebenfalls angespannt, aber alle
elf Klubs planen für die nächste Saison. Im Schnitt liegen die Jahresetats
der Vereine mit knapp über einer Million Euro etwas über den Budgets der
Männer. Anders als bei den Männern ist Volleyball die Ballsportart Nummer
eins der Frauen in Deutschland. Dieses Alleinstellungsmerkmal und das
dadurch bedingte größere Medieninteresse könnte mit der etwas stabileren
Situation zu tun haben, sagt Jung. Der Unterschied zur Männerliga sei vor
allem, dass die Schere zwischen Reich und Arm nicht so weit
auseinandergehe.
Beim Tabellenletzten, dem [5][VfB Suhl], ist im Fanshop das T-Shirt mit dem
Label „#roteKartefürCorona“ Bestseller. Eine hilflos wirkende Rebellion
gegen die Realität, in der das Coronavirus überall Platzverweise erteilt.
Wann etwa der VfB Suhl wieder aufs Feld darf, ist unklar. Geschäftsführer
Guido Reinhardt wünscht sich deshalb von den Liga-Funktionären eine weitere
Verlängerung der Fristen für die Abgabe der Lizenzunterlagen und mehr
Kulanz. „Die ganze Situation ist undurchsichtig. Auch unsere Sponsoren
können derzeit nicht abschätzen, wie die Entwicklung weitergeht, ob sie uns
weiter unterstützen können. Es liegt alles auf Eis. Wir können gar nicht
viel machen.“ Und das in einer Zeit, wo die Klubs normalerweise am meisten
zu regeln haben. Seinen Optimismus, dass der VfB Suhl weiter Bundesligist
sein wird, bezieht Reinhardt auch aus dem Umstand, dass alle in der Liga
von der Krise in ähnlicher Weise betroffen sind. Abgestiegen wäre man
ohnehin nicht, weil es keinen willigen Aufsteiger gegeben hätte.
Die Außenangreiferin vom VfB Suhl, Claudia Steger, sagt, sie beobachte mit
Besorgnis, „wie die Vereine in der Männer-Bundesliga wegsterben“. Sie
fürchtet auch bei den Frauen einen Aderlass. „Ob beim Saisonbeginn alle
Vereine zu sehen sein werden, ist fraglich.“ Für die Lösung anstehender
Probleme wäre auch die Unterstützung durch die VBL wichtig. Sie könne durch
ein Abrücken von bisherigen Vorgaben die Kosten für die Vereine so gering
wie möglich halten.
Aus dem Masterplan muss also ein Krisenplan geschmiedet werden. Zumal sich
nun negativ bemerkbar macht, dass die Liga-Verantwortlichen beim Masterplan
die ehrgeizigen Zielvorgaben, die man sich selbst auferlegt hat, nicht
erfüllen konnte. Stegner sagt: „Ein Ligasponsor wird seit Jahren vergeblich
gesucht. Das Geld würde den Vereinen jetzt helfen.“
19 Apr 2020
## LINKS
[1] https://www.volleyball-rottenburg.de/
[2] /Volleyballer-in-Olympiaform/!5655002
[3] https://alpenvolleys.com/
[4] https://www.volleyball-bundesliga.de/
[5] https://1.bundesliga.vfb-suhl.de/
## AUTOREN
Johannes Kopp
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Schwerpunkt Coronavirus
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