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# taz.de -- Singer-Songwriter Craig Smith: Unterwegs verlorengegangen
> Craig Smith machte im Los Angeles der 60er Jahre Karriere als Folkie und
> drehte auf dem Hippie Trail durch. Ein Buch erzählt nun seine Geschichte.
Bild: Craig Smith 1966 in New York bei den Dreharbeiten zur Serie „The Happen…
I’m Walkin’ Solo“ heißt Track Nummer 9 von „Apache“, eines 1971 in
Kleinstauflage veröffentlichten Albums eines gewissen Saitya Sai Maitreya
Kali, den seine Mutter, die er kurz darauf fast umgebracht hätte, unter dem
Namen Craig (Smith) kannte. In den späten 1960er, frühen 1970er Jahren gab
es eine Redewendung, wenn eine Band auseinanderbrach oder ein prominenter
Künstler seine Gruppe verließ: Er geht solo.
Das hieß: Hier schließt sich niemand einer anderen Band an und macht also
irgendwie weiter, sondern hier fühlt sich jemand berufen, sich der neuesten
hochexistenziellen Disziplin an der schwindelerregenden Baumgrenze der
Unterhaltungsindustrie knapp unter den Gipfeln der Kunst zu widmen: dem
Singer-Songwritertum.
Nicht länger eine Rolle spielen, eine Type verkörpern, die durch den
Kontext Band und das jeweilige Genre der Populärmusik bestimmt ist, war das
Ziel. Stattdessen war der Künstler nun beides, der eigene Chef, die
Gestaltungsmacht, die sich Kontext, Narrativ, Image etc. ausdachte, und der
Darsteller, die Verkörperung des Narrativs.
Die typische seelische Überforderung des outgesourceten
Solo-Selbstständigen unserer postfordistischen Zeit war hier präfiguriert
in einem Genre, das dann auch tatsächlich unterhalb seiner mit Ach und
Krach stabilen Starriege Joni Mitchell, Neil Young, Leonard Cohen, Carole
King (und auch unter denen: James Taylor, Tim Buckley) tatsächlich viele
Opfer zu beklagen hatte, bei denen „solo gehen“ verloren gehen hieß: Opfer
von Drogen, Esoterik, Religion, Wahnsinn oder einfach nur eines
Desinteresses, das in dem Maße wuchs, in dem das Interesse der Betreffenden
an sich selbst zunahm. Skip Spence, Dino Valente, Bobby Callender, Scott
Fagan, David Stoughton – um nur einige der Genialeren unter den komplett
Vergessenen zu nennen.
An ihr Genie reicht Craig Smith nur gelegentlich heran, das Drama seines
Verschwindens kann es mit ihren Epen allemal aufnehmen. Seit einigen Jahren
werden diese Verlorengegangenen wieder gefunden. Meist postum gräbt man das
Werk aus, veröffentlicht es auf 180 Gramm schwerem Vinyl und verkauft es
einer kleinen Gemeinde hingebungsvoller Verehrer des knappen eigenen
Nichtscheiterns: Diese zarte Verschrobenheit hat man auch einmal gehegt,
doch irgendwann dann wieder seinen Verstand eingeschaltet. Mit Werken wie
„Apache/Inca“ von Satya Sai Maitreya Kali – also Craig Smith – kann man
sich gefahrlos diesen Abgründen wieder nähern.
Zugleich eröffnet sich einmal mehr ein anrührender Einblick in die Seele
des idealen Gesamtkaliforniers, zwischen perfekten, strahlenden Äußeren und
zotteliger, psychopathischer Homelessness. Craig Smith war ein sunny boy,
ein Fernsehdarsteller, TV-Chor-Sänger, male model, der in den späten
1960ern an eine Hauptrolle in einer nie über den Pilot herausgekommenen
Fernsehserie geriet: „The Happeners“, die Geschichte eines
Hipster-Folktrios in New York.
## Kompositionen für andere
Zusammen mit seinem ebenfalls um einen mit den Monkees vergleichbaren Ruhm
gebrachten Ko-Star Chris Ducey gründete er daraufhin eine Reihe von Bands
im wirklichen Los Angeles und reüssierte nebenher als Songwriter, dessen
Lieder sogar von Glenn Campbell aufgenommen wurden. Smith machte sich mit
allen bekannt, die im LA der späten 1960er etwas zu sagen hatten: von Frank
Zappa bis zu den Beach Boys.
Der Einzige, der ihm aber wirklich half, war ein anderer, heute fast
vergessener genialer Songwriter (und Musiker, Bastler, Filmer und vieles
mehr): Michael Nesmith, der ebenfalls ein Fernsehstar gewesen war (bei den
Monkees) und seine Rolle als TV-Popstar im wirklichen Leben weiterspielen
wollte (mit dann allerdings deutlich mehr Erfolg). Nesmith half der von
Craig Smith und Chris Ducey gegründeten Band The Penny Arkade, produzierte
ihr 1968 unvollendetes Album, während der strahlende
Schwiegersohndarsteller Smith sich mit noch mehr Leuten anfreundete, die in
LA das Sagen hatten.
Jetzt war das aber Charles Manson. Psychedelische Drogen und diverse
längere Reisen auf diversen Hippie-Trails folgten. Smith blieb nicht der
Einzige, der dabei seinen Verstand verlor und mit einem neuen Namen
zurückkam: Saitya Sai Maitreya Kali – ja, in Indien und Nepal will er auch
gewesen sein.
## Heiße Währung Ureinwohner
Als er nach Los Angeles zurückkam, muss er immer noch ein charmanter
Bursche gewesen sein, und was er so an privatreligiösem Zeug redete, war
damals auch kein Grund, die Polizei zu rufen. Zwei sehr zarte Alben
entstehen im Mikroselbstverlag im Laufe des Jahres 1972, „Apache“ und
„Inca“ – amerikanische Ureinwohner waren in Kalifornien ja mindestens eine
so heiße Währung wie Nepal und der Maharishi, der den Beatles-Fan Maitreya
in der Zwischenzeit natürlich auch beeinflusst hatte.
Verhangene, sehnsuchtsvolle, aber irgendwie sonnige Vocals, die von Seide
und Elfenbein schwärmen, schälen sich aus unaufdringlichen, akustischen
Gitarrengirlanden heraus und erinnern ein wenig an die allerdings stärker
zur Formlosigkeit strebenden postkoitalen Kifferidyllen von Dino Valente,
die ich an dieser Stelle vor ein paar Jahren anpreisen durfte – dann wieder
an „Dear Prudence“.
Zwischen diese entspannten seelischen Dehnübungen platziert Maitreya aber –
auf beide Alben verteilt – fast das ganze unveröffentlichte zu diesem
Zeitpunkt schon vier Jahre alte Album seiner Band The Penny Arkade: zum
Teil psychedelische Dutzendware, wie sie seit Jahrzehnten auf den
Compilations der „Nuggets“-Serie verkauft wird, teils aber auch ziemlich
delikater bis begabter Spinnkram, darunter auch ein recht angeturntes
13-minütiges Jam-Piece.
## Spinne auf der Stirn
Auch dem seinerzeit noch recht unbekümmert mit den fürs Psychedelische
zuständigen Reglern und Filtern spielenden Nesmith hört man gerne zu. Den
Originalcovern mit ihren zahlreichen Widmungen an Berühmtheiten, die Smith
kannte (Neill [sic!] Young, Paul Butterfield, Mike Wilson, Gabor Szabo)
oder gern gekannt hätte (Paul McCartney, Lord and Lady Lennon, Jimi Hendrix
…) kann man entnehmen, dass Smith schon 1972 etwas gewaltsam an ein altes
Leben unter den Stars wieder anknüpfen wollte. Doch das Spinnentattoo, das
er sich an der Stelle der Stirn hatte stechen lassen, wo bei Charles
Manson, dessen Stoppelschnitt er ebenfalls kurz übernahm, das Hakenkreuz
saß, kam einer vorauseilenden Selbststigmatisierung als gefährlicher Weirdo
gleich.
Smiths Freunde berichten schon damals von Gewaltausbrüchen, von einer
klassisch gespaltenen Person, die als Craig immer noch sonnig, als Maitreya
eher gemeingefährlich wurde. Misogynie war auch schon ein Zug einiger
privatreligiöser Texte auf „Inca“. Dass er dann auf seine Mutter losging
und sie fast umbrachte, erinnert an andere Aggressionen gegen die Mütter
oder Quasimütter großer Verrückter der Gegenkultur wie Joe Meek oder Wild
Man Fisher. Zappa, für den Maitreya immerhin eine Tour lang den opening act
machte, hatte ja sicher auch etwas zu klären, als er seine Band The Mothers
of Invention nannte und seine Musiker vielleicht nicht nur aus lauter
Neo-Dadaismus nötigte, möglichst abstoßende Mutti-Kostüme zu tragen.
Jedenfalls verbrachte Maitreya die nächsten drei Jahre in verschiedenen
Anstalten. Den Rest seines Lebens von 1976 bis 2012 kannte man ihn als
obdachlosen Sänger auf den Straßen von LA – nicht allerdings ohne diverse
Comeback-Versuche, bei denen auch immer wieder die eine oder andere Single
abfiel, zuletzt 1994. Dem britischen Journalisten Mike Stax verdanken wir
dann seit ein paar Jahren eine veritable Craig-Smith-Forschung: eine
erschöpfende Biografie und auch die Liner Notes zum vorliegenden
Doppelalbum, das „Apache“ und „Inca“ koppelt.
Als Maitreya 2012 starb, wollte seine Familie nicht mal seine Asche abholen
– auch das hat dann sein Biograf übernommen. Denn das gehört mindestens zum
Geschäft der Wiederentdeckung, es ist die Sepulkralkultur des Rock ’n’
Roll.
18 Apr 2020
## AUTOREN
Diedrich Diederichsen
## TAGS
Folk
Los Angeles
Craig Smith
Pop
elektronische Musik
San Francisco
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Eine Sensation.
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