# taz.de -- Die Viren und wir: Nur eine Erkältung? Oder Corona? | |
> Schwer zu sagen, ob die Großstadt Hamburg nun gefährlicher ist oder der | |
> Süden mit seiner Nähe zu Italien. Werden wir am Ende über uns selbst | |
> lachen? | |
Bild: Noch zu haben: Bioseife | |
Derzeit bin ich als Stipendiatin im Schwarzwald und verfolge den Norden im | |
Internet. Ich telefoniere mit Freunden, ich lese und ich frage mich, wie es | |
sein wird, wenn ich im Mai zurückkehre. Das macht der Corona-Virus. | |
Seit zwei Wochen habe ich eine hartnäckige Erkältung, ich leide unter einer | |
chronischen Sinusitis, und jeder Infekt bringt meine Nebenhöhle zum Kochen. | |
Ich bin also stark erkältet, niese, huste, schlucke Ibuprofen und schlafe | |
mit Halswickel. Ich gehe nicht zum Arzt. Ich bin noch nie mit einer | |
Erkältung zum Arzt gegangen. | |
Ich gehe davon aus, dass ich eine Erkältung habe. Ich weiß es nicht. Oder | |
habe ich den Corona-Virus? Es gibt hier im Städtchen viele Italiener, | |
italienische Geschäfte, Marktstände, im Haus eine italienische Putzfrau. | |
Sie fahren mit ihren kleinen Lieferwagen regelmäßig nach Italien, um | |
kistenweise Orangen mitzubringen, Käse, Schinken, Oliven, Kuchen. Schleppen | |
sie uns mit ihren Orangen den Virus an? Frage ich mich, und betrachtete sie | |
misstrauisch. | |
Und dann erreicht mich die Nachricht vom ersten Fall in | |
Hamburg/Schleswig-Holstein. Mittlerweile suche ich jeden Tag nach neuen | |
Fällen in Deutschland. Freunde posten Fotos von leergeräumten | |
Seifenregalen. | |
## Leere Seifenregale | |
Ich bin hier in die Drogerie gegangen und kann berichten, die Fächer mit | |
den biologischen Seifen sind noch voll, die billigen Seifen sind | |
abverkauft, gähnende Leere. Die Leute gehen also von einer Seifenknappheit | |
aus. Seife, glauben sie, kann sie retten. In der größten Not schließlich | |
werden sie auch zu den biologischen Seifen greifen. So ist der Virus | |
wenigstens den Seifenherstellern ihr Glück. | |
Ich kaufe immer biologische Seife, ich gebe drei Euro fünfzig für ein Bier | |
aus, warum soll ich nicht drei Euro fünfzig für ein Stück Seife ausgeben, | |
das ich ungefähr einen Monat benutze? Ich habe auch schon elf Euro für ein | |
Stück Seife ausgegeben, es war eine sehr gute Seife. Aber daran sind die | |
Leute im Moment nicht interessiert. Sie sind an viel Seife interessiert. | |
„Wie sie richtig ihre Hände waschen“, las ich irgendwo, war es nicht sogar | |
ein Beitrag des Gesundheitsamtes? Ich lernte, ich wasche meine Hände zu | |
kurz, immer noch, auch nachdem ich es weiß. | |
Aber ich habe gut reden, ich bin im Schwarzwald und habe kaum Kontakt zu | |
anderen Menschen. Ich fahre nicht täglich in der vollen U-Bahn in der | |
Großstadt zur Arbeit (in einer Zeit, in der jeder Mensch ein bisschen | |
erkältet ist). | |
Ich frage mich, insgeheim, ob jetzt also Hamburg der gefährliche Ort ist. | |
Wird Hamburg der gefährliche Ort sein, wenn es Mai ist und ich nach Hause | |
zurückkehre? Werde ich über diese Kolumne dann lachen können, oder wird es | |
dann alles sehr ernst geworden sein? Niemand kann das wissen. Die einen | |
lachen, die anderen kaufen Seife. Wir haben einen großen Drang, unser Leben | |
selbst zu steuern, wir wollen die Kontrolle haben, mit Lachen oder mit | |
Seife. Es ist vernünftig, sich ordentlich die Hände zu waschen, sagt das | |
Gesundheitsamt. | |
Im Internet las ich den Bericht einer Frau mit Grippesymptomen, die sich | |
lange in Norditalien aufgehalten hat, direkten Kontakt mit einem | |
Infizierten hatte und dennoch niemanden findet, der bereit oder auch nur in | |
der Lage wäre, sie zu testen. Hilft Seife? Der NDR betreibt einen | |
Live-Blog. „SPD fordert Krisenkoordinator in Schleswig-Holstein“, | |
„Schulz-Asche fordert Aufstockung der Gesundheitsämter“. | |
Die sechs in Norddeutschland derzeit Erkrankten (Stand Montagmorgen) seien | |
zuvor im Rheinland, in Süddeutschland, Norditalien und im Iran unterwegs | |
gewesen. In Baden-Württemberg gibt es (bis heute) 20 Infizierte. Wenn ich | |
heute reiste, wäre ich eine Person, die aus einem gefährlicheren Bundesland | |
in ein tendenziell weniger gefährliches Bundesland käme. | |
Angesichts der Situation stellen sich mir eine Million interessanter | |
Fragen, die sich nicht alle in einer Kolumne unterbringen lassen. Zwei: | |
Zeigt sich anhand unserer eigenen Reaktion wenigstens ein wesentlicher Zug | |
unseres Charakters? Ist unser Verhalten eine Metapher für unseren Umgang | |
mit dem Leben? | |
5 Mar 2020 | |
## AUTOREN | |
Katrin Seddig | |
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