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# taz.de -- 30 Jahre US-Einfall in Panama: Invasion als chirurgischer Eingriff
> Vor 30 Jahren marschierten US-Truppen in Panama ein. Es war die größte
> Luftlandeoperation der USA seit dem Zweiten Weltkrieg.
Bild: Panama Stadt am 29.12.1989: Soldaten patrouillieren durch die Straßen de…
Panama-Stadt taz | In der Vorweihnachtszeit 1989 sitzt Ernesto Fitzroy Hay
über seinen Chemie-Büchern und lernt. Für den 20. Dezember ist eine Prüfung
angesetzt, der damals 15-jährige Schüler hat gute Noten. Die Einkäufe fürs
Fest hat die Familie aus dem Armenviertel El Chorillo in Panama-Stadt
bereits weitgehend erledigt. Etwa um halb zehn Uhr Abends legt Fitzroy sich
schlafen.
Doch die Ruhe währt nicht lang. „Zwischen elf und halb zwölf hörte ich
plötzlich ein lautes Raunen und Brummen in der Luft, als ob ein Unwetter
aufziehen würde“, erinnert sich der heute 45-Jährige Universitätsdozent.
Als Seismografen der Universität Panama den ersten Bombeneinschlag
registrieren, zeigt die Uhr genau 0.46 und 40 Sekunden.
Mehr als 400 Bomben folgen in der Nacht auf den 20. Dezember an
verschiedenen Orten des Landes. Am stärksten trifft es El Chorillo. Die
vielen Holzhäuser des Viertels, das Anfang des 20. Jahrhunderts für die
Unterbringung von Kanalarbeitern gegründet wurde, brennen komplett ab. In
der Wohnung von Ernesto Fitzroys Familie zersplittern die Scheiben, er
wohnt in einem der wenigen Hochhäuser aus Stein.
Als zwischen zwei und drei Uhr die Intensität der Bombeneinschläge abnimmt,
drängt die Mutter zur Flucht. „Als Kind, das ich war, fragte ich, ob ich
die Schuhe und die Hose mitnehmen könnte, die mir meine Mutter für
Weihnachten gekauft hatte“ erzählt Fitzroy. „Sie sagte ja, packte noch ein
paar Familienfotos, Unterlagen und Schmuck ein und wir verließen das Haus.“
Vor 30 Jahren setzte US-Präsident [1][George H. Bush] mit der Operation
„Just Cause“ („Gerechte Sache“) die größte Luftlandeaktion seit dem Z…
Weltkrieg in Gang. Mehr als 26.000 US-Soldaten überfielen das kleine, am
Übergang von Zentral- und Südamerika gelegene Panama, um die Regierung des
Militärmachthabers [2][Manuel Noriega] abzusetzen.
## Viele Opfer in Massengräbern
13.000 US-Soldaten waren zu dem Zeitpunkt ohnehin bereits in der noch von
den USA kontrollierten Kanalzone stationiert. Modernstes Kriegsgerät, das
teilweise zum ersten Mal zum Einsatz kam, ließ den kaum 12.000 Soldaten der
panamaischen Nationalgarde keine Chance.
Bis heute wird die US-Invasion häufig als chirurgischer Eingriff
dargestellt, der Panama Freiheit und Demokratie gebracht habe. Die
panamaische Elite feierte das Ende der Militärdiktatur, in den USA
überboten sich die Medien mit Lobeshymnen an die eigene militärische
Effizienz.
Doch in El Chorillo erinnern sich die Menschen mit Schrecken an die
Invasion. Tatsächlich verloren in jener Nacht dort wahrscheinlich mehrere
tausend Personen ihr Leben. Genau Zahlen gibt es bis heute nicht,
US-Soldaten verscharrten viele Opfer in Massengräbern.
Die Bombardierungen galten vor allem der Kaserne in El Chorillo, in der
Noriega sein Hauptquartier hatte. Bush begründete die Invasion damit, das
Leben der rund 35.000 US-Amerikaner*innen in der Kanalzone zu schützen,
Demokratie und Menschenrechte zu verteidigen, den Drogenhandel zu bekämpfen
sowie Noriega [3][vor Gericht stellen] zu wollen. Nach Ende des Kalten
Krieges diente Panama den USA als Blaupause für weitere US-Militäreinsätze
zur „Demokratieförderung“, etwa im Irak, in Haiti oder Afghanistan.
Manuel Noriega, der seit den 1970er Jahren auf der Gehaltsliste des
US-Geheimdienstes stand, ließ bald nach seiner Machtübernahme 1983 von den
USA unterstützte nicaraguanische Contras in Panama ausbilden. Auch stellte
er sein Land als Zwischenstation bei illegalen US-Waffenlieferungen an Iran
zur Verfügung, aus deren Erlösen der Krieg gegen die linke sandinistische
Regierung Nicaraguas finanziert wurde. Die USA sahen dafür großzügig über
Noriegas Drogengeschäfte mit dem kolumbianischen Medellin-Kartell hinweg.
Als Ende 1986 der [4][Iran-Contra-Skandal] aufflog, verlor Noriega seine
Bedeutung für die US-Kriegsstrategie in Zentralamerika und wurde plötzlich
zum Bad Guy. Im Februar 1988 stellten ihn zwei Gerichte in Florida wegen
Rauschgifthandel, Geldwäsche und krimineller Aktionen unter Anklage, im
April 1988 ließ US-Präsident Ronald Reagan die Konten der panamaischen
Regierung in den USA einfrieren.
Bei der intransparenten Präsidentschaftswahl im Mai 1989 unterstützte die
neue US-Regierung unter Präsident George H. Bush den Oppositionskandidaten
Guillermo Endara mit zehn Millionen US-Dollar. Noriega kam einer
vermutlichen Wahlniederlage zuvor, indem er das Ergebnis annullieren ließ.
Nachdem im Oktober 1989 ein Putschversuch einer Gruppe innerhalb des
panamaischen Militärs scheiterte und am 16. Dezember ein US-Soldat bei
einem mutmaßlich provozierten Zwischenfall an einer Straßensperre in El
Chorillo starb, erfolgte die Invasion. Endara wurde noch am selben Tag auf
einer Militärbasis als Präsident vereidigt, das panamaische Militär in der
Folge der Invasion aufgelöst.
Noriega tauchte unter, floh in die Botschaft des Vatikans und stellte sich
erst am 3. Januar den US-Behörden. Später saß er in den USA, Frankreich und
Panama Haftstrafen ab und starb 2017 im panamaischen Hausarrest.
## USA wollten dauerhafte Militärpräsenz
Trinidad Ayola hält das damalige Vorgehen der USA für völlig
unverhältnismäßig. „Es war unnötig, so viele Menschen zu töten. Die USA
konnten von der Kanalzone aus jeden Schritt Noriegas überwachen,“ sagt sie.
Die heutige Präsidentin des Komitees der Angehörigen der Invasionsopfer
verlor am 20. Dezember ihren Mann, der als Soldat zur Schicht in einer
Kaserne nahe des Flughafens eingeteilt war.
Den USA sei es darum gegangen, neue Waffen in der Praxis zu erproben und
das panamaische Militär zu zerschlagen. „Und sie wollten die für Ende 1999
vereinbarte Übergabe des Kanals an Panama verhindern, um sich eine
dauerhafte Militärpräsenz im Land zu sichern.“
Vor dem Haus, in dem seine Mutter noch immer lebt, zieht Ernesto Fitzroy
eine bittere Bilanz. „Bis zum 20. Dezember hatte ich eine schöne Kindheit.“
Dass die Invasion aus Sicht der wohlhabenderen Panamaer nötig gewesen sei,
um dem Land die Demokratie zu bringen, hält er für eine gezielte
Manipulation, um die unter den Militärregierungen nach 1968 erzielten
sozialen Errungenschaften abzubauen.
Bis 1903 war Panama eine abgelegene Provinz Kolumbiens gewesen. Ein kleiner
Kreis gut betuchter Panamaer setzte die Unabhängigkeit mittels eines von
der US-Regierung unter Theodore Roosevelt unterstützten Komplotts durch.
Ziel der USA war es, an der mit 80 Kilometern schmalsten Stelle des
zentralamerikanischen Isthmus einen schiffbaren Kanal zu bauen, der die
Route zwischen Ost- und Westküste der USA um fast 15.000 Kilometer
verkürzen würde.
Nachdem sich der kolumbianische Kongress im August 1903 gegen den Bau eine
Kanals durch die USA ausgesprochen hatte, erwirkte die US-Regierung die
Abspaltung Panamas von Kolumbien. Zwei Wochen später besiegelte der erste
Kanalvertrag das Schicksal des zentralamerikanischen Landes im 20.
Jahrhundert.
Der Vertrag sicherte den USA auf unbegrenzte Zeit die Hoheit über ein 80
Kilometer langes und 16 Kilometer breites Stück Land. Die USA besiegten das
Gelbfieber, überwanden die technischen Schwierigkeiten und bauten bis 1913
einen Kanal mit mehreren Schleusen, der bis heute als eine der größten
Meisterleistungen moderner Ingenieurskunst gilt.
In der sogenannten Kanalzone errichteten sie nach dem Vorbild der
Südstaaten ein Apartheidsystem, dass die überwiegend auf den Antillen
angeworbenen Schwarzen Kanalarbeiter strikt von den weißen US-Amerikanern
trennte.
Der Vertrag verlieh den USA zudem das Recht, bei jeglicher Gefährdung des
Kanals militärisch zu intervenieren. Zwischen 1949 und 1984 betrieben die
Nordamerikaner in der Zone die School of the Americas, an der zehntausende
lateinamerikanische Militärs in Antikommunismus und Foltermethoden
ausgebildet wurden. Auch das Kommando der Südlichen Streitkräfte
(Southcom), das für US-Militäreinsätze in ganz Lateinamerika zuständig ist,
hatte in der Kanalzone seinen Sitz.
## Perspektivlosigkeit lässt Kriminalität steigen
Über die Jahre sorgte der Vertrag immer wieder für Streit und in den 1960er
Jahren für blutige Studierendenproteste. In Folge eines Militärputsches kam
1968 der General Omar Torrijos an die Macht, der autoritär regierte, jedoch
erstmals in der panamaischen Geschichte die marginalisierten
Bevölkerungsschichten in die Politik mit einbezog. „Ich will nicht in die
Geschichtsbücher, sondern in die Kanalzone“, ließ er verlauten und
erreichte am Ende beides.
Im Jahr 1977 unterzeichneten er und US-Präsident Jimmy Carter zwei
Verträge, die die schrittweise Übertragung der Kanalzone an Panama bis Ende
1999 vorsahen. Allerdings behielten die USA das zeitlich unbegrenzte Recht,
zum Schutz des Kanals militärisch zu intervenieren. 1981 starb Torrijos bei
einem Flugzeugabsturz. Bis heute besteht der Verdacht, dass es sich um
einen Anschlag seitens der CIA oder Noriegas gehandelt haben könnte.
Als Ernesto Fitzroy mit seiner Mutter in der Nacht des 20. Dezember
schließlich das Haus verlässt, werden sie zunächst von US-Soldaten
kontrolliert. Auf der Straße sehen sie Leichen und von Panzern überrollte
Fahrzeuge, in denen Familien gesessen hatten. Zwei bis drei Jahre lang
leben Fitzroy und tausende weitere Menschen aus El Chorillo in einem Lager
für Geflüchtete, auf dessen Gelände heute eine der größten Shoppingmalls
des amerikanischen Kontinents steht.
Perspektivlosigkeit und Gewalterfahrungen während der Invasion führten in
den 1990er Jahren zu einer drastischen Zunahme der Kriminalität. „Überall
bildeten sich bewaffnete Banden, es gab ständig Banküberfälle,
Staatsunternehmen wie Telekommunikation und Elektrizität wurden
privatisiert und Arbeiter entlassen“, erinnert sich Fitzroy.
Aber es gab Widerstand. Gewerkschaften, Opfer der Invasion und Studierende
wehrten sich erfolgreich gegen die US-Pläne, den Kanalvertrag neu zu
verhandeln. Auch der Versuch, unter dem Deckmantel des Kriegs gegen die
Drogen im strategisch günstig gelegenen Panama zumindest eine
US-Militärpräsenz über 1999 hinaus sicherzustellen, scheitert.
Die Opfer des 20. Dezember kämpfen weiterhin dafür, dass die Invasion
aufgearbeitet wird. Mit der Einrichtung einer Wahrheitskommission, die vor
allem die genaue Zahl der Todesopfer ermitteln soll, konnten sie 2016 einen
handfesten Erfolg erzielen. „Dass die Regierung die Kommission 20. Dezember
erst nach 25 Jahren geschaffen hat, macht ihre Arbeit jedoch viel
schwieriger“, bemängelt Ayola. „Wir hoffen aber, dass sie dazu beitragen
kann, die Wunden der Vergangenheit zu schließen.“
## Neubauten aus den 1990ern prägen das Bild
Und im vergangenen Jahr empfahl die Interamerikanische
Menschenrechtskommission [5][in einem Bericht], für den die Angehörigen der
Opfer lange gekämpft haben, dass die USA Entschädigungen an die
Hinterbliebenen zahlen sollen. Offizielle Reaktionen darauf gibt es bis
heute zwar noch nicht. „Aber das stärkt uns den Rücken und gibt uns
moralisch recht“, bilanziert Ayola.
In El Chorillo, wo sich bis vor wenigen Jahren Gangs mit Namen wie Vietnam
23 oder Bagdad blutige Revierkämpfe lieferten, hat sich die Lage langsam
gebessert. Verrufen ist das Viertel jedoch noch immer. Die Grenze zur
mittlerweile weitgehend gentrifizierten und aufgehübschten Altstadt ist
nicht zu übersehen. Ein von Schlaglöchern übersäter Flickenteppich löst die
nie neu gepflasterte Straße ab, die noch vereinzelt vorhandenen
Kolonialbauten sind renovierungsbedürftig.
Je weiter man in das Viertel gelangt, desto mehr prägen einfache Neubauten
aus den 1990er Jahren das Bild, die anstelle der niedergebrannten
Holzhäuser entstanden sind. Schriftzüge und Wandbilder erinnern an die
Invasion.
In der Altstadt sind fast ausschließlich Touristen anzutreffen – in El
Chorillo nicht. Hier spielen Kinder Fußball, Bewohner*innen sitzen vor
ihren Häusern, Händler*innen verkaufen Empanadas oder Kaugummis. Im Zentrum
des Viertels spielen überwiegend ältere Personen im Parque de Aburidos, dem
Park der Langweiler, bei lauter Salsa-Musik leidenschaftlich Domino.
Gegenüber befindet sich eine Station der Kommunitär-präventiven Polizei
UPC. Mit einem integrativen Ansatz, der Polizei- und Sozialarbeit
verbindet, soll die UPC seit 2011 vor allem präventiv gegen die
Jugendgewalt im Viertel vorgehen.
An einem Tisch im Eingangsbereich der Polizeistation sitzt Olga Cárdenas
gemeinsam mit anderen Basisaktivistinnen, die in El Chorillo seit Jahren
kulturelle und soziale Arbeit machen. Zum Zeitpunkt der Invasion gehörte
die rüstige Aktivistin mit den rot gefärbten Haaren den so genannten
Bataillonen der Würde an, den Noriega-treuen Zivilmilizen.
Von den damaligen Aktivitäten hat sie sich später distanziert. Da Noriega
genauso wie Omar Torrijos aber aus einfachen Verhältnissen und dem Militär
stammte, habe sie ihn unterstützt. Das eigentliche Verbrechen sei ohnehin
die Invasion gewesen. „Die meisten Jugendlichen wurden erst danach
drogenabhängig und gewalttätig“, sagt Cárdenas.
Auch Ernesto Fitzroy sieht Fortschritte in El Chorillo. Das Modell der UPC
funktioniere jedoch nur, weil er und andere im Viertel bereits seit den
1990er Jahren Präventionsarbeit für Kinder und Jugendliche machten. „Die
Invasion ist 30 Jahre her, die UPC sind noch keine zehn Jahre hier präsent.
Die Regierungen haben sich nie gekümmert.“
Folgt man der Straße vom Parque de los Aburridos, kommt man an Noriegas
ehemaligem Hauptquartier vorbei. Nun befindet sich an der Stelle ein
begrünter Park mit Spielplatz. Das Haus, in dem Fitzroy die Bombardierungen
erlebte, steht am Ende El Chorillos, kurz vor der einstigen Grenze zur
US-amerikanischen Kanalzone. „Als Kind bin ich manchmal heimlich auf die
andere Seite gerannt, um Mangos zu stibitzen“, erzählt er. „Die gab es in
der Zone reichlich, aber wir durften sie nicht einmal vom Boden aufheben.“
Während US-Soldaten vor der Invasion häufig zum Fisch essen an den Strand
von El Chorillo kamen, wäre Fitzroy nach US-Recht belangt worden, wenn ihn
jemals jemand erwischt hätte. Auf dem kleinen Boulevard vor dem Haus
wachsen heute zahlreiche Mangobäume, Fitzroy hat sie vor einigen Jahren
eigenhändig gepflanzt. „Damit wollte ich dem Tod, den es hier gab, mit
Leben begegnen“, erklärt er. „Und zeigen, dass wir unsere eigenen Mangos
haben können.“
17 Dec 2019
## LINKS
[1] /Zum-Tode-von-George-H-W-Bush/!5555022
[2] /Nachruf-auf-Manuel-Antonio-Noriega/!5416978
[3] /Ex-General-Noriega-wieder-in-Panama/!5105569
[4] /Soli-Lesung-fuer-Deniz-Yuecel-in-Berlin/!5392947
[5] https://www.nacion.com/el-mundo/politica/cidh-pide-a-estados-unidos-indemni…
## AUTOREN
Tobias Lambert
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