Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Aktivistin für United Action: „Anderen diese Erfahrung ersparen�…
> Fatuma Musa Afrah hat keine guten Erinnerungen an hiesige
> Flüchtlingslager. Mit Workshops und Konferenzen steht sie geflüchteten
> Frauen bei.
Bild: Geflüchteten Frauen zugewandt: Fatuma Musa Afrah
taz: Frau Afrah, mit Ihrem Verein United Action haben Sie in Rathenow
bereits zwei Konferenzen für geflüchtete Frauen veranstaltet. Was ist die
Idee hinter diesen Konferenzen?
Fatuma Musa Afrah: Oft planen andere für uns, anstatt mit uns
zusammenzuarbeiten. Deshalb verstehen sie unsere Probleme auch nicht
wirklich. Ich wollte daher eine Konferenz machen, auf der wir für uns
sprechen und zusammen mit den Verantwortlichen Lösungen finden. Wir müssen
den Frauen die Handlungs- und Entscheidungsmacht zurückgeben.
Wie laufen die Konferenzen ab?
Wir haben Workshops in verschiedenen Sprachen, damit alle teilnehmen
können, und wir laden Organisationen und Vertreter*innen der kommunalen
Behörden ein. Denn deren Schwierigkeit ist, dass sie oft gar keinen Zugang
zu den Newcomer-Frauen finden, die sie mit ihren Angeboten unterstützen
sollen. Diese Konferenzen sind daher auch eine gute Möglichkeit, sich
gegenseitig kennenzulernen.
Warum sprechen Sie von Newcomer*innen?
Ich bevorzuge das Wort Newcomer*in, weil ich die soziale Diskriminierung
ablehne, die mit dem Wort Flüchtling verbunden ist. Warum sollte ich
jemanden bei einem gemeinsamen Essen oder einem anderen freundschaftlichen
Treffen als Flüchtling ansprechen? Das Wort sollte nur in Büros benutzt
werden, nicht in einer Umgebung, in der wir einander Liebe und Willkommen
zeigen. Klar, Menschen auf der Flucht haben Probleme, aber bitte lasst uns
nicht vergessen, dass es einen Unterschied zwischen einer Situation und
einem Menschen gibt. Der Begriff Newcomer*innen zeigt, dass wir alle
gleich sind, egal in welcher Situation wir uns befinden.
Was ist dabei wichtig?
Mir ist wichtig, den Behörden und auch der Gesellschaft zu vermitteln, dass
die Newcomer-Frauen voller Talente und Fähigkeiten sind und dass wir sie
nicht als Frauen mit Problemen sehen, sondern anerkennen sollten, dass sie
selbst sehr viel beitragen können.
Wie sind Sie selbst dazu gekommen, sich politisch zu engagieren?
Ich komme aus einer Kultur, die viel Positives für Frauen enthält, aber du
bist als Frau nicht gleichberechtigt. Ich bin auch eine muslimische Frau,
und die muslimische Kultur gestalten die Männer oft nach ihren Interessen.
Ich möchte nicht Teil davon sein, und ich will auch andere Frauen dazu
ermutigen, Gutes aus ihrer Kultur beizubehalten und das, was sie
einschränkt, wegzuwerfen. Für Newcomer*innen engagiere ich mich, weil die
Zeit, die ich in Brandenburger Flüchtlingslagern verbringen musste, so
deprimierend war und ich mich so isoliert gefühlt habe, dass ich etwas tun
wollte, um anderen diese Erfahrung zu ersparen oder zumindest zu
erleichtern.
Als Sie in Deutschland angekommen waren, haben Sie zuerst in der
Brandenburger Erstaufnahmeeinrichtung in Eisenhüttenstadt gelebt.
Ja. Es war furchtbar dort. Wir konnten nicht mal ungestört den kurzen Weg
bis zum Supermarkt gehen, denn oft haben uns andere Menschen einfach
geschlagen oder angespuckt. Manche haben uns angeschrien oder Müll in
unsere Richtung geworfen. Außerdem kommen Männer dorthin, um Frauen sexuell
auszunutzen. Sie parken ihre Autos vor dem Eingang zum Heim und rufen dir
nach oder folgen dir zum Supermarkt. Dann kommen sie ganz dicht an dich
heran und fassen sich selbst dabei an. Ich hatte manchmal Todesangst.
Wie lange waren Sie dort?
Einige Monate. Dann kam ich in ein Flüchtlingslager im Spreewald, in der
Gegend von Königs Wusterhausen.
War das besser?
Nein, es war auch furchtbar. Ich wollte mich dort irgendwie in die
Gesellschaft einbringen und war dankbar, dass ich an einer Grundschule als
Englischlehrerin assistieren durfte. Einige der deutschen Kinder hatten
aber noch nie jemanden mit meiner Hautfarbe gesehen, sie haben mich
gefragt, ob ich nachts weiß werde und ob ich überhaupt Haare habe. Manche
Kinder wollten nicht zur Schule kommen, weil sie angeblich Angst vor mir
hatten. Aber ich gebe den Kindern nicht die Schuld. Ich denke, dass das an
der Erziehung der Eltern liegt, die ihnen nichts über Vielfalt und
verschiedene Lebensformen beibringen.
Machen Sie solche Erfahrungen in Brandenburg oft?
Es ist nicht nur ein Problem in Brandenburg, Rassismus gibt es überall, ich
erfahre ihn in Berlin genauso. Aber ich habe den Eindruck, dass die
Menschen dort kaum darüber sprechen. Auch Politiker*innen haben Angst,
dass sie Wählerstimmen verlieren, wenn sie gegen Rassismus angehen. Wir
müssen noch viele Anstrengungen und Kampagnen da reinstecken, um Kontakt
zwischen Menschen herzustellen und politisch gegen Rassismus vorzugehen.
Wie beeinflusst das Ihre Arbeit?
Es ist schwierig, als Schwarze Frau in diesem Bereich zu arbeiten. Auch die
Frauen erzählen mir, dass andere Menschen sie angreifen, dass sie
Zigarettenstummel nach ihnen werfen oder Menschen sie im Vorbeifahren
beschimpfen oder anspucken. Manche Busfahrer*innen weigern sich, sie
mitzunehmen. Ein großes Problem ist auch die Polizei.
Inwiefern?
Die Newcomer*innen haben kaum Vertrauen in die Polizei, und deshalb zeigen
sie rassistische Übergriffe meistens nicht an. Viele Frauen haben nie zuvor
mit der Polizei gesprochen und daher Angst, sie denken, dass ihnen hier in
Deutschland niemand Glauben schenkt oder dass die Polizei zu denen hält,
von denen sie die rassistischen Angriffe erfahren. Für sie wird es also
normal, so etwas zu erleben. Aber das ist es nicht. Deshalb will ich bald
einen Workshop gemeinsam mit den Frauen und der Polizei machen, damit sie
sich gegenseitig kennenlernen.
Wer sind die Frauen, mit denen Sie arbeiten?
Die meisten Frauen, mit denen wir arbeiten, kommen aus Ländern, in denen
sie Probleme haben, weil sie Frauen sind, mal abgesehen von den Kriegen.
Sie hatten oft keine Möglichkeit, zu arbeiten oder zur Schule zu gehen.
Viele sind daran gewöhnt, Männern zu dienen, für sie zu kochen und sie zu
versorgen, sie müssen also erst mal verstehen, warum es wichtig ist, als
Frau für die eigenen Rechte einzustehen, und was es bedeutet, ökonomisch
unabhängig zu sein.
Was sind ihre Wünsche und Ziele?
Wenn ich mit den Frauen spreche, sagen sie, dass sie arbeiten möchten, dass
sie zur Schule gehen und eine Ausbildung machen wollen. Ich sehe all das
Potenzial. Aber wir als Gesellschaft, wir scheitern daran, diesen Frauen
etwas anzubieten, weil das System zu unflexibel ist. Diese Frauen hatten
oft etwas, sie haben vielleicht Tomaten vor ihrem Haus verkauft, oder sie
haben Kleidung genäht. Sie kennen sich aber häufig nicht mit Computern und
der digitalen Welt aus. Ich sehe das Versagen bei der Regierung und auch in
den kommunalen Verwaltungen. Wie können sie ohne Schule, ohne
Kinderbetreuung und ohne Kontakte aktiv werden und teilhaben? Die
Gesellschaft und die Politiker*innen müssen mit uns arbeiten, es wird sich
nichts ändern, wenn sie nicht die Entwicklung der Frauen fördern. Aber die
meisten kümmern sich vor allem um die Männer und erwarten einfach, dass die
Frauen sich anpassen und integrieren.
Ist der Zugang in die Gesellschaft für Männer denn einfacher?
Ja, für Männer ist es viel leichter, sich in die deutsche Gesellschaft zu
integrieren, sie gehen aus und tanzen, oder sie gehen zum Fußball. Für
Frauen mit Kindern oder für Frauen, die Kinder haben, aber ohne Mann hier
sind, oder für Frauen, die einen Mann haben, der nicht hilft, ist es
schwieriger, denn viele haben keinen Kitaplatz. Das sollten wir alles
mitberücksichtigen.
Wie?
Mein Plan ist, auch mit Männern über die Bedeutung von Frauenrechten zu
diskutieren und zu vermitteln, wie wichtig es ist, dass die Frauen auch
ökonomisch etwas beitragen. Dazu müssen wir den Männern aber auch zuhören
und sie langsam fortbilden. Denn viele fühlen sich bedroht und verunsichert
von dem, was wir machen. Wenn ich mit ihnen spreche, verteidigen sie sich
und ihre Sichtweise oft erst mal, aber sie öffnen sich, wenn sie verstehen,
welche Vorteile es hat, dass die Frau herauskommt und arbeitet und den
Kindern bei den Hausaufgaben helfen kann.
Wie bauen Sie Kontakt zu den Frauen auf?
Als wir angefangen haben, mussten viele Frauen ihre Männer um Erlaubnis
fragen, ob sie überhaupt rausgehen dürfen. Außerdem hatten wir zwölf
Nationalitäten ohne Englisch oder Deutsch als gemeinsame Sprache. Da war
gemeinsames Kochen eine gute Art, die Frauen zusammenzubringen. Aber es war
auch nicht ohne Konflikte.
Konflikte beim Kochen?
Ich habe gesehen, dass einige Frauen nichts vom Essen der anderen nehmen
mochten. Ich fand das problematisch, denn wir haben ja eigentlich diese
Tradition als Frauen, dass wir das Essen, das die anderen zubereitet haben,
loben, wenn wir zusammenkommen. Andere haben besonderes Essen
beiseitegelegt oder für sich behalten. Sie sagten, unser Essen ist sehr
speziell und die anderen sind zu viele und werden alles aufessen. Ich habe
sie gebeten, respektvoll zu sein, weil die anderen ja auch gemerkt haben,
was sie machen. Das ist mein Privileg, dass ich ihnen solche Dinge ehrlich
ins Gesicht sagen kann, ich war in der gleichen Situation wie sie und weiß,
worüber ich rede.
Newcomer*innen halten also nicht automatisch zusammen.
Wir vergessen manchmal, dass diese Frauen aus ganz unterschiedlichen
Kulturen kommen und unterschiedliche Mentalitäten haben. Auch ich bin nicht
gleich angenommen worden, meine Hautfarbe war oft ein großes Hindernis. Ich
habe gemerkt, dass einige Frauen mir gegenüber zurückhaltend und reserviert
waren, weil ich Schwarz bin. Das ist für mich besonders schmerzhaft und
raubt mir viel Kraft. Und gleichzeitig muss ich aufpassen, dass sie nicht
denken, dass ich mich nur um die Anliegen von Frauen aus Somalia kümmere.
Wenn ich mit blonden, deutschen Kolleg*innen einen Workshop gemacht
habe, haben sich die Teilnehmer*innen oft an die Kollegin gewandt, weil
sie dachten, dass sie die Chefin ist und diejenige mit den Antworten. Diese
Frauen, von denen ich dachte, dass ich ihnen verbunden bin, weil wir die
gleiche Geschichte haben, haben mich nicht einmal gesehen.
Wie haben Sie darauf reagiert?
Ich habe damals nicht auf mich geachtet und versucht zu ignorieren, wie
sehr mich das Verhalten der Frauen geschmerzt hat. Meine
Mitarbeiter*innen haben dann gesagt, dass wir Workshops über Rassismus
in den Hauptsprachen der Frauen anbieten sollten. Einige haben sich
daraufhin geöffnet und mir gesagt, dass sie mich nicht verlieren wollen,
indem sie mich so behandeln. Aber es geht ja nicht nur um mich. Rassismus
und Vorurteile gibt es überall, auch unter den Newcomer*innen, und
Schwarze Frauen leiden darunter.
Arbeiten Sie jetzt anders, in kleineren Gruppen?
Ich habe früher oft Safe Spaces für Schwarze Frauen kritisiert, weil ich
finde, dass wir alle zusammenbringen sollten. Dann hat mich die Realität
eingeholt. Trotzdem denke ich weiterhin, dass wir, gerade wenn es um
Menschen geht, die in so vielen Bereichen benachteiligt sind, die Türen für
alle aufmachen müssen. Kontakt zwischen den Gruppen hilft. Wenn wir
negative Dinge übereinander erzählen und andere ausschließen, machen wir
die Situation nur schlimmer.
Lässt sich das, was Sie mit den Konferenzen in Rathenow aufgebaut haben,
auf andere Orte übertragen?
Ich habe mich an verschiedenen Orten in Brandenburg engagiert, auch in
Eberswalde, aber dann habe ich gemerkt, dass ich länger bleiben muss, um
nachhaltig etwas zu verändern. Anfangs war mir auch nicht klar, wie lange
ich in Rathenow und Premnitz arbeiten würde (lacht). Mein Ziel ist es,
dort die Angebote zu verankern und dann weiterzuziehen. Anfangs hing noch
viel an mir. Jetzt übergeben wir möglichst bald die Verantwortung an eine
der Frauen aus der Gruppe. In Premnitz bin ich jetzt nur noch selten.
Was sind Ihre nächsten Projekte?
Ich möchte mit Restaurants und Unternehmen zusammenarbeiten, um zu sehen,
wie Frauen eingebracht werden können und was sie dort auf Grundlage ihrer
Kenntnisse und Fähigkeiten vielleicht auch an kleinen Dingen tun können.
Wir müssen jetzt mit den Frauen arbeiten, nicht irgendwann, wenn es
eigentlich zu spät ist. Dann ist es mir besonders wichtig, mit Mädchen zu
arbeiten, die Gefahr laufen, zwischen der deutschen und einer anderen
Kultur verloren zu gehen. Wir wollen den Mädchen ihre Rechte zeigen, aber
es ist auch wichtig, mit den Eltern zu arbeiten. Während eines Workshops
hat ein Mädchen mal zu mir gesagt: „Wenn ich nach Hause komme nach der
Schule, geht mein Bruder zum Fußball, und ich helfe meiner Mutter in der
Küche.“ Da fängt die Ungleichheit schon an, und die Gesellschaft schafft es
nicht, angemessene Rollen zu definieren.
5 Jan 2020
## AUTOREN
Uta Schleiermacher
## TAGS
Geflüchtete Frauen
Berlin Brandenburg
Somalia
Flüchtlinge
CCC-Kongress
## ARTIKEL ZUM THEMA
Ein Jahr UN-Flüchtlingspakt: Eine riskante Entwicklung
Die finanziellen Lücken, die für viele Millionen Menschen ein Leben in
Elend bedeuten, vermag der UN-Flüchtlingspakt nicht zu schließen.
Chaos Communication Congress: Im digitalen Woodstock
2015 war kein gutes Jahr für das Digitale. Viele Teilnehmer des CCC blicken
mit Zynismus zurück – und feiern ihre Helden wie Popstars.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.