# taz.de -- Coming-out in Istanbul: Eine helfende Hand | |
> In der verletzlichsten Phase meines Leben hatte ich Unterstützung von | |
> einem guten Freund. Seinen Namen habe ich vergessen, seine Hilfe nie. | |
Bild: Ganz praktische Hilfe bei einer trans Modenschau in Istanbul 2014 | |
Heute erzähle ich Ihnen von der Zeit nach meinem Coming-out. Es war eine | |
aufwühlende Zeit. Einerseits war da die Aufregung, die man am Anfang eines | |
neuen Lebens spürt, auf der anderen Seite die Enttäuschung, dass meine | |
Job-Bewerbungen wegen meiner trans Identität abgelehnt wurden. Ich war | |
gerade mit einer Freundin zusammengezogen, die in Etiler lebte, einem | |
Stadtviertel, das damals als Istanbuler West Beverly Hills galt, weil hier | |
viele Prominente wohnten. | |
Eines Abends gingen wir in eine kleine Bar in unserer Straße. Auf der Bühne | |
stand eine junge Frau, die türkische Popsongs sang. Sie wurde später als | |
Hande Yener berühmt. An diesem Abend gingen einige Champagnerflaschen über | |
den Tisch. Die Bar war voller Männer, einer attraktiver als der andere. Sie | |
müssen wissen, die Männer, die man in Istanbul in Bars trifft, sind | |
meistens sehr schick und sexy, und sie tragen Markenkleidung. | |
An diesem Abend lernte ich einen Basketballspieler kennen, an dessen Namen | |
ich mich nicht mehr erinnere. Ein unglaublich sexy afroamerikanischer Mann | |
aus Chicago. Unter normalen Umständen hätte ich ihn gleich mit nach Hause | |
genommen, aber zwischen uns entstand schnell eine eigenartige Nähe. Er | |
behandelte mich wie seine kleine Schwester. | |
Die Tage vergingen, und wir verbrachten viel Zeit miteinander. Eines Tages | |
setzte mich meine Freundin mit einer kruden Erklärung vor die Tür. Sie | |
erzählte irgendetwas von einem alten weißbärtigen Mann, der ihr im Traum | |
gesagt haben soll, dass ich ausziehen muss. Es traf mich völlig | |
unvorbereitet, denn ich hatte keinerlei Probleme mit meiner Freundin | |
gehabt. | |
## Nichts fürchten | |
Als ich mich wieder einigermaßen gesammelt hatte, rief ich den Basketballer | |
an. Wir hatten uns in letzter Zeit viel getroffen, wahrscheinlich dachte | |
ich deshalb zuerst an ihn. Genau eine Stunde nach meinem Anruf kam er mich | |
abholen. Mit einem schwarzen Porsche, neuestes Modell, im weißen Hemd, das | |
nur mit einen Knopf zugeknöpft war, und einem Parfüm, das „Hey, komm, | |
schlaf mit mir“ rief. Der Typ war superheiß, ayol. | |
Ich blieb einen Monat bei ihm in der Wohnung. Zwischen uns entstand eine | |
enge Freundschaft. Er sagte mir, dass ich mich vor nichts fürchten dürfe | |
und bis zuletzt kämpfen müsse. Es gab auch interessante Momente in dieser | |
Wohnung. Mein Freund benutzte zum Beispiel nie ein Handtuch, wenn er aus | |
der Dusche kam. Das waren für mich echt schwierige Momente und eine sehr | |
aufregende Erfahrung. | |
Irgendwann fand ich eine neue Wohnung und zog aus. Danach brach der Kontakt | |
in all dem Umzugsstress ab. Später las ich in der Zeitung, dass er nach | |
Chicago zurückgekehrt war. Ich habe ihn nie wieder gesehen. Auch wenn mir | |
sein Name nicht mehr einfällt, werde ich nie diesen Freund vergessen, der | |
mir in der schwersten Zeit meines Lebens so sehr geholfen hat. Im Leben | |
eines Menschen gibt es ja diese Konjunktive, man denkt sich: „Wenn ich doch | |
nur …“. Mein größter Konjunktiv ist er. | |
2 Jan 2020 | |
## AUTOREN | |
Michelle Demishevich | |
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