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# taz.de -- Urteil zu sexueller Selbstbestimmung: Sie darf
> Eine schwangere Teenagerin verklagt ihre Mutter: Sie will abtreiben, die
> Mutter ist dagegen. Ein Gericht entschied nun im Sinne der Schwangeren.
Bild: Postiver Schwangerschaftstest
Berlin taz | Eine 16-Jährige wird schwanger, kann sich aber nicht
vorstellen, ein Kind zu bekommen. Ihre Mutter, bei der sie wohnt, ist gegen
einen Abbruch. Darf die junge Frau selbst entscheiden, ob sie die
Schwangerschaft abbrechen lässt? Muss sie ihre Eltern informieren und um
Erlaubnis bitten? Müssen dann beide, Mutter und Vater, einverstanden sein?
Das Oberlandesgericht (OLG) Hamm hat diese Fragen Ende vergangener Woche
zugunsten der jungen Frau entschieden. Ihr Anwalt, Oliver Tolmein von der
Hamburger Kanzlei „Menschen und Rechte“, begrüßte das Urteil als „Ausdr…
eines modernen Medizinrechts“.
Die Frage, ob die Sorgeberechtigten zustimmen müssen, wenn eine
Minderjährige eine Schwangerschaft abbrechen lassen will, ist in
Deutschland nicht gesetzlich geregelt und in der juristischen Literatur und
Rechtsprechung umstritten. Das Urteil ist daher wegweisend.
Im aktuellen Fall hatte die junge Frau, nachdem sie festgestellt hatte,
dass sie schwanger war, [1][sich über Abbruchmöglichkeiten informiert] und
mit Familie und Freunden gesprochen. Auch einen Termin bei einer
Beratungsstelle hatte sie wahrgenommen. Dieser ist in Deutschland für einen
straffreien Abbruch bis zur zwölften Woche verpflichtend.
Der Vater der Schwangeren war mit dem Abbruch einverstanden, die Mutter war
laut Urteilsbegründung „entschieden dagegen“, da sie streng katholisch ist.
Die getrennt lebenden Eltern haben das gemeinsame Sorgerecht. Ein
Vermittlungsversuch des Jugendamtes zwischen der jungen Frau und ihrer
Mutter scheiterte. Um das Kind nicht austragen zu müssen, hat die
Schwangere selbst ein Gerichtsverfahren zur Abwendung einer Gefährdung des
Kindeswohls, also ihres eigenen Wohls, angestrengt. Die erste Instanz war
zu dem Schluss gekommen, dass eine solche Gefährdung nicht vorliege.
## Zentrales Kriterium: Einwilligungsfähigkeit
Gegen diese Entscheidung legte die junge Frau Beschwerde ein, nun mithilfe
von Anwalt Tolmein. Sie argumentierte, dass eine Zustimmung der Eltern gar
nicht erforderlich sei, da sie selbst die nötige Einsicht und
Entscheidungskompetenz besitze.
Ein Urteil des OLG Hamm aus dem Jahr 1998 war zu dem Schluss gekommen, dass
eine Minderjährige bis zum Eintritt der Volljährigkeit keine rechtswirksame
Einwilligung zu einer Heilbehandlung und noch weniger zu einem
[2][eigentlich rechtswidrigen Schwangerschaftsabbruch] erteilen könne. In
Anbetracht möglicher schwerer physischer und psychischer Folgen scheine es
nicht vertretbar, einer Minderjährigen eine solche Entscheidung
aufzubürden, die sie in Hinblick auf die ethisch-moralische Entscheidung
überfordern müsse.
Eine Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und
Geburtshilfe zu Rechtsfragen bei der Behandlung Minderjähriger vom Oktober
geht dagegen davon aus, dass einwilligungsfähige Minderjährige
grundsätzlich selbst über eine Abtreibung entscheiden könnten. Um als
einwilligungsfähig zu gelten, müssen Minderjährige Bedeutung und Tragweite
des ärztlichen Eingriffs verstehen können. Je komplexer der Eingriff, desto
weiter entwickelt müsse die Einsichts- und Entscheidungsfähigkeit
entwickelt sein.
Die Fachgesellschaft argumentiert, dass das Selbstbestimmungsrecht von
Minderjährigen verfassungsrechtlich geschützt sei, mit zunehmender Reife
müsse daher das elterliche Erziehungsrecht zurücktreten.
Das Gericht schloss sich in seinem Urteil dieser Auslegung an: Die
16-Jährige wurde für einwilligungsfähig erklärt. Sie könne also über eine
Abtreibung entscheiden, ohne dass ihre Eltern zustimmen müssten.
Nicola Völckel, die den Bereich Beratung beim AWO Bezirksverband
Niederrhein leitet, sagte der taz, sie begrüße es, dass „mit dem Urteil das
Selbstbestimmungsrecht junger Frauen gestärkt wurde und die junge
Schwangere die Möglichkeit bekam, über den Abbruch der Schwangerschaft
eigenverantwortlich zu entscheiden“. Die 16-Jährige konnte die
Schwangerschaft inzwischen beenden.
4 Dec 2019
## LINKS
[1] /Pro-Familia-Zentrum-in-Bremen/!5642194
[2] /Patriarchale-Rechtslage-bei-Abtreibungen/!5600381
## AUTOREN
Kirsten Achtelik
## TAGS
sexuelle Selbstbestimmung
Gerichtsurteil
Schwerpunkt Abtreibung
Sorgerecht
Schwerpunkt Paragraf 219a
Russland
Schwerpunkt Paragraf 219a
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