# taz.de -- Nachruf auf Olympiasieger: Der Warmduscher | |
> Roland Matthes, der erfolgreichste deutsche Schwimmer, ist tot. Der | |
> Rückenspezialist des SC Turbine Erfurt brach 21 Weltrekorde. | |
Bild: „Nicht alles ist mit Doping zustande gekommen“: Matthes beim Europacu… | |
In Erfurt definiert man sich gern über sportliche Erfolge. Die | |
Eisschnelllaufhalle im Süden der Stadt ist nach Gunda Niemann-Stirnemann | |
benannt, und die ehemalige Süd-Schwimmhalle, zwei Steinwürfe davon | |
entfernt, heißt seit 2011 Roland-Matthes-Schwimmhalle. Hier hat Matthes | |
Tausende von Kilometern im Chlorbecken abgespult. | |
Das Schwimmen hat der wohl größte Rückenschwimmer aller Zeiten allerdings | |
im Hermannsbad gelernt, einem ollen 25-Meter-Becken in der Nähe des Doms, | |
das zu DDR-Zeiten den Charme einer Besserungsanstalt verströmte. | |
Wie eigentlich alle sportlich halbwegs begabten Kinder unterzog man den | |
kleinen Roland Matthes einer Sichtung. Er landete bei den Leichtathleten | |
und den Schwimmern, was ein wenig verwundert, denn das „Sensibelchen“, als | |
das er galt, musste sich dem besonders rauhen Ton der Schwimmlehrer im | |
Sportklub des SC Turbine Erfurt stellen. Doch er hatte wohl Glück, weil er | |
an die Trainerin Marlis Grohe geriet, die den Jungen nicht nur stumpf | |
trainierte, also Kacheln zählen ließ, sondern ihn auch ein wenig | |
bemutterte. | |
## Ästhet im Schwimmbecken | |
Noch heute kennt man in der Schwimmszene die Geschichten von dem Jungen, | |
der, weil er zu Hause nur ein Klo auf halber Treppe und kein eigenes Bad | |
hatte, sich ewig unter die Dusche stellte, um sich das warme Wasser auf den | |
Kopf rieseln zu lassen. Vielleicht war es das, was ihn bereitwillig zum | |
Kaderschwimmer werden ließ, zum Olympiasieger von Mexiko und München, 1968 | |
und 1972, zu einem Athleten, der 21 Weltrekorde aufstellte und von April | |
1967 bis August 1974 bei Rennen ungeschlagen blieb. Sein ästhetischer | |
Schwimmstil war berüchtigt. | |
Die britische Journalistin Pat Besford nannte den Thüringer im Swimming | |
World Magazine den „Rolls Royce im Wasser“; seine „außergewöhnlich runde | |
Rückenhaltung ermöglicht ihm in Verbindung mit ausgefeilter Schlagtechnik | |
eine elegante Gleitfähigkeit im Kampf mit dem nassen Element“, wollte die | |
Schreiberin erkannt haben. Andere nannten ihn den „Mark Spitz des | |
Rückenschwimmens“. | |
Er selbst hatte es mit solchen Superlativen nicht so gehabt, „ich sehe mich | |
als Mensch wie jeder andere auch. Damals war der Sport noch Kultur, heute | |
geht es in die Richtung Un-Kultur, Entertainment. Ich bin noch erzogen | |
worden, die Rübe nicht über die anderen hinauszustecken“, sagte er in einem | |
Interview mit der Thüringer Allgemeinen. | |
## „Mein Langer braucht Bananen“ | |
Makellos war der Sport freilich schon damals nicht. Die DDR baute ihre | |
Erfolge auf dem Fundament des Medikamentenmissbrauchs auf. Matthes und | |
Grohe gaben stets an, die Hände von dem Teufelszeug gelassen zu haben. | |
Angeblich habe bereits 1970 ein Berliner Sportfunktionär die Erfurter | |
Trainerin auf „unterstützende Mittel“, also Dopingsubstanzen wie | |
Oral-Turinabol, angesprochen, sie habe aber geantwortet: „Mein Langer | |
braucht Bananen, keine Pillen.“ | |
Das erinnert so ein bisschen an den Erklärungsversuch des Erfurter Gehers | |
Hartwig Gauder, Olympiasieger von 1980, dessen Wundermittel aus einem Sud | |
aus Waldheidelbeeren bestanden haben soll. Matthes gab vor, in der Provinz | |
abseits der großen Dopingströme gesessen zu haben und schon allein deswegen | |
nicht in Versuchung gekommen zu sein. Aber gedopt wurde natürlich nicht nur | |
beim SC Dynamo Berlin, sondern auch im Sport-Club Turbine. | |
Matthes war als Leistungssportler in der DDR privilegiert. Mit 22 kaufte er | |
sich einen Wartburg, nach dem Karriereende baute ihm die Partei ein | |
stattliches Einfamilienhaus am Rand des Erfurter Steigerwaldes. Dort wohnte | |
er mit der Schwimmerin Kornelia Ender als Traumpaar des DDR-Sports, doch | |
als die Ehe nach vier Jahren endete, musste Matthes das Haus verlassen. | |
Er fiel in Ungnade, weil er es gewagt hatte, auf der Nichteinmischung in | |
sein Privatleben zu bestehen. Nach seinem Studium als Sportlehrer an der | |
DHfK in Leipzig sattelte er noch ein Medizinstudium an der Uni Jena drauf. | |
Er wurde Arzt in der orthopädischen Klinik von Erfurt, gleich um die Ecke | |
vom Hermannsbad. | |
Nach dem Mauerfall suchte er seine Chance im Westen, arbeitete dem | |
legendären Fechttrainer Emil Beck in Tauberbischofsheim zu, verließ ihn | |
aber, als er das Gefühl hatte, den Trainergott nur noch von A nach B | |
chauffieren zu müssen. Er kaufte eine Praxis im Spessart, wo er – logisch – | |
ein Spezialist für Rücken wurde. 2006 wurde er in die [1][Ruhmeshalle des | |
deutschen Sports] aufgenommen. | |
Am Freitag ist Roland Matthes mit 69 Jahren nach kurzer, schwerer Krankheit | |
gestorben. | |
22 Dec 2019 | |
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## AUTOREN | |
Markus Völker | |
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