Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Argumente ernst nehmen: 68er-Chiffren überwinden
> Der Fokus der Zukunftsbereiten muss sich auf das Gemeinsame richten.
> Warum die Erzählung, Deutschland sei gespalten, nur den Falschen hilft.
Bild: Klimaaktivistin Greta Thunberg zweifelt: Hört man ihr zu?
Als die Klimapolitikaktivistin Greta Thunberg in diesem Jahr vor dem
britischen Parlament sprach, unterbrach sie sich plötzlich und fragte:
„Haben Sie gehört, was ich gerade gesagt habe? Ist mein Englisch okay?“ Das
Publikum lachte, jaja, ihr Englisch sei prima. Thunberg machte ihr
Thunberg-Gesicht und sagte todernst: „Ich beginne, daran zu zweifeln.“
Es wird viel gesprochen, aber hören Leute auch zu, was andere sagen, und,
mehr noch, werden Argumente ernst genommen? Letzteres scheint mir eine
zentrale Aufgabe für 2020 zu sein.
Emotion habe Information abgelöst, sagt der Medienprofessor Bernhard
Pörksen. Wir sind Teil einer Emotionsindustrie und Emotionsgesellschaft,
die wir längst nicht nur in den Silicon-Valley-Plattformen veranstalten,
sondern auch auf Parteitagen, in klassischen Medien und bei jeder Party.
Das liegt auch daran, dass nicht Politik, sondern Identität verkauft und
ausgestellt werden soll, dass die meisten Moves also nicht auf
gesellschaftliche Veränderung zielen, sondern auf die Stabilisierung des
eigenen Ichs, bevorzugt in Abgrenzung zu anderen.
Je nachdem sind das dann Nazis, Linke, Migranten und Flüchtlinge,
[1][Kartoffeln] und alte weiße Männer. Und angeblich klimareligiöse
Verbotsfetischisten (also ich als Vertreter sozialökologischer
Ordnungspolitik). Dass das Muster identitärer Stabilisierungsversuche
jenseits der Problemstellungen auch für Parteien im Niedergang gilt, kann
man bei SPD („linker!“) und CDU („konservativer!“) schön verfolgen.
Aber der Spin einer angeblichen „Spaltung“ der bundesrepublikanischen
Gesellschaft hilft nur den strategischen oder fahrlässigen Spaltern,
deshalb muss sich der Fokus der Zukunftsbereiten auf das Gemeinsame und
Positive richten. Also: Das demokratiegefährdende Sprechen des
Bundesinnenministers („Herrschaft des Unrechts“) und die sprachliche
Verwahrlosung des bayerischen Ministerpräsidenten („Asyltouristen“) haben
keine Stimmen gebracht, im Gegenteil, sodass die CSU-Politiker sich
rezivilisiert haben.
Währenddessen machen wir einen demokratiesichernden Schritt in die Zukunft
dank Fridays for Future. Zum Leidwesen der Neurechten und Altlinken, von
FDP und FAZ arbeitet die politische Teenager- und Twenbewegung nicht mit
den alten 68er-Chiffren.
Sie will weder den Staat überwinden noch die Staatsform durch höhere
Moraldiktatur ersetzen. Indem sie immer und immer wieder von der Regierung
ernsthafte Klimapolitik verlangt, adressiert sie sie als zuständig. Und
indem sie auf eine neue Regierung zielt, erkennt sie die
parlamentarisch-demokratische Mehrheit als Grundvoraussetzung und auch als
Mittel für Change an.
Entweder gibt es ernsthafte Klimapolitik durch eine neue und wohl
allenfalls knappe Mehrheit – oder es gibt keine. Auch wenn das hart wird
für die Jungen, aber dafür braucht es jetzt auch Toleranz gegenüber der
Langsamkeit politischer Prozesse.
Die Stärkung der liberalen Demokratie und ernsthafte Klimapolitik
zusammenzubringen, das ist die Aufgabe derjenigen, die sich als dynamische
Mitte der Gesellschaft verstehen. Sie muss von Diana Kinnert bis Luisa
Neubauer, von Kevin Kühnert bis Andreas Jung (CDU) reichen. Und noch weit
darüber hinaus.
Dieser neue Aufbruch kommt nicht mit einer charismatischen Führungsfigur an
der Spitze. Auch das ist Illusion. Der Aufbruch der zwanziger Jahre
funktioniert über politische Vertrauensfiguren, die das Zentrum der
aufbruchbereiten Gesellschaft abbilden, mehrheitsfähig machen und auf der
Grundlage sozialökologischer Marktwirtschaft die verschiedenen
Gesellschaftssysteme zielorientiert moderieren und dadurch dynamisieren.
Wenn Sie jetzt gehört haben, was ich gesagt habe, können wir in den
inhaltlichen Streit gehen.
21 Dec 2019
## LINKS
[1] /Kartoffeln/!t5038298/
## AUTOREN
Peter Unfried
## TAGS
Schwerpunkt Klimawandel
Kevin Kühnert
Identitätspolitik
Schwerpunkt Fridays For Future
Schwerpunkt Klimawandel
Jahresrückblick
## ARTIKEL ZUM THEMA
Klimapolitik in den neuen 20er Jahren: Jenseits von Bullshit
Ernsthafte Klimapolitik ist die beste Verteidigung der liberalen
Demokratie. Deshalb hilft kein Metagespräch mehr oder privatistischer
Pipifax.
Vielgeklickt auf taz.de 2019: Nazis, Greta, Lungenärzte
Auf taz.de waren 2019 einige Texte besonders erfolgreich. Die
Autor*innen beschreiben Hintergründe und Folgen ihrer Artikel.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.