Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Vertrauensanwalt in der Türkei verhaftet: Riskante Recherchen
> Bei der Festnahme von Yılmaz S. sind Daten von Asylsuchenden an den
> türkischen Geheimdienst gelangt. Dafür sind auch die deutschen Behörden
> verantwortlich.
Bild: Yılmaz S. holte im Auftrag der deutschen Botschaft in Ankara Information…
Am 18. November bekam Leyla Birlik einen Anruf von der Polizei. Die
ehemalige HDP-Abgeordnete aus dem südosttürkischen Şırnak war ein Jahr
zuvor nach Deutschland geflohen und hatte hier Asyl beantragt. Şırnak war
während der achtmonatigen Ausgangssperre 2016 zu großen Teilen vom
türkischen Militär zerstört worden, Birlik war mehrmals festgenommen und in
Abwesenheit zu einer Haftstrafe verurteilt worden. Vor fünf Monaten wurde
ihr Asylantrag in Deutschland bewilligt.
Nun erfuhr Birlik am Telefon, dass persönliche Daten von ihr in den Händen
des türkischen Geheimdiensts MIT gelandet waren. Die Polizisten teilten ihr
mit, dass ein Vertrauensanwalt der deutschen Botschaft in Ankara
festgenommen worden sei und bei der Durchsuchung seines Büros Birliks Daten
gefunden worden seien. Sie sagten, dass sie deswegen besorgt seien und
Birlik vorsichtig sein solle.
Die Verhaftung des Kooperationsanwalts, der im Auftrag der deutschen
Botschaft in der Türkei für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
(Bamf) Informationen einholte, ist nicht nur außenpolitisch brisant. Denn
bei seiner Festnahme gelangten nicht nur die persönlichen Daten der
kurdischen Politikerin Leyla Birlik in den Besitz des türkischen
Geheimdiensts, sondern offenbar sensible Daten aus laufenden Asylverfahren
von mehreren hundert Geflüchteten aus der Türkei. Das wirft die Frage auf,
welche Verantwortung deutsche Behörden dafür tragen, dass Schutzsuchende
durch fahrlässigen Umgang mit sensiblen Daten in Gefahr gebracht wurden.
Der Anwalt Yılmaz S. war bereits am 17. September von einem Sonderkommando
des Polizeidirektorats für organisierte Kriminalität in Ankara festgenommen
worden. Das fünfköpfige Team hatte ihn observiert. Dem Kooperationsanwalt
wird Spionage vorgeworfen. S. war auf dem Weg zur deutschen Botschaft. Er
hatte im Auftrag der deutschen Botschaft für das Bamf die Angaben der
Fluchtgründe von Asylsuchenden überprüft und recherchiert, welche Gefahren
ihnen bei einer Rückkehr in die Türkei drohen würden.
Am 18. September berichtete die türkische Tageszeitung Hürriyet über die
Festnahme des Vertrauensanwalts. Die Nachricht fand weder in den türkischen
noch in den deutschen Medien weitere Beachtung. Am 19. September erfuhr das
deutsche Innenministerium, dass der Kooperationsanwalt festgenommen wurde,
am 25. September wurde das Bundeskriminalamt informiert und per Erlass
aufgefordert, über die Landeskriminalämter die Betroffenen zu kontaktieren.
Das teilten die deutschen Behörden vergangene Woche in einer Sondersitzung
des Innenausschusses mit.
## 283 weitere Datensätze
Mitte November veröffentlichten NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung sowie der
Spiegel ihre Recherchen über die Verhaftung des Vertrauensanwalts. Nun
schlug der Fall Wellen. Der Präsident des Bamf, Hans-Eckhard Sommer, sprach
von einem „außenpolitischen Skandal“, die Menschenrechtsorganisation Pro
Asyl bezeichnete die Festnahme des Anwalts als „größten anzunehmenden
Unfall“, Außenminister Heiko Maas setzte sich bei seinem türkischen
Amtskollegen Mevlüt Çavuşoğlu für eine schnelle Lösung ein. Die Opposition
forderte umfassende Aufklärung des Schadensausmaßes.
Bei der Festnahme habe Yılmaz S. 47 Akten zu laufenden Asylverfahren bei
sich getragen, von denen 83 Personen betroffen seien, sagten die Behörden
im Innenausschuss des Bundestags. Bei der Durchsuchung seines Büros seien
weitere 283 Akten beschlagnahmt worden. Welche Daten in den Akten standen,
ist nicht bekannt, es handelt sich laut dem Bamf jedoch nicht um die
Asylakten.
Leyla Birlik wurde erst zwei Monate nach der Festnahme des
Vertrauensanwalts informiert, dass auch ihre persönlichen Daten sich unter
den beschlagnahmten Akten befinden. Sie fragt sich, warum das Bamf ihre
Fluchtgründe bei den türkischen Behörden nachgeprüft hat – schließlich s…
die Verfahren, die gegen sie eingeleitet wurden, öffentlich zugänglich.
Über Birliks Festnahmen berichteten türkische Medien. Vor allem aber
versteht sie eines nicht: „Dass Monate, nachdem ich meine
Aufenthaltsgenehmigung bekommen habe, meine Akte im Büro des Anwalts
aufbewahrt wird, finde ich nicht richtig“, sagt sie. „Die Behörden tragen
eine Verantwortung. Das ist nachlässig, meine Daten hätten gelöscht werden
müssen.“
Das Bamf antwortet auf Anfrage von taz gazete, Kooperationsanwälte hätten
„weder Einsicht in noch Zugriff zu Asylakten“. Das Bundesamt übermittle
keine Asylakten an das Auswärtige Amt, sondern „ausgewählte Informationen,
die für das Erkenntnisinteresse wichtig sind“. Im Innenausschuss teilte das
Auswärtige Amt mit, für die Anfragen die Grunddaten der Person ohne
Anschrift mit der Kurzbeschreibung des Sachverhalts geschickt zu bekommen.
Die Zusammenarbeit mit Kooperationsanwälten stelle eine europaweit gängige
Praxis dar, so das Bamf.
## Die Gefahr, dass sensible Daten in falschen Händen landen
Der Anwalt von Yılmaz S., Levent Kanat, bestätigt, dass die Kooperation von
Auslandsvertretungen mit Vertrauensanwälten üblich ist. Die Türkei habe
Kenntnis davon, deshalb bezeichnet Kanat den Spionagevorwurf als haltlos.
Weil die Akte seines Mandanten als geheim eingestuft ist, kann er nicht
viel sagen. Doch er erklärt taz gazete gegenüber, wie die deutsche
Botschaft mit dem Vertrauensanwalt zusammenarbeitete: Die Botschaft bekam
vom Auswärtigen Amt Rechercheanfragen mit Akten, die sie Yılmaz S. zur
Überprüfung gab. S. holte die angefragten Informationen bei der
Staatsanwaltschaft ein.
Das sei ein Recht, das jeder Anwalt in Anspruch nehmen könne. Manche
Rechercheaufträge gab S. an seinen Kollegen, den Rechtsanwalt Baki D. in
Diyarbakır, weiter. D. arbeitete nicht für die deutsche Botschaft, doch er
unterstützte S. bei manchen Anfragen. Er wurde im September ebenfalls
festgenommen, jedoch nach wenigen Tagen unter Sicherheitsauflagen wieder
freigelassen.
„Es ist datenschutzrechtlich problematisch, dass die Daten einer Person,
die in Deutschland Schutz sucht, in die Hände der türkischen Polizei
gelangen“, sagt Leyla Birliks Anwalt Dogan Akin. Die Daten seiner Mandantin
seien besonders sensibel, weil sie als ehemalige Abgeordnete eine Person
des öffentlichen Lebens sei. „Sobald Daten an dritte Personen gegeben
werden, besteht die Gefahr, dass sie in den falschen Händen landen.“
Auch der Rechtsanwalt und Vorstand des Flüchtlingsrats Niedersachsen,
Dündar Kelloğlu, sagt, dass die Übermittlung von Daten zur Recherche in
ihrem Herkunftsland „absolut im Widerspruch zum Datenschutz“ stehe. Das
Asylrecht verlange von den Schutzsuchenden nicht, dass sie ihre
Fluchtgründe nachweisen, sondern nur, dass sie „glaubhaft machen, dass sie
in der Türkei einer politischen Verfolgung ausgesetzt sind“, betont er. Das
heißt, Geflüchtete müssen im Asylverfahren keine Beweise bringen, sondern
nur glaubhaft erklären, dass sie in ihrem Herkunftsland verfolgt wurden.
Seit dem Putschversuch im Juli 2016 ist das Bamf Kelloğlu zufolge von
diesem Grundsatz abgerückt und verlangt Nachweise im Herkunftsland. Er
wirft dem Bundesamt eine Haltung des Misstrauens vor. „Vor dem
Putschversuch waren solche Recherchen eine absolute Ausnahme“, sagt er,
„inzwischen ist das zu einer Regel geworden, es werden reihenweise
Rechercheaufträge gestellt.“ Er geht davon aus, dass der Spionagevorwurf
nun ein Vorwand der Türkei war, an die Daten von Asylsuchenden in
Deutschland zu kommen.
## Ein innenpolitischer Skandal
Die Praxis der Vertrauensanwälte müsse grundsätzlich geprüft werden,
fordert die migrationspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Filiz
Polat. „Es muss die Ausnahme bleiben, dass man die Beweislage im
Herkunftsland überprüfen lässt. Das sind hoch sensible Daten.“ Seit dem
Amtsantritt des Bamf-Präsidenten Hans-Eckhard Sommer im Juni 2018 scheine
es eine systematische Misstrauenskultur beim Bamf zu geben.
„Das ist nicht nur ein außenpolitischer, sondern vor allem auch ein
innenpolitischer Skandal“, sagt Polat taz gazete. Sie fordert eine
umgehende Aufklärung der gesamten Dimension der betroffenen Fälle. „Das
Bamf versucht jetzt die Verantwortung auf das Auswärtige Amt zu schieben,
indem sie von einem außenpolitischen Skandal sprechen und die eigene
Verantwortung von sich weisen. Das Bamf darf sich hier nicht aus der Affäre
ziehen“, sagt sie.
Die Betroffenen, deren Daten an die türkischen Behörden gelangten, werden
nicht abgeschoben, hieß es im Innenausschuss am vergangenen Mittwoch. In 27
Fällen habe das Bamf ohnehin Schutz gewährt, sagte der SPD-Innenpolitiker
Lars Castellucci der dpa nach der Sitzung. 18 Anträge seien nachträglich
bewilligt worden. In zwei weiteren Fällen liege zwar kein Asylgrund vor,
mit einer Abschiebung müssten die Betroffenen aber dennoch nicht rechnen.
Leyla Birlik weiß bis heute nicht, welche Daten in die Hände des
Geheimdiensts gelangt sind. Sie hat das Bamf um eine Erklärung gebeten.
„Geht es um meine ganze Akte, alle meine Aussagen?“ Eine Antwort auf diese
Fragen hat sie vom Bamf bisher nicht erhalten.
3 Dec 2019
## AUTOREN
Elisabeth Kimmerle
## TAGS
taz.gazete
Politik
Asyl
Türkei
## ARTIKEL ZUM THEMA
Geflüchteter klagt gegen Asylablehnung: Plötzlich nicht mehr „unbegründet�…
Das Erdoğan-Regime hat 2019 deutsche Asylunterlagen erbeutet. Der Kurde
Sefkan S. geriet dadurch in Gefahr – vielleicht zu seinem großen Glück.
Ausspähungen durch den türkischen Staat: Asylsuchende in Gefahr
Nach der Verhaftung eines Anwalts der Deutschen Botschaft in Ankara
befürchtet die Regierung Übergriffe des türkischen Geheimdienstes in
Deutschland.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.