# taz.de -- Was ist Sex?: Dr. Sommer hätte Schwierigkeiten | |
> Die Philosophin Alenka Zupančič plädiert für das Denken der | |
> Widersprüche. In ihrem neuen Buch führt sie vor, weshalb | |
> Identitätsbildung unmöglich ist. | |
Bild: Sex ist das, was sich entzieht. Natürlich nur philosophisch gesehen | |
Der Titel des neuesten Buches von Alenka Zupančič erinnert an eine der | |
Fragen zu Liebe, Sex und Zärtlichkeit aus der Jugendzeitschrift Bravo: „Was | |
ist Sex?“ Doch wahrscheinlich, und das ist die Pointe der slowenischen | |
Philosophin, wüsste darauf nicht einmal der legendäre Dr. Sommer eine gute | |
Antwort. Unter Sex verstehen wir zwar eine schier unendliche, weil immer | |
wieder an die Grenze des Vorstellbaren stoßende Menge von Dingen, die | |
Menschen Lust bereiten. Aber was ist Sex, unabhängig von all dem? Gibt es | |
Sex an sich? Die überraschende Antwort von Zupančič lautet ja und nein | |
zugleich. | |
Es gibt Sexualität als solche, aber sie ist nicht so beschaffen wie andere | |
uns bekannten Dinge. Man kann keinen positiven Begriff von ihr geben, der | |
zudem klar abzugrenzen wäre. Sexualität ist das, was sich entzieht. Diese | |
Eigentümlichkeit nötigt aber auch, die Art und Weise zu überprüfen, in der | |
in der Philosophie gewöhnlich die Welt und die Dinge betrachtet werden. So | |
ergibt sich der Untertitel des Buchs: „Psychoanalyse und Ontologie“. | |
Dr. Sommer wäre sicherlich überrascht, wohin eine scheinbar simple Frage | |
führen kann, nämlich ins Zentrum des philosophischen Denkens. Um zur Frage | |
nach dem Sein des Seienden vorzudringen, bedient sich Zupančič einer der | |
modernen Revolutionen des Denkens, der Psychoanalyse. In Rückgriff auf | |
Sigmund Freud und Jacques Lacan zeigt sie, dass Sexualität ohne den Begriff | |
des Unbewussten nicht zu denken ist. | |
Das Unbewusste bezeichnet den Ort, an dem die Seinslogik nicht aufgeht und | |
sich ein grundlegender Widerspruch auftut. Auf die Frage, ob Sexualität zur | |
Natur oder zur Kultur zu zählen sei, wendet Zupančič ein, dass es weder | |
noch ist. Ist es also mehr als Natur, aber weniger als Kultur? | |
## Politische Konsequenezn | |
Die überraschende Antwort lautet: Sex ist nicht mehr, sondern weniger als | |
Natur. Es ist nicht einmal Natur, sondern deren immanente Ausnahme. Diese | |
negative Reflexivität konstituiert auch das Unbewusste und das Subjekt – | |
und zwar durch einen fundamentalen Mangel an Sein, wie es Zupančič nennt. | |
Spätestens an dieser Stelle würde Dr. Sommer wahrscheinlich verzweifeln. | |
Doch der Punkt ist keineswegs banal, sondern für die politischen | |
Konsequenzen des philosophischen Denkens außerordentlich entscheidend. Denn | |
wenn am Grunde des Subjekts ein negatives Verhältnis lauert, so lässt sich | |
darauf keineswegs eine Identität errichten, schon gar keine sexuelle, so | |
Zupančič. | |
Emanzipation beginne mit deren Verlust. Unschwer lässt sich das als | |
Invektive gegen das Denken der sexuellen Identitäten in der Folge Judith | |
Butlers entschlüsseln. Ein Kapitel des Buchs heißt „Widersprüche von | |
Gewicht“ in An- oder wohl eher Ablehnung von Butlers „Körper von Gewicht�… | |
Zupančič legt eine sowohl verblüffende als auch überzeugende | |
Neuinterpretation der sexuellen Differenz vor, mit der sie auf blinde | |
Flecken des Gender-Diskurses verweist. Auch ihre Lesart des Todestriebs ist | |
beeindruckend, ebenso ihre Ausführungen über den Realismus der | |
Psychoanalyse und die Liebe. | |
## Innere Widersprüchlichkeit aufzeigen | |
Zupančič demonstriert, was Philosophie bewirken kann: Sie nimmt die | |
alltäglichen Vorstellungen, die in jeder Debatte unhinterfragt verwendet | |
werden, und zeigt deren innere Widersprüchlichkeit auf. Und so verändern | |
sich die Vorstellungen und mit ihnen der Blick auf die Welt. | |
Zupančič erweist sich nicht nur als ausgesprochen genaue Leserin von Freud | |
und Lacan, sondern greift in die philosophischen Diskussionen unserer Tage | |
ein, wenn sie sich auf Quentin Meillassoux, Alain Badiou und Slavoj Žižek | |
bezieht und diese kritisch kommentiert. | |
Nach ihrem 2014 auf Deutsch erschienenen „Der Geist der Komödie“ kann man | |
„Was ist Sex?“ als das vorläufige Hauptwerk von Alenka Zupančič bezeichn… | |
mit dem sie sich als eine der bedeutendsten Stimmen der zeitgenössischen | |
Philosophie präsentiert. Ihr Buch ist ein Plädoyer für das Denken der | |
Widersprüche und der Unabgeschlossenheit. Sex ist nur ein anderer Name | |
dafür. | |
8 Dec 2019 | |
## AUTOREN | |
Jakob Hayner | |
## TAGS | |
Buch | |
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