# taz.de -- Tagung zur biologischen Transformation: Voran zur Natur | |
> Biologische Prozesse und Rohstoffe sollen vermehrt in der industriellen | |
> Produktion eingesetzt werden. Damit soll der Klimawandel abgemildert | |
> werden. | |
Bild: Aus dem Blickwinkel eines Adlers: Noch sind die Alpengipfel mit Schnee be… | |
Berlin taz | Ist sie nur der „nächste heiße Scheiß“ einer Chemiebranche … | |
der Suche nach neuen Produkten und Märkten, oder stellt sie Konzepte und | |
Technologien zur Verfügung, um die Megaprobleme [1][Artensterben] und | |
[2][Klimawandel] in den Griff zu bekommen? Spielt die Biotechnologe mit | |
ihren neuesten Methoden etwa der [3][synthetischen Biologie] Gott – oder | |
sollte man ihre Fähigkeiten nicht überschätzen? Und was ist eigentlich die | |
Grenze zwischen Natur und Technik? | |
Antworten auf diese Fragen suchten unter anderem Ingenieure, Biologen und | |
Chemiker, Informatiker und Philosophen auf einer [4][Tagung, die das | |
Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik Umsicht] | |
aus Oberhausen zusammen mit dem Berliner Museum für Naturkunde und dem | |
Zentrum für Medizinische Biotechnologie der Universität Duisburg-Essen | |
kürzlich in Berlin veranstaltet hat. | |
Vor gut anderthalb Jahren hatte die Fraunhofer-Gesellschaft als einer ihrer | |
„Prioritären Strategischen Initiativen“, unter denen sie ihre 72 | |
Forschungsinstitute zusammenfasst, die „biologische Transformation“ | |
ausgerufen. Dabei geht es darum, biologische und technische Systeme zu | |
verbinden, biologische Prinzipien in der Produktion anzuwenden und | |
biologische Rohstoffe, also etwa Mikroorganismen oder Pflanzen, zu | |
verwenden. | |
Oder, nach der Definition von Thomas Marzi vom Fraunhofer-Institut Umsicht: | |
„Biologische Transformation ist der Prozess der zunehmenden Nutzung von | |
Materialien, Strukturen und Prozessen der belebten Natur in der Technik mit | |
dem Ziel der nachhaltigen Wertschöpfung“. | |
## Ein Roboter, der riechen kann | |
Ein Anwendungsbeispiel des Maschinenbau-Professors Thomas Bauernhansel, der | |
die „biologische Transformation“ innerhalb der Fraunhofer-Gesellschaft | |
vorantreibt: Ein Roboter wird mit lebenden Zellen ausgestattet, mit denen | |
er schmecken und riechen kann. Er könnte dann morgens im Bad den Atem | |
seiner Besitzerin checken und Auskunft über ihren Gesundheitszustand geben. | |
Man kann sich die Werbekampagne fürs überübernächste Weihnachten für das | |
Gerät schon vorstellen. Aber löst dieser Roboter die Klimakrise? | |
Denn dies, sagte Reinhard Loske in seinem Einführungsreferat, sei die | |
Leitfrage, an dem sich die biologische Transformation messen lassen müsse. | |
Kann sie einen relevanten Beitrag in den Feldern leisten, in denen die | |
Menschheit die planetaren Grenzen schon überschritten hat?, fragte der | |
Grüne, ehemalige Bremer Umweltsenator und heutige Präsident der Cusanus | |
Hochschule in Bernkastel-Kues. | |
Loske deklinierte die drei Bereiche durch, die derzeit am dringlichsten der | |
Lösung bedürfen: den Verlust der biologischen Vielfalt, den Klimawandel und | |
den außer Kontrolle geratenen Stickstoffkreislauf. Er fragte jeweils, | |
welchen Beitrag die biologische Transformation zur Problemlösung leisten | |
könne. | |
## Muss es die Technik richten? | |
Das Problem: Letztlich führten, so Loske, derzeit alle Wege zu technischen | |
Ansätzen wie der Biotechnologie. Laut der berühmten „Ipat-Formel“ entsteh… | |
Umwelteffekte (I) aus dem Zusammenspiel von der Größe der Weltbevölkerung | |
(P), Lebensstilen und sozialen Praktiken (A) sowie Technologien (T). Die | |
Länder des globalen Südens verweigern häufig Diskussionen über die | |
Begrenzung der Bevölkerung, die reichen Länder des Nordens die über | |
Lebensstile. „Bleibt die Technik“, so Loske. | |
Damit wollte er sich naturgemäß nicht abfinden und plädierte für einen | |
problemorientierten Ansatz, der die zu lösende Aufgabe in den Mittelpunkt | |
rückt und die Methoden danach ausrichtet. Für Loske gehört dazu | |
selbstverständlich auch eine Diskussion über Lebensstile. | |
Von der erwarten der Ingenieur Thomas Bauernhansel und der Chemiker Markus | |
Wolperdinger erkennbar weniger. Sie konzentrieren sich auf das technisch | |
Machbare, auf vegane Burger mit Fleischgeschmack aus Hämoglobin oder ein | |
Wassermanagement, das auf der genauen Erhebung von Boden- und Pflanzendaten | |
beruht. | |
Während Bauernhansel sich in seinem Referat rhetorisch auf den Klimawandel | |
bezog und die biologische Transformation als Problemlöser anbot – „mit | |
heutigen Produktionsweisen sind die materiellen Ansprüche zukünftiger | |
Generationen nicht möglich“ –, teilt Wolperdinger, Leiter des | |
Fraunhofer-Instituts für Grenzflächen und Bioverfahrenstechnik in | |
Stuttgart, Loskes Leitfrage nach der Relevanz für die Nachhaltigkeit | |
offenbar grundsätzlich nicht. | |
## Brachliegende Stoffströme | |
Als das Publikum eines seiner Beispiele – für die chemische Industrie | |
wertvolle Inhaltsstoffe des Buchenholzes, die über Zellstoff und Lignin | |
hinausgehen und bislang kaum genutzt werden – zum Anlass nahm, um über die | |
Verfügbarkeit des Rohstoffes Holz zu diskutieren und auf bislang | |
brachliegende Stoffströme von Altholz im Abfall hinzuweisen, antwortete er, | |
das sei „doch hier nicht das Thema“. Da erscheint der Hinweis zu den | |
planetaren Grenzen am Anfang dann als Nachhaltigkeits-Chichi, das man sich | |
anhört, bevor es ernst wird. | |
Wenn Techniker, Natur- und Geisteswissenschaftler diskutieren, treffen eben | |
immer noch Welten aufeinander. Neben dem anwendungsorientierten Vortrag von | |
Bauernhansel/Wolperdinger standen eine ganze Reihe von Referaten, die sich | |
grundlegende Gedanken darüber machten, was Natur eigentlich sei und was sie | |
ausmache. | |
Beispielsweise diskutierte Marzi die Grenzen von Technik und Natur, in dem | |
er die Entwicklung einer bestimmten Überschalldüse für ein Flugzeug als | |
evolutionären Prozess beschrieb, um dann die „technische Dimension der | |
Biomaschine Kuh“ hervorzuheben. Allerdings käme bei einer | |
Technikentwicklung, die sich evolutionärer Prinzipien bediene, trotzdem | |
„kein Pfau heraus“ mit seinem schwelgenden Federkleid. „Den Zweck in der | |
Technik wird man nicht so recht los“, schlussfolgerte er. | |
Das war interessant, doch als sich das Publikum in verschiedenen kleinen | |
Diskussionsrunden austauschte, kommentierten Teilnehmende, der | |
Erkenntnisgewinn sei ja schön, aber wozu sei er gut? „Deswegen habe ich | |
noch keinen Dübel in der Wand oder im Labor einen Stoff in einen anderen | |
umgewandelt“. | |
Hier zeigt sich: Für eingefleischte Mitarbeiter der technik- und | |
anwendungsorientierten Fraunhofer-Gesellschaft ist es immer noch neu, die | |
eigene Arbeit öffentlich infrage zu stellen und vor Publikum zu überlegen, | |
warum sie etwas erforschen und ob dies am Ende des Tages wirklich zum Wohl | |
aller beitragen kann. Eine Selbstbefragung, die den Wert der Tagung | |
ausmacht und eine Fortsetzung verdient. | |
## Grenzen der Transformation | |
Neben der Frage, was biologische Transformation leisten kann, war die | |
Frage, was sie darf der zweite große Diskursstrang im Berliner | |
Naturkundemuseum. Die Antwort darauf hing auch von dem jeweiligen Begriff | |
von Biologie und biologischen Prozessen ab: So stieß der | |
Wirtschaftswissenschaftler Marco Lehmann-Waffenschmidt von der TU Dresden, | |
der jedem „ergebnis- und verlaufsoffenen Prozess“ das Etikett der | |
„Evolution“ anheften und so Entwicklungen von Unternehmen, Branchen oder | |
Volkswirtschaften erklären wollte, auf deutliche Skepsis. | |
Biologen wie Christoph Schäfers vom Fraunhofer-Institut für | |
Molekularbiologie und Angewandte Oekologie IME in Schmallenberg oder der | |
Bioethiker Hans Werner Ingensiep wehrten sich gegen solche Vereinnahmungen | |
der Biologie. „Biologische Prozesse versuchten immer, sich der | |
mathematischen Beschreibbarkeit zu entziehen“, argumentierte Schäfers. | |
Und Ingensiep warnte vor inhaltsleeren „Plastikbegriffen“. So sei etwa die | |
„Selektion“ kein Naturgesetz, wie die Chemie oder Physik sie suchten, | |
sondern ein weiches Prinzip. Da war er dann ganz bei Loskes | |
Einführungsbeitrag, der gut gelaunt eine ganze Seite „Biobegriffe“ | |
vorführte, von Biolandwirtschaft über Biosprit bis Biobourgeoisie. Mitunter | |
ist eben alles bio – oder auch nichts. | |
1 Dec 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Studie-ueber-Brutvogelarten/!5619656 | |
[2] /Anpassung-an-den-Klimawandel/!5644442 | |
[3] /Technologien-bedrohen-Menschheit/!5470752 | |
[4] https://www.umsicht.fraunhofer.de/de/messen-veranstaltungen/2019/biologisch… | |
## AUTOREN | |
Heike Holdinghausen | |
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