# taz.de -- Neues Album von Vanishing Twin: Mit retro-futuristischem Charme | |
> Die junge Band aus London dringt mit ihrem Album „The Age of Immunology“ | |
> in intergalaktische Sphären ein. Ein endloses Improvisieren und | |
> Reduzieren. | |
Bild: Intergalaktisch und ein bisschen Dada: die Band „Vanishing Twin“ | |
Auf ihrem neuen, zweiten Album, „The Age of Immunology“, vermischen | |
Vanishing Twin verschiedene Musikstile, die als Gesamtkomposition | |
retro-futuristischen Charme versprühen. Ihren charakteristischen, sofort | |
erkennbaren Mix aus Filmmusik, Postpunk, Jazz, elektronischer Musik und New | |
Wave könnte man am ehesten als Psychedelic-Pop bezeichnen. | |
Die junge Band aus London widmet sich in ihren Songs dieses Mal einer der | |
ganz zentralen Gesellschaftsfragen: Offenheit oder Abschottung? In diesem | |
Sinne lässt sich auch der Titel „The Age of Immunology“ verstehen, der dem | |
gleichnamigen Buch des Anthropologen David Napier entliehen ist. Darin | |
vertritt Napier die These, dass wir das Wesen der Immunologie, die Abwehr | |
und Ausgrenzung des Anderen, für unsere soziale Gemeinschaft übernommen | |
haben. | |
„Die Ablehnung des Andersseins“, erklärt Cathy Lucas, | |
Multi-Instrumentalistin und Sängerin von Vanishing Twin, sei ein Thema, das | |
die Band sehr beschäftige. Dazu passt als Kehrseite der Medaille auch ihre | |
eigene Geschichte, derentwegen die Band ihren Namen verdankt. Vanishing | |
Twin (übersetzt: verschwundener Zwilling) beschreibt ein Phänomen während | |
der Schwangerschaft, bei dem ein Zwillingsei vom anderen absorbiert wird. | |
Das pränatale Ereignis hat Lucas erst in ihrer Pubertät ins Grübeln | |
gebracht und geprägt. | |
In ihren Texten jongliert sie oft mit dem Sujet der Entfremdung und der | |
Ausgrenzung des Anderen. Einer der gefühlvollsten und stärksten Songs des | |
Albums, „You Are Not An Island“, beispielsweise lässt sich als Sinnbild | |
einer zunehmenden Entfremdung von der Natur verstehen. | |
## Zwischen den Welten | |
Beim Hören fühlt man sich in einen Zauberdschungel versetzt, schlafwandelt | |
durch Farn und Sträucher, hin und wieder aufgeschreckt durch ein surreales | |
Vogelzwitschern. Cathys Stimme, die vage an die der Sängerin Nico erinnert, | |
hat dabei etwas einlullend Warmes an sich. | |
Die in London lebenden Musiker kommen von überall her und sind kulturell | |
verschieden geprägt. Zuerst, sagt Cathy, hätte sie Valentina Magaletti, die | |
Schlagzeugerin aus Italien, gefunden, dann den ganzen Rest: Elliott Arndt | |
(Flöte und Percussion), Sususmu Mukai (Bass) und Phil Mfu (Gitarre und | |
Synths). Die Songtexte sind auf Englisch, Französisch und Japanisch | |
verfasst. So unterschiedlich ihre Hintergründe auch seien, sagt Cathy, | |
musikalisch stimmten sie fast immer überein. | |
Zu ihren großen Vorbildern zählen Vanishing Twin die experimentelle | |
Jazz-Band Sun Ra. „The Age of Immunology“ könnte auch der Soundtrack zu Sun | |
Ras 1972 gedrehtem Science-Fiction-Film „Space is the Place“ sein. | |
Intergalaktisch, verträumt, psychedelisch vertrackt – so in etwa könnte man | |
den retro-futuristischen Sound von Vanishing Twin beschreiben. | |
Noch viel stärker als bei ihrem Debüt setzt die Band bei ihrem zweiten | |
Album auf Improvisationen, aus denen die Lieder am Ende entstanden sind. | |
Durch endloses Improvisieren, Editieren und Reduzieren gelang es ihnen, | |
Lieder zu extrahieren, die erst beim wiederholten Hören ihre ganze, | |
verschlungene Klangtiefe entfalten. „Wir sind schrecklich Nische“, gesteht | |
Cathy Lucas beim Skype-Telefonat und verdreht dabei gespielt die Augen. | |
Sicher: Vanishing Twin machen Nischenmusik und sind darüber durchaus | |
glücklich. Avantgardisten, und als solche darf man die Band getrost | |
bezeichnen, wirken vor allem im Verborgenen. Erst durch den Mainstream, der | |
ihre Ideen übernimmt und leicht verdaulich präsentiert, treten sie in den | |
Vordergrund. Das muss nicht das Schicksal dieser Band werden – und selbst | |
wenn, es wird nichts von der Großartigkeit ihrer Musik wegnehmen. | |
28 Nov 2019 | |
## AUTOREN | |
Boris Messing | |
## TAGS | |
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