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# taz.de -- Ehepaar Kröger-Voss über ihr Leben: „Wir sind Linksautonome“
> Antje Kröger-Voss und Dieter Kröger haben sich durch ihren jahrelangen
> Kampf in der Anti-Atom-Bewegung einen Namen gemacht. Ein Rückblick.
Bild: Vermutlich kein ganz aktuelles Foto: Antje Kröger-Voss und Dieter Kröger
taz: Frau Kröger-Voss, Herr Kröger, wie haben Sie sich kennengelernt?
Antje Kröger-Voss: Wir haben uns hier in Itzehoe bei einem
Volkshochschulkurs über Atomphysik kennengelernt, da war ich so Anfang 30.
Wir wollten besser verstehen, wie ein Atomkraftwerk funktioniert. Das war
so 1982, aber daran kann ich mich nicht mehr genau erinnern.
Durften Sie Ihren Beruf damals schon selbst aussuchen, Frau Kröger-Voss?
Kröger-Voss: Ich gehöre einer Übergangsgeneration an: Die Frauen durften
ohne Zustimmung des Ehemannes keine Berufstätigkeit ausüben. Für meinen
Vater war das überhaupt nicht wichtig, dass ich studiere oder was ich
eigentlich wollte. Er dachte, dass ich als Frau ohnehin heiraten würde und
ein Studium dann rausgeschmissenes Geld wäre. Deswegen zwang er mich zu
einer Ausbildung im Justizdienst.
Haben Sie sich widersetzt?
Kröger-Voss: Mein Vater war Lehrer und stellvertretender Schulleiter des
Gymnasiums in Marne, wo ich geboren bin. Seine eigenen Schüler*innen haben
ihn sehr verehrt, aber mit mir und meiner Schwester ist er immer anders
umgegangen. Ich habe richtig heftige Auseinandersetzungen mit meinem Vater
gehabt, selbst als ich schon als Diplomrechtspflegerin gearbeitet habe.
Wie haben Sie unter Ihren Eltern gelebt, Herr Kröger?
Dieter Kröger: Bei mir war es genau umgekehrt: Meine Mutter hat mich zu
etwas gezwungen, mein Vater war immer sehr tolerant. Wir waren acht Kinder
auf einem Bauernhof in einer rein katholischen Gegend. Meine Mutter meinte
dann, dass eines ihrer Kinder Priester werden sollte und suchte mich dafür
aus.
Und dann?
Sie steckte mich mit zehn Jahren in ein dominikanisches Kloster in der Nähe
von Vechta. Das alles nur, weil meine Mutter mich mal dabei gesehen hat,
wie ich einen Priester gespielt habe auf dem Hof. Ich konnte es aber nicht
lange im Kloster aushalten.
Was ist passiert?
Kröger: Ich habe es dort gehasst. Man durfte ein halbes Jahr keinen Kontakt
zur Familie haben anfangs. Es wurde immer alles kontrolliert. Ich bin dann
mit 15 ausgebrochen und zur See gefahren, insgesamt sieben Jahre lang. Ich
habe dann aber etwas gemacht, das man in der Seefahrt „achteraus segeln“
nennt, also desertieren. Doch irgendwann fällt ein blonder, großer Mann in
Peru auf. Man hat mich dann drei Monate in der Hauptstadt Lima in
Abschiebehaft gesteckt, zu der Zeit war ich 19 Jahre alt.
Hatten Sie Angst?
Kröger: Nein, erstaunlicherweise nicht. Irgendwann meldete das Gefängnis in
Lima dann dem Deutschen Konsulat, dass hier noch jemand aus Deutschland in
Abschiebehaft sitzt. Und der Mann vom Konsulat arrangierte einen Platz auf
einem Hapag-Lloyd-Schiff. Bis zur Reise dauerte es noch zwei Wochen, und
der Konsul bot mir an, in einem Hotel unterzukommen. Ich habe das aber
abgelehnt, weil ich mich mit meinen Mitinsassen so gut verstanden habe und
bei ihnen bleiben wollte. Es war alles total kollegial. Es war auch nicht
wie ein gewöhnlicher Knast.
Glauben Sie beide an Gott?
Kröger-Voss: Dieter hatte nie was mit Religion am Hut nach der
Kloster-Geschichte. Ich habe mich mit 13 Jahren aus gesellschaftlichem
Druck, um irgendwie normal zu wirken, taufen lassen. Ich wollte später
wieder aussteigen, mein Vater hat aber gesagt, dass ich mit dem Austritt
lieber warten solle, bis ich Beamtin auf Lebenszeit geworden bin; für ihn
gehörte das alles so zusammen. Mit 27 bin ich ausgetreten und habe mich mit
dem tibetischen Buddhismus beschäftigt, weil ich auch schon Yoga
unterrichtet habe. Es hat mich aber dann ziemlich schnell das Weltliche
eingeholt.
Warum haben Sie geheiratet, 2006, obwohl Sie beide nicht an Kirche und Gott
glauben?
Kröger-Voss: Das hat eine dramatische Vorgeschichte: Ich sollte vor Gericht
gegen Dieter aussagen. Er stand unter anderem vor Gericht wegen der
Proteste gegen das Atomkraftwerk Brokdorf. Und es hat eigentlich jeder, der
verlobt, verheiratet oder in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft lebt,
ein Zeugnisverweigerungsrecht. Ich hatte aber keines, weil Dieter noch
verheiratet war, aber getrennt lebte. Der Staatsanwalt hat sich auf mich
eingeschossen. Ich habe damals alles mitgeschrieben und das hat ihn wohl
sehr gestört, er hat mich dann als Zeugin geladen. Ich hätte gar nichts
sagen können, weil ich überhaupt nichts wusste. Ich kam mir später vor wie
eine Sache. Und als Ehefrau muss ich nie wieder gegen meinen Mann aussagen.
Ich war mit der Situation derart überfordert, dass ich mich von einem
Hochhaus herunterstürzen wollte, weil ich wusste, dass der Staatsanwalt
nicht locker lässt – er hatte drei Monate Erzwingungshaft gegen mich
durchgesetzt, ich musste die aber nicht antreten.
Wie kam es überhaupt so weit?
Kröger: Die Firma Paskania, die mein Freund gegründet hat, um den
Widerständlern von Brokdorf eine Arbeit zu geben, wurde von den
Steuerbehörden drangsaliert. Auch eine Gruppe von Punks war da angestellt,
und das war der Behörde ein Dorn im Auge. Der Vorwurf war also
Steuerhinterziehung, aber es war einfach nur Repression gegen ein
linksalternatives Projekt. Und so haben sie das Projekt auf Konkurs
gesteuert. Und weil ich den befreundeten Geschäftsführer von Paskania öfter
vertreten habe, wurde ich auch angezeigt.
Wie sind Sie zur Anti-AKW-Bewegung bekommen?
Kröger-Voss: Dieter war schon ziemlich von Anfang an beim Widerstand gegen
das geplante AKW Brokdorf. Ich habe im Justizdienst gearbeitet, mich aber
sehr für solche Themen interessiert. Ich habe die Demonstrationen gegen das
geplante AKW Brokdorf von meinem Fenster aus gesehen. Dieter ist mir da
einfach aufgefallen: Er war ein großer Kerl mit langen blonden Haaren und
einer lauten Stimme.
Kröger: Ich konnte ohne Megafon sehr laut sprechen.
Kröger-Voss: Ich konnte ihn sehr leiden (lacht).
Wie stehen Sie heute zu Brokdorf und dem Endlager-Problem?
Kröger: Es ist nicht zu lösen. Das ist ein Problem, das noch Millionen
Jahre dauern wird und ob wir das überleben werden, ist die große Frage. Es
ist nur eine Frage der Zeit, bis radioaktives Material austritt. Wir sind
aktuell in der Initiative „Brokdorf-akut“, die Einfluss nimmt, damit so
wenig wie möglich von diesem radioaktiven Müll in die Natur gelangt und
auch den Rückbau beobachtet. Der Widerstand gegen Brokdorf war ein großer
Abschnitt in meinem Leben: mit Platzbesetzung, Polizeiverfolgung,
Repression und Prozessen. Wir haben auch einen Film darüber gemacht, wo
unter anderem die Hausdurchsuchungen in unserer Wohnung ein Thema ist.
Wie standen Sie beide zur außerparlamentarischen Opposition?
Kröger-Voss: Wir hatten ja die Firma, in der es keine Hierarchien gab. Es
wurde alles basisdemokratisch im Konsens entschieden. Es gab ganz
unterschiedliche Strömungen.
Kröger: Wir sind Linksautonome und Anarchist*innen.Wir wollen ein Leben
ohne Herrschaft. Hanna Ahrendt hat mal gesagt, dass radikal absolut positiv
ist und Radikalismus immer das Gute – es gibt Rechtsextrem, aber nicht
Rechtsradikal. Wir lehnen auch den post-autoritären Pseudosozialismus ab,
wie es ihn in der UdSSR oder DDR gab. Dass das auch funktionieren, und man
trotzdem links sein kann, haben Anarchist*innen in der Ukraine bewiesen:
Die Bewegung hieß „Machnowtschina“, wurde von Trotzki im Auftrag Lenins
zerschlagen – Männer, Frauen und Kinder wurden rücklings erschossen.
Waren Sie je bei den Grünen?
Kröger: Wir haben sie toleriert, aber waren selbst nie dabei oder haben sie
gewählt. Wir gehen jetzt eher auf Distanz, weil sie sich nicht mehr groß
von den etablierten Parteien unterscheiden. Jutta Dithfurth hat mal gesagt,
dass sich durch Wahlen nichts ändert, sondern durch außerparlamentarischen
Aktivismus. Wir gehen nicht wählen, aber sind politisch aktiv.
Kröger-Voss: Viele Politiker*innen von der Linkspartei kannte ich
persönlich, auch durch unsere Zeit in Hamburg. Die habe ich dann früher mal
gewählt.
Was haben Sie als Anti-Atomkraftwerk-Aktive noch zu tun? Ist das Thema
nicht durch?
Kröger-Voss: Heute beobachten und informieren wir. Damals hat auch keiner
über die Folgen beim Rückbau solcher Atomkraftwerke nachgedacht. Jetzt weiß
man, was man sich da für eine Hypothek aufgeladen hat über Millionen von
Jahren. Und wir bei Brokdorf-akut versuchen, dass alles Menschenmögliche
getan wird, dass beim Rückbau so wenig Radioaktivität wie möglich in die
Umwelt gelangt. Eine Frau bei Brokdorf-akut zeichnet die Ergebnisse der
umliegenden Messstationen auf.
Sie haben der taz mal einen Leser*innenbrief geschickt, darin ging es um
Straßenmusik im Stadtteil Altona.
Kröger: Wir haben zwölf Jahre in Hamburg gelebt und haben dort eine tolle
Straßenmusikerin kennengelernt. Wir engagierten uns viel in der
Nachbarschaftshilfe. Aber nachher wurde das mit der Straßenmusik zu viel an
der Straße und wir wollten die Polizei nicht kontaktieren. Deswegen haben
wir mit den Straßenmusiker*innen direkt geredet und es geschafft, dass sie
sich untereinander absprachen, wer wann spielen durfte.
Kröger-Voss: In Hamburg haben wir uns für den Erhalt des Altonaer Museums
eingesetzt, das mir persönlich sehr am Herzen lag mit den Bauernstuben und
den Schiffsmodellen.
Würden Sie sich als Ikonen beschreiben?
Kröger-Voss: „Dieter Kröger gilt als Symbolfigur für zehn Jahre Widerstand
gegen das Atomkraftwerk in Brokdorf“. Das hat der Pressesprecher Manfred
Schröder von der SPD-Regierung in Kiel mir mal gesagt und das hat er
anerkennend gemeint. (lacht)
Machen Sie immer alles zusammen?
Kröger: Ja, und Antje hat auch das letzte Wort. Bei dem Buch „Keine Zeit
zum Schock“ haben wir heftig diskutiert. Ein Buch alleine zu schreiben, ist
viel leichter als ein Buch zu zweit zu schreiben.
Kröger-Voss: Manche Passagen habe nur ich geschrieben, andere nur Dieter.
Vieles haben wir aber gemeinsam gemacht und das war schon echt viel
Diskussion. Wir beide können aber Kompromisse eingehen und gut damit leben.
Kröger: Und wenn wir unsere Nachbar*innen treffen, dann treten wir nicht
als linksautonome Missionare auf.
Kröger-Voss: Die denken wohl eher, dass wir ein skurriles älteres Ehepaar
sind.
19 Nov 2019
## AUTOREN
Yasemin Fusco
## TAGS
Anti-Atom-Bewegung
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Schwerpunkt Atomkraft
Gorleben
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