# taz.de -- Figuren- und Objekttheater in Berlin: Kaputtmachen, was uns kaputtm… | |
> Das Festival „Theater der Dinge“ beschäftigt sich mit | |
> Zerstörungsprozessen. Doch wann sind diese eigentlich produktiv oder | |
> destruktiv? | |
Bild: Starker Theatertext und weirdes Maskenspiel: „Das Hirn ist ein Taubensc… | |
Das internationale Festival „[1][Theater der Dinge]“ ist einer der | |
wichtigsten Orte für zeitgenössisches Figuren- und Objekttheater. Vom 23. | |
bis zum 29. Oktober werden 14 Inszenierungen, Installationen und | |
Ausstellungen von Künstlern aus u. a. Argentinien, Frankreich, | |
Großbritannien, Kroatien, Litauen, Tschechien und Deutschland gezeigt, die | |
allesamt unter eine Thema fallen: „Kaputt“. | |
Wer sich als Kaputtmacher*in betätigen will, hat etwa bei der „Werkstatt | |
der Zerstörung“ des „[2][Feld-Theaters]“ gute Chancen. Bei dieser | |
Performance des „Fundus Theater“-Kollektivs werden Ideen und Praktiken des | |
kreativen Zerstörens entwickelt. Besucher*innen sind eingeladen, eigene | |
Objekte mitzubringen, die sie gerne zerstören würden. | |
Doch was steckt eigentlich hinter der Lust oder auch der Furcht vor | |
Zerstörung? Nicht selten fluchen wir, wenn irgendetwas schnell kaputtgeht; | |
aber wenn man dem marxistischen Erkenntnistheoretiker Alfred Sohn-Rethel | |
glaubt, dann gibt es mindestens für den Neapolitaner ein „Ideal des | |
Kaputten“. | |
Wenn er sich einen neuen Motorroller kauft, dann ist ihm das reibungslose | |
Funktionieren dieser Maschine unheimlich. Erst wenn sie einen Schaden hat, | |
den er mit einem Gummiband oder Ähnlichem reparieren kann, hat er das | |
Gefühl, dass er die Maschine wirklich beherrscht. Der Neapolitaner denkt | |
konstruktiv. | |
Das deutsche „Ideal des Kaputten“ ist dagegen heute womöglich eher | |
destruktiv, es findet seinen Ausdruck im „Wutraum“. Der erste entstand in | |
Halle, der zweite in München, der dritte in Berlin, wo er „Crashroom“ | |
heißt. In diesen Aggressionsabfuhr-Start-Ups schlagen Besucher*innen alles | |
kurz und klein. Sie müssen dafür zwischen 100 und 200 Euro zahlen, je | |
nachdem, welche Dinge sie zertrümmern wollen. | |
„Bei manchen Leuten kann die Aggression durch so etwas allerdings noch | |
gesteigert werden“, warnt die US-Psychologin Jennifer Hartstein. Sie denkt | |
dabei an die 2,46 Schnellfeuergewehre, die auf jeden amerikanischen Bürger | |
kommen – und wie schnell man damit nicht nur Dinge, sondern auch Menschen | |
zerstören will, z. B. ein Mann seine Frau oder umgekehrt, was hierzulande | |
selten geschieht und wenn, dann eher differenziert beurteilt wird. „Frau | |
erschlug Ehemann mit Bratpfanne: Freispruch!“ So lautete eine | |
Bild-Schlagzeile, die für Freude sorgte. | |
Es gibt noch ein drittes „Ideal des Kaputten“, für das man mitunter auf | |
andere Weise zahlen muss: das „Macht kaputt, was euch kaputtmacht“ aus dem | |
Lied einer Kreuzberger Musikgruppe, deren Name „Ton Steine Scherben“ dazu | |
bereits so etwas wie eine Handlungsanleitung bietet: erst grölen („Ho Ho | |
Tschin Minh“ z. B.) auf Demos, dann Pflastersteine ausbuddeln und dann | |
damit u. a. die Chichi-Läden des Ku’damms „entglasen“. | |
Dahinter steht die marxistische Analyse des Kapitalismus, der eine derart | |
„ungeheure Warenansammlung“ hervorbringt, dass sich die Beziehung zwischen | |
den Menschen und den von ihnen hergestellten Dingen umkehrt. Mit Marx | |
gesprochen: Auf der einen Seite „sachliche Verhältnisse der Personen“ und | |
auf der anderen „gesellschaftliche Verhältnisse der Sachen“ – beides | |
miteinander verklammert. Nämlich dadurch, dass erst im Akt des Tausches | |
Gesellschaft ensteht – auf abstrakter Ebene. | |
Der „Tauschakt“ ist sozial, aber die daran Beteiligten handeln | |
solipsistisch, frei nach Alfred Sohn-Rethels Slogan: „the act is social the | |
minds are private“. Im Supermarkt, wo wir unser als „Ware Arbeitskraft“ | |
verdientes Geld gegen „Waren des täglichen Bedarfs“ eintauschen – bei der | |
„Kassiererin“, deren Befindlichkeit uns in dem Moment und überhaupt egal | |
ist. | |
Als Kunde verkörpern wir dabei das sachliche Verhältnis der Personen, | |
während unsere Gedanken in diesem Tauschakt bei den „gesellschaftlichen | |
Verhältnissen der Sachen“ sind, die wir eingekauft haben. | |
Die Macher*innen der „Schaubude Berlin“, die das Festival „Theater der | |
Dinge“ organisieren, sprechen von einem „Figuren- und Objekttheater“. Die | |
Objekte sind es – in ihrer Warenform, die gesellschaftsbildend wirken. | |
Das funktioniert auch prächtig, ist aber scheiße, weil diese ungeheure | |
Warenansammlung durch die industrielle Verwertung der Natur(reichtümer) | |
zustande kommt und das Kapital, getrieben vom Wettbewerb, gar nicht genug | |
von diesen Schätzen verwenden kann. | |
„In einer wahrhaft ökologischen Welt wird der Begriff der Natur sich in | |
Rauch auflösen,“ meint der US-Philosoph Timothy Morton in seinem Buch | |
„Ökologie ohne Natur“ von 2016. Er denkt dabei an eine glückliche Aufhebu… | |
der Trennung von Subjekt und Objekt, Kultur und Natur. In Wirklichkeit löst | |
jedoch unsere anthropozentrische Kultur die Natur in Rauch auf. | |
Dieses globale Unglück reicht weit zurück: Alles um uns herum basiert heute | |
auf Mathematik: die Wände, die Möbel, die Kleidung, die Bücher, das | |
Geschirr, das ganze Haus, die Straße, die Farben, die Töne, die Regierung… | |
„Alles ist Zahl“ (Pythagoras). Das „Zählen“ begann mit der Heiligung d… | |
Zahlen durch Pythagoras. | |
Wenig später gelang es kaufmännisch gewieften Pythagoräern bereits, einige | |
Städte auf Sizilien an sich zu bringen, indem sie deren Bürger „zahlen“ | |
ließen. Sie wurden von ihnen bald davon gejagt, vorher ersetzten sie aber | |
deren lokale Zahlungsmittel noch durch ein gemeinsames: den ersten Euro, | |
wenn man so will. | |
Gegen all das wehrt sich seit jeher auch der kleine Mann auf der Straße, | |
gerne auf Facebook mit farbig hinterlegten Sinnsprüchen wie: „Anstatt Dinge | |
zu lieben und Menschen zu benutzen, sollten wir lieber Dinge benutzen und | |
Menschen lieben.“ Im Kommentar heißt es dazu: „Genau“. | |
Aber auch dieser ganze Bevölkerungsgruppen ausschließende Wir-Kitsch gehört | |
zu den „Kaputtheiten“, die von den aus aller Welt eingeflogenen Künstlern | |
im „Theater der Dinge“ mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln der | |
Darstellung aufbereitet werden. Die Veranstalter versprechen außerdem einen | |
„hohen Lustfaktor“. Da kann dem produktiven Kaputtmachen eigentlich nichts | |
mehr im Weg gehen. | |
16 Oct 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.schaubude.berlin/spielplan/festival-theater-der-dinge/ | |
[2] https://jungesfeld.de/ | |
## AUTOREN | |
Helmut Höge | |
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