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# taz.de -- Was hat Bauhaus mit Alltag zu tun?: Bauhaus zum Nachtisch
> Auf Bauhaus-Spuren: Von Dessertschalen mit abgerundeten Ecken, die sich
> gut stapeln lassen und der Friedrich-Ebert-Siedlung am Nachtigalplatz.
Bild: Hier im Wedding kann man flanierend Bauhaus-Erbe begutachten
Seit einigen Monaten feiere ich jetzt diesen Geburtstag: [1][100 Jahre
Bauhaus], das große Jubiläum, eine Einladung in die Vergangenheit, um von
dort die Zukunft zu denken. Jedes Mal beeindrucken mich meine Begegnungen
mit den radikalen Pionieren der Moderne. Was mich aber zunehmend verblüfft
ist, wie weit ihre Ideen aus Architektur, Kunst und Design noch heute in
meinem Alltag wirken.
Es beginnt während meiner Schulzeit, beim Kompott, das ich damals so gern
aß. In der Schulspeisung wurden die eingekochten Pflaumen und Birnen in
sogenannten Meladur (Hartplast-)Schälchen serviert, jenen pastellfarbenen
Dessertschalen mit abgerundeten Ecken, die sich gut ineinander stapeln und
platzsparend verstauen ließen. Bedient hatte sich deren Designer Albert
Krause bei funktionalen Bauhaus-Ideen, die später in industrieller
Massenproduktion des VEB Plasta Preßwerk im thüringischen Auma hergestellt
wurden.
Beim letzten Umzug meiner Schwiegereltern haben wir vier Stühle ohne
Hinterbeine geerbt, die federnd nachgeben, also schwingen. Ich sitze oft
auf diesen Freischwingern. Sie sind nicht nur formschön – ohne dabei um
Aufmerksamkeit zu heischen –, sie sind auch bequem und laden großzügig zum
Fläzen oder Geradesitzen ein. Entwickelt wurden die ersten Prototypen der
Stühle bereits 1926, weitere elastischere Versionen entwarfen der
Bauhaus-Schüler Marcel Breuer, der spätere Erfinder des legendären
„Wassily-Chair“, und der letzte Bauhaus-Direktor Ludwig Mies van der Rohe.
Jener Ludwig Mies van der Rohe konstruierte auch die modernen Wohnblöcke in
der Afrikanischen Straße, an denen ich auf dem Weg in den Volkspark
Rehberge regelmäßig vorbeijogge. Wie eine Provokation müssen die zwischen
1926 und 1927 errichteten ockerfarbenen Klötze mit ihren glatten Fassaden
und scharfkantigen Ecken auf viele BerlinerInnen, die damals in
Jugendstilhäuser und Mietskasernen wohnten, gewirkt haben. Mit den Jahren
wurde die zweckbetonte Bauweise mit den schmucklosen Fassaden, den
Flachdächern und kubischen Formen, die Sonne, Luft und Licht in die
großzügig geschnittenen Wohnungen ließen, immer mehr zum Politikum.
## Demokratisierung von Architektur
So wie auch die aufgelockerte Zeilenbauweise der Friedrich-Ebert-Siedlung
am Nachtigalplatz, nur ein paar Ecken weiter. Ihre Architekten Paul Mebes,
Paul Emmerich und später Bruno Taut haben hier die Idee der
Demokratisierung von Architektur verbaut. Denn errichtet wurden die
Wohnblöcke mit ihren begrünten Höfen ab 1929 im rechten Winkel zur Straße �…
und damit die soziale Trennung zwischen Vorder- und Hinterhaus, zwischen
Straßenseite und Rückfront verworfen. Auch betonte die sich wiederholende
Zeilenbauweise Prinzipien von Gleichheit und Kollektivismus.
Derartiger Fortschritt war den Nazis ein Dorn im Auge. Sie ließen 1937 ein
wuchtiges Brückenhaus – eine auf Pfeilern getragene Brücke mit Satteldach �…
vor die angrenzende Friedrich-Ebert-Siedlung bauen. Noch heute versperrt es
den Blick auf die moderne Architektur.
Mitte Juni gab es in der Volksbühne Schorsch Kameruns Performance „Das
Bauhaus – Ein rettendes Requiem“. Im Mittelpunkt der inszenierten
Bauhaus-Totenmesse stand die posthume Vereinnahmung der Bauhaus-Ideen durch
den Mainstream und Kommerz. Ihren Gipfel fand diese wohl in der
Namensgebung einer großen Baumarktkette, in deren Filiale ich zuletzt viel
zu teure Blumenerde und Übertöpfe für meine Terrasse gekauft habe.
Merkwürdigerweise habe ich den Baumarktnamen nie mit dem Dessauer Bauhaus
zusammengebracht. Meine Synapsen stellen diese Analogie einfach nicht her.
Ähnlich geht es mir übrigens auch mit dem Tag der Deutschen Einheit und dem
Fall der Mauer – aber das ist eine andere Geschichte.
13 Oct 2019
## LINKS
[1] https://www.bauhaus100.de/
## AUTOREN
Julia Boek
## TAGS
Teilnehmende Beobachtung
Bauhaus Jubiläum 2019
Berlin-Wedding
Schwerpunkt Coronavirus
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