# taz.de -- Die Wahrheit: Endlich Eskalationskunde | |
> Verbraucherschutz: Wie ich einmal den Überwachungsstaat austrickste und | |
> den Media Markt fast in den Wahnsinn trieb. | |
Bild: Tolles Buch vom Media Markt | |
Viele Menschen fürchten den Überwachungsstaat. Ich nicht. Ich habe | |
schließlich ein Rezept dagegen, und das lautet: Gib dem Staat oder wem auch | |
immer so viel Daten wie möglich. Irgendwann wird er, sie oder es an ihrer | |
Fülle, Widerspruchs- und Nutzlosigkeit ersticken, so wie einst die Stasi in | |
der DDR. Deshalb besitze ich auch alle Kundenkarten und Rabatt-Apps, die | |
man mir aufdrängt: Payback, Lidl plus, Saturn Card, | |
EasyApotheke-Treue(S)pass? Immer her damit! | |
Ein Nebeneffekt ist, dass man auf diese Weise praktisch ununterbrochen Post | |
bekommt, und sich so geliebt und begehrt fühlt. Und so freute ich mich | |
neulich über eine Postkarte vom Media Markt, dessen Clubkarte ich | |
selbstverständlich auch besitze. Darauf stand geschrieben, dass ich mir in | |
meiner Filiale ein kleines Geschenk abholen könnte, zur Belohnung für | |
meinen fünften Einkauf. So etwas muss man mir nicht zwei Mal schreiben, | |
denn ich bin auch ein passionierter Sammler von Scheißdreck, jedenfalls tue | |
ich so. Allerdings war mir da noch nicht klar, dass ich mit dieser Karte in | |
einen veritablen Kleinkrieg zwischen meiner Media-Markt-Filiale und der | |
Media-Markt-Clubzentrale hineingezogen werden würde. Aber eigentlich war | |
das auch sehr super. | |
Der Krieg begann am nächsten Tag, als ich in „meiner“ Filiale am Berliner | |
Alexanderplatz die Postkarte am Infoschalter vorlegte. Ich erntete nur | |
einen mitleidigen Blick: „Geschenke“, sagte die Dame hinterm Tresen und | |
betonte das Wort verächtlich, „’ham wer nicht mehr. In keiner Berliner | |
Filiale.“ – „Äh, aber wie kommen Sie dazu, solche Postkarten zu | |
verschicken? Ist das nicht irgendwie … unlauter?“ – „Das waren ja nicht | |
wir, sondern die Clubzentrale. Mit der haben wir nichts zu tun. Rufen Sie | |
doch an.“ Dabei schrieb sie mir eine Telefonnummer auf meine | |
Geschenkpostkarte, die sie mit dem Kuli umkringelte. | |
Als ich am Nachmittag bei der Zentrale durchklingelte, war eine Frau mit | |
resoluter Stimme am Apparat. Meine Beschwerde interessierte sie herzlich | |
wenig. „Nicht unser Problem, sondern das des Markts. Die Media Märkte sind | |
alle selbstständig. Wenden Sie sich an ihre Filiale.“ – „Entschuldigung, | |
die haben mir Ihre Nummer gegeben.“ – „Jahaha“, lachte die Frau jetzt | |
höhnisch auf, „die wälzen gerne ihre Probleme auf uns ab.“ | |
## Stundenlanges Reklamieren | |
Jeder normale Mensch hätte an diesem Punkt aufgegeben. Catch 22, alles | |
sinnlos, und das Geschenk, das ich bekommen würde, das war klar, würde | |
mindestens so wertlos sein wie ein Adapter für britische Steckdosen in | |
Nordkorea. Aber ich bin nicht normal beziehungsweise ich bin völlig normal, | |
versuche aber gegenüber dem Überwachungsstaat, und das gehört zu meinem | |
Trick, den gegenteiligen Eindruck zu erwecken. Also reklamierte ich mein | |
Geschenk noch eine halbe Stunde weiter, bis die Frau am anderen Ende | |
nachgab: „Gut, ich rufe Ihren Markt an und gebe denen Ihre Nummer. Die | |
rufen Sie dann zurück.“ | |
Tatsächlich rief mein Media Markt um halb sechs bei mir an, aber nur um das | |
zu wiederholen, was man mir bereits vor Ort von Angesicht zu Angesicht | |
mitgeteilt hatte: Geschenke gäbe es nicht mehr, wegen „Umstrukturierung“ | |
und so weiter und so fort. Doch dann wurde es plötzlich interessant: „Aber | |
für Eskalationskunden wie Sie haben wir noch so Grill-Bücher da.“ | |
„Wie? Ich bin ein Eskalationskunde? Warum denn das?“ – „Nun ja, für Si… | |
ja jetzt die Situation eskaliert, weil Sie unser Geschenk nicht kriegen.“ | |
Sind Sie dann nicht eher ein Eskalationsmarkt?, wollte ich fragen, besann | |
mich aber dann: genau, Eskalationskunde, besser geht’s doch gar nicht. | |
## Ziegelstein als Geschenk | |
Jetzt musste ich die Sache nur noch zu Ende bringen. Obwohl oder gerade | |
weil ein Grillbuch natürlich auf der nach oben ziemlich weit offenen | |
Scheißdreckskala sehr weit oben steht, kreuzte ich am nächsten Tag in | |
meinem Media Markt am Alex auf und nahm am Infotresen von einer etwas | |
säuerlich dreinblickenden Matrone einen 360 Seiten starken und zweieinhalb | |
Kilo schweren Ziegelstein von einem Buch in Empfang. Auf dem stand in | |
Großbuchstaben „Grillen und Räuchern“. | |
Zu Hause blätterte ich es in fiebriger Erwartung hastig durch. Die | |
Kapitelüberschriften lauteten: „Grills im Laufe der Zeit“, „Grillen im | |
Saarland“ oder „Im Holsteiner Schinkenhimmel.“ Das war ja alles noch | |
tausend Mal besser, als ich es erträumt hatte. Scheißdreck in Potenz. Das | |
Buch eignete sich nicht einmal zum Verschenken, weil es ganzseitige | |
Media-Markt-Anzeigen enthielt, die für „Tefal“- oder „Weber-Grills“ wa… | |
Aber selbstverständlich war es mir bei der ganzen Aktion auch gar nicht um | |
das Buch gegangen und überhaupt nicht um ein Geschenk. Ich wollte nur, dass | |
sich meine Überwacher ein paar Notizen machen. Und zwar genau diese hier, | |
die mir über „gewisse Kanäle“ zugespielt wurden: „Christian Y. Schmidt, | |
sogenannter Eskalationskunde, verschwendet zwei Tage mit sinnlosen | |
Telefongesprächen und Media-Markt-Besuchen, nimmt anschließend den | |
schlimmsten Scheißdreck an und mit nach Hause. Ersticken inzwischen an | |
Daten über Observierten. Bitten um Ablösung oder sofortige Einlieferung in | |
irgendwas.“ | |
Also, ich weiß nicht, was die Leute so haben. Ich finde, so ein | |
Überwachungsstaat und die vielen Datensammler sind überhaupt kein Problem. | |
9 Oct 2019 | |
## AUTOREN | |
Christian Y. Schmidt | |
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