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# taz.de -- Vereinbarkeit von Familie und Beruf: Zugfahrt und Zahnschmerz
> Elternsein heißt oft: weder genügend hier noch genügend da zu sein,
> Mangelverwaltung in der Familie und im Beruf. Die Devise lautet:
> aushalten.
Bild: Der schlimmste Ort: im Zug, wenn man eigentlich bei den Kindern sein will
Eigentlich sollte ich diese Kolumne nicht schreiben. Eigentlich sollte ich
jetzt gerade nicht in diesem Zug sitzen. Eigentlich sollte mein Vater nicht
viereinhalb Stunden nach Berlin fahren müssen, um auf Tochter zwei
aufzupassen. Die hatte die Nacht von Freitag auf Samstag durchgejault. Sie
weinte und schluchzte, kuschelte sich an mich, trat mich weg, hielt meine
Hand, umarmte mich und trat mich wieder. Um 6 Uhr am Morgen schlief sie
endlich ein.
Um 7.30 Uhr wachte sie wieder auf.
Es dauerte lange, bis wir herausfanden, was sie hatte: Zahnschmerzen. Was
bei anderen Eltern vermutlich Erleichterung auslöst, weil regelbar, ist für
uns und [1][unsere Tochter mit ihrer seltenen Zahnerkrankung] ein kleines
Desaster.
Sonntagfrüh wurde dann ein großes daraus: In der Zahnklinik stellte der
Arzt fest, dass ein überkronter Backenzahn entzündet und wohl nicht zu
retten sei. Und nun ist Montag. Und ich sitze im Zug auf dem Weg zu einem
Arbeitstermin. Eigentlich sollte ich jetzt mit meiner Tochter beim Arzt
oder zu Hause sein. Eigentlich.
## Mangelverwaltung in Familie und Beruf
Eine perfekte Welt käme ohne Eigentlich-Sätze aus. Doch so ist es nun mal
nicht. Und normalerweise (noch so ein Eigentlich-Wort!) komm ich damit ganz
gut klar. Ich bin nicht der Typ, der davon träumt, dass sich alle lieb
haben, es keinen Streit gibt und Anwälte arbeitslos sind. Mein Lebensmotto
lautet: „Ist schon alles okay so, wie es ist, könnte schlimmer sein, ist
halt so mittel, morgen wird’s vielleicht besser, oder schlechter, wer
weiß.“ (Hängt als Wandtattoo über meinem Schreibtisch)
Und jetzt überkommt es mich doch, dieses Gefühl, dass das alles falsch ist:
der Zug, das Tippen auf der Tastatur, dieser Termin. Und ja, mir ist klar,
dass das meine Schuld ist. Dass ich mich auch hätte anders entscheiden
können. So wie man sich immer auch anders entscheiden könnte. Mir geht es
in diesem Moment wie so vielen berufstätigen Eltern: Ich bin weder genügend
hier noch genügend da. Mangelverwaltung in der Familie und im Beruf. Und
ich bin ja noch in einer privilegierten Situation (nicht alleinerziehend
und so weiter).
Wie schaffen wir es also, dass Eltern Beruf und Familie gerecht werden
können, flexibel sind, genug verdienen, aber auch genug zu Hause sind und
trotzdem dieselben beruflichen Möglichkeiten wie Kinderlose haben?
Ganz ehrlich: Ich weiß es doch auch nicht. An dieser Stelle fehlt mir das
Träumen, fehlt mir die einfache Vision. Ich glaube nicht daran, dass nur
dieses Gesetz kommen müsste oder die Arbeitgeber sich nur so und so
verhalten müssten oder Eltern nur jenes machen müssten und dann: Yeah!
Vielleicht kommt sie mir ja noch, diese Vision, wenn ich neben meiner
Tochter liege oder in einem Wartezimmer sitze. Bis dahin vertraue ich
weiter auf die gleichen Superkräfte wie die meisten Eltern: aushalten,
durchhalten und weitermachen.
PS: Mein Zug ist übrigens mit zwei Stunden Verspätung in Hamburg
angekommen. Den Termin habe ich verpasst.
1 Oct 2019
## LINKS
[1] /Kinder-und-Krankheiten/!5619681/
## AUTOREN
Jürn Kruse
## TAGS
Nach Geburt
Beruf und Familie
Eltern
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