# taz.de -- Cheerleading im American Football: Zwölf Seiten Vorschriften | |
> Cheerleading ist in den USA nicht als Sportart anerkannt. Die Frauen | |
> haben kaum Rechte, erhalten kaum Geld und werden mit Verboten gegängelt. | |
Bild: Wer zugenommen hat, kann vor einem Match suspendiert werden: Cheerleader … | |
Topfit, athletisch, selbstbewusst, karrierebewusst, ehrgeizig, schön – so | |
werden Cheerleaderinnen auch in der nun beginnenden neuen Saison von den | |
NFL-Vereinen gern präsentiert. Spätestens seit der Klage einiger | |
Raiderettes vor fünf Jahren gegen die Oakland Raiders könnte die | |
footballbegeisterte Öffentlichkeit allerdings wissen, dass das ihr | |
verkaufte Image und die Realität weit auseinanderklaffen. | |
Cheerleaderinnen verdienen nicht nur fast nichts, sondern arbeiten noch | |
dazu in einem gefährlichen Job, in dem bis zur korrekten Reinigung der | |
Genitalien alles durch die Trainerinnen und den Verein akribisch | |
vorgeschrieben wird. | |
Im Gegenzug ist das Cheerleading in den USA nicht als Sportart anerkannt. | |
Dabei ist es die sportliche Betätigung, bei der Frauen das größte Risiko | |
eingehen, „catastrophic injuries“ zu erleiden, das sind schwere | |
Verletzungen des Rückenmarks, der Wirbelsäule oder des Gehirns. Während nur | |
drei Prozent aller Highschool-Athletinnen Cheerleaderinnen sind, geschahen | |
im Jahr 2011 nach einer Untersuchung des National Center for Catastrophic | |
Sport Injury 65 Prozent der schwersten Verletzungen beim Cheerleaden. | |
Zwischen 100 und 200 Dollar erhalten die Seattle Sea Gals, die | |
Cheerleaderinnen des NFL-Teams Seattle Seahawks, pro Spiel – ein | |
Profifootballer verdient im Jahr durchschnittlich 860.000 Dollar. Erwartet | |
wird von den Frauen allerdings nicht nur der Einsatz während des Matches, | |
der Zeitaufwand beträgt bis zu neun Stunden pro Spieltag. Dazu kommen | |
mindestens zwei unbezahlte Auftritte bei Wohltätigkeitsveranstaltungen pro | |
Monat sowie bis zu 15 Stunden Training, die nicht bezahlt werden. | |
Im Jahr 2003 errechnete das Magazin Forbes, dass Cheerleaderinnen für ihr | |
Team rund eine Million Dollar jährlich erwirtschaften, neue Zahlen gibt es | |
nicht, aber es ist davon auszugehen, dass die Summe gestiegen ist. Und dass | |
die Frauen (sowie ihre wenigen männlichen Kollegen) auch weiterhin nicht am | |
Gewinn partizipieren, im Gegenteil. Erwartet wird, dass sie auf eigene | |
Kosten für Fitness und gutes Aussehen sorgen. | |
Ihren Look selbst bestimmen dürfen sie überdies nicht, wenn ihre | |
Trainerinnen finden, dass sie in der neuen Saison lange oder kurze Haare; | |
Locken oder Extensions haben sollen, haben sie sich nach diesen Vorgaben zu | |
richten. Mehr als 1.000 Dollar habe sie pro Saison allein für Haare und | |
Make-up ausgegeben, so berichtete 2014 eine anonym bleiben wollende | |
ehemalige Cheerleaderin der Ravens. | |
## Strenge Gewichtskontrolle | |
Die vom Verein gestellten Outfits müssen selber gewaschen und in Ordnung | |
gehalten werden, eventuelle Schäden auf eigene Kosten repariert werden. | |
Eine Raiderette, deren Oberteil während einer Autogrammstunde einen | |
Kulifleck abbekam, wurde gezwungen, ein neues anzuschaffen. Die falschen | |
Pompoms zum Training mitzubringen, kostet bei den Raiderettes mindestens 10 | |
Dollar Strafe. Dazu kommt ständige Gewichtskontrolle. Sowie der „jiggle | |
test“, eine Begutachtung der Frauen während des Trainings. Jiggle heißt | |
wackeln, und im Prinzip wird beim gleichnamigen Test darauf geachtet, ob | |
Arme, Bäuche, Beine den Straffheitsvorstellungen der Trainerinnen | |
entsprechen und nichts wabbelt. | |
Wer zugenommen hat, kann sogar noch unmittelbar vor einem Match suspendiert | |
werden und damit eine der wenigen Möglichkeiten, Geld zu verdienen, | |
verlieren. Zwölf Seiten voller Vorschriften umfasst das Handbuch der Jills | |
(Buffalo Bills), unter anderem: Keinen Slang sprechen, nicht tratschen, | |
kein Kaugummi kauen, die Namen der Sponsoren kennen, stets über neue | |
Entwicklungen beim Football-Team informiert sein, die Genitalien nicht mit | |
chemischen oder parfümierten Produkten reinigen, niemals über Politik oder | |
Religion sprechen, bei offiziellen Anlässen darauf achten, im selben Tempo | |
wie die anderen zu essen. | |
Ganz besonders strikt ist es verboten, dass Cheerleaderinnen | |
Vereinsangestellten und vor allem Spielern zu nahe kommen. Die Anwältin | |
Sara Blackwell vertritt einige der Frauen gegen die NFL. Cheerleaderinnen | |
müssten zum Beispiel Restaurants sofort verlassen, wenn ein Spieler | |
hereinkäme, selbst wenn sie noch mitten beim Essen seien, berichtete sie im | |
Januar 2019. „Diskriminierend“ nennt sie diese Vorgaben. „Die Vereine | |
sagen, sie dienten dem Schutz der Frauen, aber wir leben doch nicht mehr in | |
den fünfziger Jahren.“ Außerdem sei es den Spielern umgekehrt nicht | |
verboten, Kontakt zu Cheerleaderinnen aufzunehmen. „Eine Regel muss aber | |
für alle gelten oder für niemanden.“ | |
Im Übrigen sei es auch nicht hinnehmbar, dass die Spieler ihre Religion | |
öffentlich im Stadion ausleben dürften und sogar Seelsorger an den | |
Spieltagen in den Umkleidekabinen anwesend seien, während den Frauen | |
untersagt sei, über Religion zu sprechen. | |
Zu Blackwells Klientinnen gehört unter anderem die 22-jährige Bailey Davis, | |
die Anfang 2018 von den Saints gefeuert worden war, weil sie auf ihrem | |
privaten Instagram-Account ein Foto von sich in einem Spitzen-Body gepostet | |
hatte. Sie habe ein „dirty face“ auf dem Bild gemacht, das Spieler zu | |
Avancen einlade, warf ihr die Cheerleader-Teamleitung vor – besonders | |
erotisch wirkt das Foto der ernst dreinschauenden Davis allerdings nicht. | |
Außerdem, so eine weitere Anschuldigung, gebe es Gerüchte, dass sie auf | |
einer Party gewesen sei, bei der auch NFL-Spieler anwesend waren. Davis | |
bestreitet das, der Verein legte bis heute keine Beweise für die | |
Anschuldigung vor, die mittlerweile von anderen klagenden Cheerleaderinnen | |
als gängiges Totschlagargument bezeichnet wurde. Über Davis’ Klage gegen | |
Verein und NFL wegen Geschlechterdiskriminierung wurde bisher noch nicht | |
entschieden. | |
6 Sep 2019 | |
## AUTOREN | |
Elke Wittich | |
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