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# taz.de -- Protest gegen Goldmine in der Türkei: Nicht alles Gold glänzt
> Im Ida-Gebirge spielt Pianist Fazıl Say auf. Tausende hören ihm zu. Says
> Musik unterstützt eine Bewegung gegen eine naturzerstörende Goldmine.
Bild: Eine neue Wüste: Teile des Walds im Ida-Gebirge sind schon ageholzt
Ida-Gebirge taz | Mitten im Wald unter einer großen Kiefer steht ein
Klavier. Es ist keine ausrangierte Klimperkiste, sondern ein edler
Konzertflügel, wie er sonst nur in den besten Konzertsälen der Welt zu
finden ist. Aufgebaut auf einer kleinen provisorischen Holzbühne steht das
Musikinstrument für den berühmtesten türkischen Konzertpianisten Fazıl Say
bereit. Dabei geht es hier eigentlich gar nicht um Musik.
Um das Podest herum finden sich immer mehr Menschen ein. Manche haben
Klappstühle mitgebracht, andere sitzen im ausgedörrten Spätsommergras oder
unter den Bäumen rund um die Lichtung, auf der das Konzert stattfinden
soll. Seit dem frühen Morgen treffen die Menschen aus allen Regionen der
Türkei ein. Auf der etwa ein Kilometer entfernten kleinen Straße durch das
Ida-Gebirge (Kazdağları im Türkischen) im Nordwesten der Türkei stauen sich
die Busse aus Istanbul, Ankara und den Küstenstädten im Süden.
Die allermeisten Besucher kommen mit Stadtbussen, die die Verwaltung von
Canakkale, der rund 40 Kilometer entfernten Provinzhauptstadt, zur
Verfügung gestellt hat. Um 10 Uhr am Morgen, eine Stunde vor dem geplanten
Konzertbeginn, sind etliche Tausend Menschen auf der Lichtung und im
umliegenden Wald versammelt. Viele von ihnen hatten allerdings einen
denkbar kurzen Weg zu dem bevorstehenden Musikereignis. Sie brauchten nur
aus ihrem Zelt zu schlüpfen.
Das sonntägliche Konzert im Wald des Ida-Gebirges ist der vorläufige
Höhepunkt einer Protestkampagne gegen die Zerstörung der Natur durch eine
Goldmine. Vor Wochen ist hier in den Bergen ein sogenanntes
Widerstandscamp entstanden. Es wird täglich größer. Alle großen türkischen
Umweltverbände sind vertreten, aber auch viele kleine Initiativen, die in
der Umgebung von Canakkale ökologischen Landbau betreiben, wollen
mithelfen, ein „Massaker an der Natur“, wie es heißt, zu verhindern.
## Ein Kahlschlag in den Bergen
Die Ouvertüre zu diesem Massaker hat allerdings bereits stattgefunden.
Zunächst unbemerkt von der Öffentlichkeit, begann die kanadische
Bergbaufirma Alamos Gold schon im Juni damit, eine riesige Fläche mitten in
den bis dahin weitgehend unberührten Bergen kahlschlagen zu lassen. Erst
auf Satellitenbildern, die die Umweltorganisation Tema erstellen ließ, war
zu erkennen, dass das Goldabbauunternehmen rund 200.000 Bäume gefällt hat,
mindestens viermal so viel wie nach dem Genehmigungsbescheid zulässig.
Diese Bilder von dieser Wüste mitten in einer der größten zusammenhängenden
Waldregionen der Türkei haben die Menschen mobilisiert.
Um kurz vor 11 Uhr herrscht gespannte Ruhe auf der Lichtung. Wie in einem
Konzertsaal sind die Besucher darum gebeten worden, ihre Handys
auszuschalten und leise zu sein. Dann betritt Fazıl Say seine improvisierte
Waldbühne. Der 49-jährige Künstler ist der einzige weltweit bekannte
Komponist und Pianist der Türkei. Ohne ein Wort zu sagen, beginnt er
unmittelbar einen Satz aus einer jüngst von ihm selbst komponierten
Troja-Sinfonie zu spielen.
Das antike Troja ist nur wenige Kilometer von dem Ort entfernt, an dem
jetzt die Erde auf der Suche nach Gold durchwühlt werden soll. Der
bewaldete Höhenzug heißt in Homers Ilias Dichtung „Ida-Gebirge“ und ist d…
Sitz der Götter, von dem aus Zeus den trojanischen Krieg beobachtet.
## „Wir müssen für das Leben sein!“
Schon bevor Fazıl Say sich an seinen Flügel gesetzt hat, ließ er über
Twitter mitteilen, warum er den Protest gegen die Goldmine mit seinem
Konzert unterstützt:„Wir müssen das Massaker an der Natur verhindern“! –
„Wir müssen für das Leben sein!“, schrieb er in seiner Einladung zu dem
Konzert. Der Auftritt im Widerstandscamp gegen die Goldmine ist nicht die
erste politische Aktion des Künstlers. Als überzeugter Republikaner und
Atheist hat er sich schon mehrfach mit dem Regime des türkischen
Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan angelegt und ist deshalb schon
einmal wegen Blasphemie zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden.
„Es ist toll, dass er gekommen ist“, freut sich nicht nur Ayse Birgun, die
mit ihren Freunden bereits seit drei Wochen im Widerstandscamp lebt. „Das
wird unserem Protest weiteren Aufschwung geben.“ Ihren richtigen Nachnamen
möchte die junge Frau aber lieber nicht nennen.
Tatsächlich ist mit dem Auftritt von Fazıl Say der Protest gegen den
Goldabbau in den Kazdağları-Bergen zu einem landesweiten Thema in der
Türkei geworden. „Hier soll für eine Hand voll Gold ein ganzes Ökosystem
zerstört werden“, sagt vor dem Konzertbeginn der Bürgermeister von
Canakkale. Ülgür Gökhan beschwört den Widerstand gegen die geplante
Goldmine als lebensnotwendig.
Der Abbau des Edelmetalls ist eine der schmutzigsten und
umweltschädlichsten Eingriffe in die Natur überhaupt. Um den Goldstaub aus
der Erde herauszuwaschen, setzen die Bergbauunternehmen üblicherweise
giftiges Zyanid ein. In großen Becken wird aus der Erde der zuvor gerodeten
Fläche mithilfe des Zyanids das Gold herausgewaschen. In Berührung mit dem
Gift verklumpt der Goldstaub und kann so herausgefischt werden. Zurück
bleibt eine giftige Brühe, die über Jahrzehnte in Rückhaltebecken die
gesamte Umgebung bedroht. Obwohl die Firma Alamos Gold beteuert, man werde
dafür sorgen, dass kein Zyanid ins Grundwasser eindringen wird, ist genau
das in etlichen Goldminen der Welt bereits passiert.
## Die Anwohner fürchten eine Umweltkatastrophe
Bei der letzten großen Umweltkatastrophe vor 19 Jahren in Rumänien genügten
starke Regenfälle, um das Rückhaltebecken überlaufen zu lassen und 100.000
Tonnen giftigen zyanidhaltigen Schlamm in einen Fluss zu spülen, der das
Gift letztlich bis in die Donau transportierte und Millionen Fische
vernichtete.
Nur 14 Kilometer unterhalb des geplanten Goldabbaugebietes liegt ein
Staudamm, der die Stadt Canakkale mit Trinkwasser versorgt. „Wir werden
nicht zulassen, dass diese Goldmine unser Trinkwasser verseucht“, gibt sich
der Bürgermeister kämpferisch. Ülgür Gökhan und die Menschen im
Widerstandscamp befürchten, dass ein Goldabbau durch die Alamos-Mine erst
der Beginn der Zerstörung des gesamten Ida-Gebirges wäre. Auf einer großen
Schautafel haben sie die Orte eingezeichnet, für die die Regierung weitere
Lizenzen für den Goldabbau vergeben hat. Es sind insgesamt 29 Plätze.
Werden diese Vorhaben wirklich realisiert, bleibt von einem der größten
Waldgebiete der Türkei nicht mehr viel übrig.
Der Bürgermeister setzt neben dem öffentlichen Protest auf die Justiz, um
den Goldabbau zu stoppen. Doch die Erfahrung der vergangenen Jahre hat
gezeigt, dass die großen nationalen und internationalen Bergbauunternehmen,
die in der Regel die Unterstützung der Regierung genießen, durch
Gerichtsbeschlüsse kaum zu stoppen sind. Bei einer Goldmine in Bergama,
rund 100 Kilometer südlich der Kazdağları, setzten sich Politik und
Unternehmen in den 1990er Jahren immer wieder über Gerichtsbeschlüsse
hinweg und konnten trotz heftiger Proteste ihr giftiges Geschäft letztlich
durchsetzen. Trotzdem waren die Proteste in Bergama in gewisser Weise
erfolgreich, markieren sie doch den Beginn einer bis heute immer größer
gewordenen Umweltbewegung in der Türkei.
Auch Präsident Recep Tayyip Erdoğan weiß seit den Protesten gegen die
Bebauung des Gezi-Parks in Istanbul vor sechs Jahren, welche Dynamik die
Bewegung entfalten kann – vor allem, wenn die Regierung versucht, die
Proteste durch Repression zu unterdrücken. So hält sich die Polizei am
Sonntag auffällig zurück. Zwar werden die Busse auf dem Weg zum Protestcamp
angehalten und die Personalien der Insassen festgehalten, doch darüber
hinaus gibt es keine Behinderungen. Die Stadtverwaltung von Canakkale wird
nicht daran gehindert, ihre städtischen Busse für den Transport zum
Protestort zur Verfügung zu stellen. Am Goldabbaugebiet selbst ist kaum
Polizei zu sehen. Auch die Bewohner des Widerstandscamps sind bislang von
der Polizei oder Gendarmerie nicht belästigt worden. „Sie lassen uns hier
in Ruhe“, erzählt Ayse nach dem Konzert.
Obwohl viele der Besucher am Sonntagmorgen vermutlich keine allzu großen
Fans klassischer Musik sind, lauschen sie doch andächtig fast zwei Stunden
lang den Klängen, die Fazıl Say seinem Flügel entlockt. Der Pianist kommt
dem Geschmack seiner Zuhörer entgegen und beschränkt sich nicht streng auf
die Klassik, sondern gibt einige mitreißende Jazzadaptionen von
Mozart-Stücken zum Besten, die die Menschen begeistern.
## Ein Teil des Waldes ist schon gerodet
Als Fazıl Say seine letzte Zugabe beendet hat und Bühnenarbeiter damit
beginnen, den kostbaren Flügel wieder für den Transport aus dem unwegsamen
Gelände heraus zu verpacken, machen sich viele Besucher auf den Weg zu der
gerodeten Fläche in den Bergen. Vom Protestcamp aus zieht sich eine breite
Schneise der Verwüstung durch den Wald. Schwere Kettenfahrzeuge können
durch diese Schneise bis ins Abbaugebiet gelangen, um dort die Becken für
den Goldabbau auszuheben. Noch liegt alles verlassen da, selbst von den
Wachleuten der Firma Alamos Gold ist am Sonntag nichts zu sehen.
Doch das kann sich schnell ändern. „Die können jederzeit mit ihrer Arbeit
anfangen“, befürchtet Ayse, „wir können sie letztlich nicht daran hindern…
Das ließe sich nur durch massiven politischen Druck erreichen. Auf
kommunaler Ebene ist die Provinz Canakkale wie fast die gesamte Ägäisküste
fest in der Hand der größten Oppositionspartei, der sozialdemokratischen
CHP. Auch bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen haben die Bewohner
der Ägäisküste mit großer Mehrheit gegen die AKP und Erdoğan gestimmt. Das
beflügelt den Protest vor Ort, führt aber auch dazu, dass die Regierung auf
die Bevölkerung, die sie sowieso nicht unterstützt, wenig Rücksicht nimmt.
Asye und ihre Freunde wollen ihren Protest gegen den Goldabbau deshalb
möglichst aus dem parteipolitischen Gerangel heraushalten. „Wir reden hier
nicht über Politik“, sagt Asye, „wir reden über die Zerstörung der Natur.
Das geht schließlich alle an.“
21 Aug 2019
## AUTOREN
Jürgen Gottschlich
## TAGS
taz.gazete
Rohstoffe
Schwerpunkt Türkei
Goldmine
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