| # taz.de -- Kinoempfehlung für Berlin: Blicke als Begegnungen | |
| > Ein Film schöner als der andere: Das Kino Arsenal widmet dem zu Unrecht | |
| > fast vergessenen Regisseur Frank Borzage eine Werkschau. | |
| Bild: Vom Abwasserkanal in Paris hinauf in die Sterne: „7th Heaven“ (1927) | |
| Kommt eine Frau zum Juwelier, wählt die Kette aus edelsten Perlen und | |
| bestellt den Juwelier zu ihrem Mann, dem Nervenarzt Monsieur Pauquet: Er | |
| werde die gut 2 Millionen Francs dann bezahlen. Kommt dieselbe Frau zum | |
| Nervenarzt Monsieu Pauquet und warnt ihn, es werde ihr Gatte auftauchen, | |
| der schwer verwirrte Juwelier Aristide Duvalle, und 2 Millionen von ihm | |
| fordern. | |
| So geschieht es. Zwei Männer, deren Gattin die mysteriöse Fremde nicht ist, | |
| reden wie die Bekloppten aneinander vorbei. Unterdessen braust die Frau mit | |
| der Perlenkette, sie wird von Marlene Dietrich gespielt, rauchend im | |
| Cabriolet auf und davon. | |
| Der Film heißt „Desire“, auf Deutsch mal „Sehnsucht“ (was Quatsch ist,… | |
| geht hier sehr viel eher um Begehren und Gier), mal „Perlen zum Glück“ (na | |
| ja), er ist sehr schön und er läuft im Rahmen der [1][Retrospektive] seines | |
| heute völlig ungerechterweise ziemlich vergessenen Regisseurs Frank | |
| Borzage. | |
| Und so schön der Film auch ist, mit einem Hauch Lubitsch (zum | |
| Lubitsch-Touch fehlt ein Stück, obwohl Lubtisch selbst produziert hat), | |
| andere Filme von Borzage sind noch tausendmal schöner als dieser: „7th | |
| Heaven“ zum Beispiel, ein Stummfilm von 1927, eine Liebesgeschichte per | |
| aspera ad astra, vom Abwasserkanal in Paris hinauf in die Sterne, während | |
| im gemalten Hintergrund markant der Eiffelturm steht. | |
| Wobei das mit der Liebe nie umstandslos geht: Stockwerk für Stockwerk fährt | |
| die Kamera mit den (noch nicht oder doch schon) Liebenden von unten nach | |
| oben, sieben mühsam erstiegene Etagen zum Glück, das natürlich nicht | |
| ungetrübt bleibt. | |
| Dieser Film katapultierte Borzage ins Zentrum der amerikanischen | |
| Filmindustrie. Er hatte seit den frühen Zehnerjahren erst als Schauspieler, | |
| dann als Regisseur schon unzählige Credits, der Durchbruch aber erfolgte | |
| erst jetzt: großer Erfolg bei Publikum und Kritik, Oscar für die beste | |
| Regie (eines Dramas, es war die erste Verleihung, es wurde einmalig noch | |
| ein separater Oscar für Komödien verliehen). | |
| Janet Gaynor und Charles Farrell, die in „7th Heaven“ die Hauptrollen | |
| spielten, wurden zum Traumpaar in vielen weiteren Filmen, nicht nur, aber | |
| auch unter Regie von Borzage. Farell war auch in Borzages „The River“ von | |
| 1929 zu sehen, einmal ziemlich prägnant sogar nackt, es ist dies wieder | |
| eine Liebesgeschichte, ein letzter Stummfilm, diesmal im Bergbaumilieu, | |
| Borzages beglückendster Film, wenn man das von einem Werk sagen kann, von | |
| dem nur noch der mittlere Teil, gut fünfzig Minuten, erhalten ist | |
| beziehungsweise rekonstruiert werden konnte. | |
| Keiner hat Begegnungen und Blick, Blicke als Begegnungen im klassischen | |
| Hollywood so nuanciert und zugleich unverschämt inszeniert wie Borzage. | |
| Unschuldige Küsse treffen auf schuldiges Zieren, frivoles Innuendo auf | |
| scheinkühle Distanz. Es lächelt verzückt und lächelt fast nicht und lächelt | |
| wieder verzückt ein von Kopf bis Fuß verknallter Gary Cooper (in „Desire“… | |
| wenn Marlene Dietrich, über Schnitt und Gegenschnitt getrennt, in Schnitt | |
| und Gegenschnitt mit ihm verbunden, im gefiederten Kleid am Klavier sitzt | |
| und zur Musik von Friedrich Holländer „You’re here and I’m here“ singt. | |
| „Awake in a dream“ heißt der Song, aber sie singt so, dass beide und | |
| überhaupt alle verstehen, dass sie dieses „Hier“ am liebsten in die | |
| Horizontale verlagern würde, und zwar am besten jetzt und sofort. Und er | |
| käme natürlich liebend gern sofort mit. Das dauert dann noch, wenngleich | |
| nur ein bisschen. | |
| Auch eine Liebesgeschichte, aber in eine sehr viel düsterere Tonart | |
| gesetzt, ist „Moonrise“ aus dem Jahr 1948. Ein Noir-Drama um einen Mord, | |
| der sich fortzeugt: Danny (Dane Clark) tötet den Mann, der ihn schon in der | |
| Schule gemobbt hat – weil Dannys Vater seinerseits ein Mörder war. Ein | |
| unschuldig Schuldiger als Protagonist, ein Mann, mit dem zu sympathisieren | |
| sehr schwer fällt, auch in der brutalen Art, wie er um die Lehrerin Gilly | |
| (Gail Russell) wirbt, die gerade noch dem Mobber das Jawort gegeben hatte. | |
| Borzages Karriere war hier nach den Jahren großen Erfolgs schon auf dem | |
| absteigenden Ast, er hat „Moonrise“ für das B-Studio Republic gedreht. Wo | |
| er aber sichtlich große Freiheiten hatte, seine in schwere Schatten | |
| gesetzte expressionistische Südstaatenwelt heraufzubeschwören. | |
| Nur der romantische Subplot darf strahlen in diesem finsteren Film. Auch in | |
| anderen Filmen Borzages lässt sich die verklärte – reine, aber kaum je | |
| süßliche – Liebe als Kompensation oder irreales Gegenbild komplizierter | |
| Seelen- und Gesellschaftslagen verstehen. | |
| Sehr deutlich etwa in „The Mortal Storm“ (1940) mit James Stewart, einem | |
| Film, der vom Aufkommen des Nationalsozialismus in Deutschland erzählt. In | |
| den realen und den Seelensümpfen von „Moonrise“ aber gewinnt das kaum | |
| vermittelbare In- und Gegeneinander von Liebe und Gewalt eine fast schon | |
| perverse Qualität. Ein letzter Beleg für die Größe Borzages, eines | |
| Romantikers, dem der siebte Himmel, aber auch das ausweglose Verhängnis | |
| vertraut ist. | |
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| immer Donnerstags in der Printausgabe der taz | |
| 29 Aug 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ekkehard Knörer | |
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