Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Russische Schwestern töteten Vater: Demo unterstützt Missbrauchso…
> In Russland haben drei Schwestern ihren Vater getötet – nach Jahren des
> Missbrauchs. Nun solidarisiert sich die Bevölkerung mit ihnen.
Bild: Der Prozess gegen Kristina und ihre Schwestern hat zu landesweiten Diskus…
Moskau dpa | 36 Messerstiche in die Brust: Der Vater ist tot, drei
Schwestern sitzen auf der Anklagebank. Die drei jungen Frauen töteten im
vergangenen Sommer in Russland ihren Vater. Das bestreitet keine von ihnen.
Doch der Fall ist damit nicht gelöst. Was vor genau einem Jahr in einem
Wohnhaus am Stadtrand von Moskau geschah, darüber spricht zur Zeit fast das
ganze Land. Nun jährt sich die verhängnisvolle Tat zum ersten Mal, und in
vielen Städten gehen die Menschen für die jungen Frauen aus Solidarität auf
die Straße. Warum?
Maria, Angelina und Kristina – kaum volljährig – sitzen hinter Gitterstäb…
in einem Moskauer Gerichtssaal. Zum Zeitpunkt der Tat waren sie 17, 18 und
19 Jahre alt. Bei den Anhörungen bleiben sie stumm, fast schüchtern. Brutal
erstochen, alles war als Verschwörung geplant, wirft ihnen die Anklage vor.
Es war eine Verzweiflungstat, Notwehr, sie hatten keinen anderen Ausweg,
argumentiert die Verteidigung. Dutzende Male stachen sie auf ihren Vater
Michail ein, als er im Fernsehsessel schlief. Sollten die drei jungen
Frauen als Mörderinnen verurteilt werden, drohen ihnen bis zu 20 Jahre
Haft. Der Prozess soll im August in Moskau beginnen.
Jahrelang hatte der Vater mit angeblichen Verbindungen zur russischen Mafia
seine Töchter misshandelt. Er soll sie eingesperrt, geschlagen und sexuell
missbraucht haben. „Ich hatte Angst. Mir blieb aber nichts anderes übrig,
als mich zu unterwerfen“, sagte Angelina bei einer Vernehmung russischen
Medien zufolge. Ansonsten hätte der 57-Jährige sie und ihre Schwestern
umgebracht, ist sie sich sicher.
Wenn ihm die Wohnung nicht sauber genug war, soll er den Mädchen, die wie
Sklavinnen in einer Plattenbauwohnung im Moskauer Norden lebten,
Pfefferspray ins Gesicht gesprüht haben. Als Kristina sich einmal seinen
Befehlen verweigerte, brachte er das Mädchen in einen Wald, band sie an
einen Baum und verletzte sie mit einem Messer, wie ihr Anwalt erzählt. Die
Mutter habe er schon vor Jahren aus dem Haus getrieben, aus Angst sei sie
nicht zur Polizei gegangen. Die Ermittler bestätigen das Martyrium der
Familienmitglieder.
## Kritik vom Gerichtshof für Menschenrechte
In Russland wird nur selten über häusliche Gewalt in der Öffentlichkeit
gesprochen. Ein umstrittenes Gesetz aus dem Jahr 2017 macht die Lage für
Opfer nicht einfacher: Wer in Russland seine Frau, Kinder oder andere
Angehörige verprügelt, [1][muss zunächst lediglich mit einer Ordnungsstrafe
rechnen]. Eine härtere Strafe soll nur dann verhängt werden, wenn die
Schläge mehr als einmal im Jahr vorkommen, Blutergüsse sichtbar sind oder
Knochen brechen. Die Familie solle nicht wegen eines „Klapses“
auseinandergerissen werden, argumentierte die Abgeordnete Jelena Misulina
damals, die das Gesetz vorantrieb.
Nach offiziellen Angaben geschehen schätzungsweise rund 40 Prozent der
Körperverletzungen in Russland innerhalb der eigenen vier Wände. Etwa
36.000 Frauen leiden demnach jeden Tag unter den Schlägen ihrer Männer,
26.000 Kinder werden täglich von ihren Eltern misshandelt. Knapp alle 40
Minuten kommt in Russland eine Frau durch häusliche Gewalt ums Leben,
insgesamt sterben deswegen pro Jahr etwa 12.000 Frauen an den Folgen der
Gewalt. Statistiken einer Nichtregierungsorganisation zufolge werden rund
90 Prozent der Fälle überhaupt nicht bekannt.
„Der Fall zeigt ganz deutlich: Unser System will das Problem der häuslichen
Gewalt leider nicht anerkennen“, sagt die Juristin Anna Riwina, die eine
Anlaufstelle für Betroffene häuslicher Gewalt in Moskau leitet. „Für viele
ist das lediglich eine „Familienangelegenheit“, in die man sich nicht
einmischt.“ Diese Ohnmacht führe dazu, dass viele Betroffene nicht um Hilfe
bitten, weder bei Nachbarn noch bei den Behörden.
Selbst der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hatte Russland
erst Anfang Juli aufgefordert, Opfer besser vor häuslicher Gewalt zu
schützen. Hintergrund war der Fall einer Russin, die über Jahre von ihrem
Ex-Partner misshandelt, bedroht und verfolgt wurde. Obwohl sich die Frau
mehrfach an Polizei und Gerichte wandte, seien die Behörden untätig
geblieben.
## Demo am Samstag geplant
Russische Menschenrechtler hegen nun die Hoffnung, dass der Fall der drei
Schwestern etwas bewegen könnte. Die landesweite Aufmerksamkeit soll zu
einer Änderung des umstrittenen Gesetzes führen. „Wir fordern Gerechtigkeit
für die Frauen, die gezwungen sind, sich zu verteidigen“, rufen die
Organisatoren eines Protestzuges auf. In Moskau ist am kommenden Samstag,
dem Jahrestag der Tat, eine riesige Protestaktion geplant.
Für Maria, Angelina und Kristina wird die Demonstration so schnell nichts
an ihrer Lage ändern. Die drei sitzen im Hausarrest – getrennt voneinander.
Sie dürfen weder mit der Außenwelt noch miteinander kommunizieren. Doch
alles ist besser als das Leben mit dem brutalen Vater, sagt eine Schwester.
Selbst Jahre hinter Gittern.
22 Jul 2019
## LINKS
[1] /Haeusliche-Gewalt-in-Russland/!5375088
## TAGS
Russland
häusliche Gewalt
Notwehr
Justiz
Russland
Frauen
Russland
## ARTIKEL ZUM THEMA
Aus Le Monde Diplomatique: Schutzlos in Russland
Gewalt gegen Frauen wird in Russland nach wie vor als Privatangelegenheit
betrachtet. Die Justiz wankt dabei vor und zurück.
UN-Studie über Gewalt gegen Frauen: 87.000 Femizide in einem Jahr
Bei Tötungsdelikten spüren die Ermittler den Täter oft im familiären Umfeld
auf. Weltweit wurden im Jahr 2017 rund 87.000 Frauen getötet.
Häusliche Gewalt in Russland: Ein bisschen Prügel schadet nicht
Die Neufassung eines Gesetzes entkriminalisiert Gewalt im familiären
Umfeld. Künftig werden Schläger nur noch mit einer Geldstrafe belegt.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.