| # taz.de -- Ein Museum für Wolfram von Eschenbach: All you need is love | |
| > Das mittelfränkische Wolframs-Eschenbach ist vermutlich der Geburtsort | |
| > eines der berühmtesten Minnesänger des Mittelalters . | |
| Bild: Installation im Wolfram von Eschenbachmuseum in Wolframs-Eschenbach | |
| Die Liebe wohnt in Wolframs-Eschenbach. Love, love, love … Liebe wie | |
| „Minne“. „Minne“ ist mittelhochdeutsch für Liebe. Ein Liebesnest ist d… | |
| Ort. Er liegt im Fränkischen westlich von Nürnberg und ist sehr alt und | |
| immer noch intakt. Wie das Mittelalter höchstselbst ragt er in unsere neue | |
| Zeit hinein. Befestigt mit einer originalen Stadtmauer, die die Fachwerk- | |
| und Renaissancebauten umschließt. Außerhalb liegen die malerischen Teiche | |
| Badweiher und Schießweiher und ein Kampfplatz für Ritterturniere. Und aus | |
| der Mitte ragt die bunt geklinkerte Spitze des Liebfrauenmünsters in den | |
| Himmel. Trotzdem klingeln mir die Beatles im Ohr. Love, love me do … Weil | |
| es um die Minne geht? | |
| Aus Wolframs-Eschenbach kam (vermutlich) Wolfram von Eschenbach, einer der | |
| berühmtesten Minnesänger des Mittelalters. Er gehörte einer Generation von | |
| Dichtern und Liedermachern an, die um 1200 herum Kultur und Musik und | |
| Unterhaltung an die Fürstenhöfe Europas brachten und große Auftritte vor | |
| Hofgesellschaften hatten. Wie auch Walther von der Vogelweide, Gottfried | |
| von Straßburg, Hartmann von Aue, Heinrich von Morungen, Neidhart von | |
| Reuental, Reinmar und, und … Sie beschworen in populären Liedern die Liebe | |
| und bedichteten hingebungsvoll edle „frouwen“ und gute „wibs“ und | |
| „herzeliebe vrouwelin“. | |
| Eine Sechsergruppe, darunter auch Wolfram von Eschenbach, soll 1206 auf der | |
| thüringischen Wartburg bei Eisenach sogar einen spektakulären | |
| „Sängerstreit“ ausgefochten haben. Genaues weiß man nicht. Wir bewegen uns | |
| im Ungefähren und in Zeiten, die Legenden sind. Und das betrifft auch | |
| Wolfram von Eschenbach. Ganz sicher ist: Wolfram hielt sich um 1200 herum | |
| in Lohn und Brot bei Landgraf Hermann auf der Wartburg auf, er pflegte | |
| Kontakte zu den Burgherren von Wertheim am Main und denen der heutigen | |
| Ruine Wildenburg im Odenwald. Von Wolfram kennen wir vor allem den | |
| „Parzival“, die vielleicht berühmteste epische Dichtung des Hohen | |
| Mittelalters. Überliefert sind außerdem Fragmente des „Titurel“, sein | |
| „Willehalm“ und einige „Tagelieder“. | |
| Ein ambitioniertes Museum widmet sich in Wolframs-Eschenbach diesem | |
| Dichter. Ambitioniert deshalb, weil hier Mittelalter-Spezialisten Wolframs | |
| Literatur darstellen, sie sichtbar machen wollten, mit Farben, Formen, | |
| Malerei, Lichtspielereien und Texten. Seit 1995 befindet sich dieses | |
| besondere Museum neben dem Münster im schönen Fachwerkbau des ehemaligen | |
| Rathauses. Über eine alte Holztreppe geht es hinauf in den ersten Stock. | |
| Und dann die Überraschung: Es sind viele kleine Räume zu besichtigen. Und | |
| jeder Raum für sich ist sein eigenes kleines Universum. Wie Bühnenträume | |
| für Wolframs dichterische Welten. Zauberisch und zauberhaft. | |
| ## Eine kaum noch verständliche Welt | |
| Die dunkle Inszenierung der Burgenatmosphäre im ersten Raum dürfte jedem | |
| Mittelalter-Fan irgendwie vertraut sein – hier wird man in Wolframs Zeit | |
| und Biografie eingeführt. Wer dann die Schwelle zum Parzival überschreitet, | |
| tritt in eine uns kaum noch verständliche Welt ein. | |
| Tarotkarten mit Rittern, Tod, Teufel, Königinnen und Königen bebildern und | |
| erklären den Kosmos des Parzival, sie schmücken die Wände, sie hängen von | |
| der Decke eines kleinen rot-weißen Raumes. Einige tragen die Namen von | |
| Personen aus der Parzival-Geschichte. Parzival ist ein sinnender junger | |
| Mann, der sich auf einen Stock stützt, die Nummer VII der Münzen aus dem | |
| Rider-Waite-Tarot. Wie wir Heutige die Spielregeln dieses Tarots erst | |
| lernen müssen, so musste auch der Romanheld Parzival die Regeln seiner Welt | |
| erst verstehen lernen. Er musste lernen, sich zu bewähren. | |
| Sein Weg von einem einfältigen, ungebildeten Naturkind über die höfische | |
| Welt des Artus-Hofes und die Gralssuche bis hin zum Gralskönig war | |
| windungsreich, zumal sich höfisches Leben nicht unbedingt mit der | |
| anspruchsvollen ritterlichen Ethik am Gralshof deckte. Parzival musste die | |
| wichtigste der ritterlichen Tugenden, die Empathie, lernen. | |
| Die Welt des Parzival ist vielschichtig. Aber damals wie heute, wenn es um | |
| Ritterspiele und mittelalterliches Leben und höfische Kultur geht, steht | |
| die Begeisterung im Vordergrund. Als der in abgeschiedener Natur erzogene | |
| Junge zum ersten Mal Rittern begegnete, glaubte er an eine | |
| Engelserscheinung. So prachtvoll erschienen sie ihm in ihren klirrenden | |
| Kettenhemden, den glänzenden Helmen, den Lanzen und ihren Schilden mit den | |
| in der Sonne leuchtenden Farben Grün und Rot, Gold, Blau und Silber. Alles | |
| Gestalten von außerordentlicher Schönheit und Größe. | |
| Mit dem Abstand der Jahrhunderte wissen wir jedoch, dass diese Ritter-Ära | |
| nicht bloß Legende und Sagenspiegel ist, sondern auch ein Projektionsraum | |
| für ewige Wünsche nach etwas ganz Anderem und Authentischem. Und dass die | |
| Wirklichkeit der Ritterwelt ziemlich übel war. Nichts war ihr | |
| selbstverständlicher als die alltägliche Gewalt. | |
| ## Freude am Quälen und Töten | |
| Die Literatur über das Mittelalter ist voll davon. Und überbordend von | |
| Untersuchungen und Deutungen. Dabei lohnt sich manchmal ein Blick in einen | |
| Klassiker wie etwa Norbert Elias’ große Studie „Über den Prozess der | |
| Zivilisation“, wo Elias befindet: „Der Krieger des Mittelalters liebte | |
| nicht nur den Kampf, er lebte darin.“ Und weiter ausführt, dass der Kampf | |
| seine einzige „Funktion“ gewesen sei. „Überall war Furcht, die Freude am | |
| Quälen und Töten, am Verstümmeln anderer war groß, es war eine | |
| gesellschaftlich erlaubte Freude.“ Das Rittertum: „Ein Leben der Extreme | |
| zwischen Menschenjagden, nämlich Kriegszeiten, und Tierjagden oder | |
| Turnieren, den Vergnügungen der ,Friedenszeiten'.“ | |
| Populäre Minnesänger wie Wolfram von Eschenbach liefen bei Sang, Tanz und | |
| Dichterlesung zu literarischer Hochform auf, aber gleichzeitig erlebten | |
| sie, dass viele der ritterlichen Engelsgestalten die höfische Kultur und | |
| ihre anbetungswürdigen Damen im Stich ließen, lukrative Turniere | |
| verschmähten und stattdessen Aufrufen von Päpsten ins bedrohte Ostrom und | |
| zu den heiligen Stätten gläubiger Christen folgten. Und auch dort | |
| Grausamkeiten anrichteten. Wolframs Zeit war die Zeit der Kreuzzüge. | |
| Der Raum des Willehalm versinnbildlicht den Wahnsinn der Kriege zwischen | |
| Muslimen und Christen. Die geschichtliche Grundlage dieser Dichtung bilden | |
| Kämpfe, die der historische Willehalm, vermutlich ein jüngerer Cousin Karls | |
| des Großen, um 800 herum in Südfrankreich bei Arles gegen einfallende | |
| Sarazenenheere ausgefochten hat. Dieser Raum ist dunkel. Und gruselig. | |
| Aufgereihte Waffen, Grabzeichen, glutrotes Licht – hier herrscht die | |
| Atmosphäre einer Totenwacht und Totenklage. Wie zum Ende aller Schlachten, | |
| die Willehalm geschlagen hat. Es ist eine Geschichte aus einem | |
| altfranzösischen Sagenkreis. In der Person von Willehalms Frau Gyburc | |
| entfaltete Wolfram Gedanken zu einer Versöhnungstheologie in dem Sinne, | |
| dass doch alle „Kinder Gottes“ seien. | |
| Nach heutigen Maßstäben war Wolfram von Eschenbach ein Humanist. Zwar | |
| bearbeitete er Legenden, aber er grundierte sie mit den Themen seiner Zeit | |
| und seiner persönlichen Haltung. Seine Gralsburg lag in einer geistigen | |
| Sphäre, und die Geschichte Parzivals spiegelte auch die starken Wünsche | |
| nach echter Ritterlichkeit und einem „guten“ Herrscher wider. | |
| Wolfram missfielen dumpfe Haudraufs, die sich mit Lanzen von ihren Pferden | |
| hebelten, grundlos und ohne sich überhaupt zu kennen. Man hätte ja erst | |
| einmal miteinander sprechen können, meinte er lapidar. Und Menschen einfach | |
| umzubringen, nur weil sie „Heiden“ waren, hielt er für Sünde. Ob Wolfram | |
| selbst an einem Kreuzzug teilgenommen hat, ist unklar. Er betonte gern, | |
| nicht nur ein Dichter, sondern ein Mann der Tat zu sein und der | |
| Ritterklasse zugehörig. Vielleicht folgte er als Jugendlicher eine Zeit | |
| lang dem Kreuzzug von 1189, auf dem Kaiser Barbarossa in einem Fluss | |
| ertrank. | |
| ## Handel und sichere Verkehrswege | |
| Unter Historikern gilt die Zeit um 1200 als Achsenzeit. In Europa wurde der | |
| Boden knapp. Bevölkerungswachstum, die Entstehung großritterlicher | |
| Feudalhöfe und größerer Städte mit einer neuen Gesellschaftsschicht, den | |
| Bürgern, ausgedehnte Handelsbeziehungen und der Bedarf nach sicheren | |
| Verkehrswegen setzten neue gesellschaftliche Dynamiken in Gang. | |
| Menschen, die gen Osten neu siedelten oder an Kreuzzügen teilnehmen | |
| konnten, gab es genug. Vor allem in der Oberschicht, nämlich Ritter ohne | |
| oder ohne genügend Besitz, um ihren Standard aufrechterhalten zu können. | |
| Schon im 10. und 11. Jahrhundert vermieteten sich Ritter an Kriegsherren in | |
| der Hoffnung auf ein Lehen. | |
| Aber die neuen Zeiten wirkten auch nach Innen. Norbert Elias beschreibt | |
| dies als „Zivilisierung“ im Sinne einer langfristigen Transformation der | |
| Gesellschafts- und Persönlichkeitsstrukturen. Gerade an den großen | |
| Fürstenhöfen lernten Menschen allmählich, ihre Affekte zu regulieren, sie | |
| pazifizierten sich. Die Beziehungen untereinander änderten sich. Physische, | |
| unmittelbare Gewalt wurde zurückgedrängt. Für Elias ist der zunehmend | |
| sportliche Charakter der Turniere ein wichtiger Gradmesser für langfristige | |
| Veränderungen des Trieblebens der Eliten. Die Krieger verhöflichten. So | |
| wurden laut Elias die Fürstenhöfe dank ihrer zivilisierenden Kultur zum | |
| entscheidenden Impulsgeber für die Gesamtgesellschaft. | |
| Die Welt, in der Wolfram lebte, orientierte sich um. Für Wolfram brauchte | |
| sie Versöhnung. Und sie brauchte Liebe. Liebe war das Zauberwort für alle | |
| diese Dichter. Liebe kann nicht falsch sein. Im Raum der Minnelieder | |
| herrscht Halbdunkel und ein hoher Burgturm. Aber es gibt auch einen breiten | |
| Lichtstrahl und die Andeutung des hellen Tages. Die Minne, die Wolfram | |
| besang, war die sinnliche Liebe. Und immer wenn es Tag wurde, endete bei | |
| ihm eine glückliche Liebesnacht. | |
| ## Mehr Freiheiten | |
| Das Tageslicht verheißt aber auch etwas Neues, den Ausgang von Frauen aus | |
| den Kemenaten und Spinnstuben in das Licht der Öffentlichkeit, das ihnen | |
| die Kultur der Höfe und das Liebeswerben der Minnesänger bot. Wo | |
| unmittelbare Gewalt zurückgedrängt wurde, profitierten zuerst Frauen. Wo | |
| Männer lernen mussten, ihre „Wallungen zu dämpfen“, konnten Frauen | |
| gesellschaftlich aktiv werden. Und wo Frauen die Bildung übernahmen und | |
| Dichter, Sänger und gelehrte Kleriker heranzogen, galt unmittelbare | |
| Triebabfuhr bald als schlechtes Benehmen und wurde mehr und mehr geächtet. | |
| Natürlich gab es auch Frauen, die sich, so berichtet Elias, „nach | |
| Temperament und Neigung“ in nichts von brutalen Männern unterschieden. Aber | |
| rechtlich und sozial blieben sie ihnen unterworfen und ihrem unmittelbaren | |
| Zugriff ausgesetzt und mussten sich auch unterwürfig verhalten. Frauen | |
| konnten nicht entscheiden, ob sie einen Mann erhörten – sie hatten keine | |
| Wahl. Ihre Heirat arrangierten andere. Liebe spielte dabei keine Rolle. Sie | |
| waren Objekte der Heiratspolitik. Und der Frauenfeindlichkeit der Kleriker, | |
| die in ihnen nicht viel mehr sahen als Lockspeise des Satans und | |
| Hindernisse auf dem Pfad der Tugend. | |
| „Mîn sanc wil genâde suochen / an dich, güetlîch wîp …“, so bat Wolf… | |
| Zuneigung. Und so halfen Minnesänger den Damen auch aus dem Sumpf der | |
| Geschichte. Aber ihre Liebesdichtungen verklärten gern die Angebeteten, | |
| machten sie zu höheren, unerreichbaren Wesen. Denn nur eine „tugendhafte“ | |
| Frau galt als wirklich anbetungswürdig. Sie musste dem Manne zur Ehre | |
| gereichen. Und so verpassten sie dem weiblichen Geschlecht einen | |
| Tugendkatalog, von dem wir uns bis heute noch nicht erholt haben. | |
| Immerhin war ein erster Schritt zu einer Emanzipation gemacht. Eine | |
| zivilisatorische Leistung. Eingebettet in die fantastischen Welten des | |
| Museums kann man mit Dank dem großen Auftritt der Minnesänger applaudieren | |
| … love is all you need. | |
| 14 Jul 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Christel Burghoff | |
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