# taz.de -- Minnesang: Das Ziel ist absolute Innigkeit | |
> Holger Schäfer suchte in der Musik Spiritualität und Gemeinschaft - und | |
> fand den Minnesang. Zum 800. Jahrestag der Kaiserkrönung Ottos IV. singt | |
> und spielt er in Braunschweig. | |
Bild: Mit Harfe und gewelltem Haar der Innigkeit auf der Spur: Holger Schäfer. | |
Holger Schäfer steht vom Sofa auf, setzt sich ans E-Piano und spielt einen | |
Moll-Akkord: "Es war einmal…." Er spricht das mit einer weichen Stimme, | |
schaut mit großen Augen herüber, lächelt. Man kann nicht anders, man muss | |
zurücklächeln. "Haben Sie gemerkt, jetzt waren wir beide weg", sagt er dann | |
und blickt noch etwas durchdringender. Vielleicht lächelt man aber nicht | |
nur, weil man weg ist, sondern weil dieser Mann etwas aus der Welt gefallen | |
zu sein scheint. Aber das wäre ihm wahrscheinlich egal. | |
Holger Schäfer ist Musiklehrer und Minnesänger. Im Jahr 2000 mietete er | |
sich seine erste Harfe, begleitete zuerst seine Blockflöten-Schüler und | |
fing irgendwann an, sich auf die Straße zu stellen und zur Musik | |
Geschichten zu erzählen. Er wollte das erreichen, was er vor einigen Jahren | |
bei einem Harfenspieler auf der Straße beobachtet hatte. Von dessen Klängen | |
sei er verzaubert worden und konnte in eine andere Welt abtauchen. | |
Minnesänger war er da noch nicht. Zu dem wurde er erst, nachdem ihm eine | |
Freundin die CD des Falkensteiner Minneturniers gab. Zu der Zeit war er | |
gerade auf der Suche nach einer neuen Herausforderung und weil per Zufall | |
ein Platz frei wurde, landete er im Mai 2008 bei dem Minnesängerwettstreit | |
in Klingenberg und wurde prompt Minnesänger des Jahres 2008. Auch den | |
Publikumspreis gewann er dort. Vielleicht weil er es geschafft hatte, die | |
Zuhörer mit auf eine Tauchfahrt zu nehmen, wie er sie damals selbst erlebt | |
hatte. Ein musikalischer Reiseführer in den inneren Ozean. Aber er macht | |
das auch für sich. "Ich brauche das Lächeln, dann weiß ich, dass ich | |
weitermachen kann." | |
Der 37-Jährige nimmt ein Blatt, leiht sich einen Stift und fängt zu | |
zeichnen an. "Ich muss die Dinge visualisieren, wenn ich etwas erkläre, | |
damit ich nicht so sprunghaft bin." Er erzählt, dass er wahrscheinlich ADS | |
habe, das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom, auch wenn das nie diagnostiziert | |
worden sei. Die Zeichnung beruhigt das Wirrwarr. So wie die Momente mit | |
einem Instrument in der Hand. "Für mich ist es toll, mich bei der Musik zu | |
vergessen, weil ich dann nicht so viel rumdenke." | |
Mit seiner Skizze beschreibt Holger Schäfer, wie sich bei ihm musikalisches | |
Profil, also das handwerkliche Können, und die Gefühlsebene in seiner | |
Musikerpersönlichkeit aufteilen. Angefangen hat er mit den Instrumenten auf | |
der Gefühlsebene, weil er sie immer zuerst autodidaktisch erlernte, bevor | |
er Unterricht nahm. Blockflöte, Klavier, Orgel, Gesang. Dann wuchs der | |
technische Anspruch, schließlich studierte er an der Musikakademie Kassel | |
Blockflöte und Cembalo. Sein Antrieb damals: "Ich wollte ein cooler Musiker | |
werden." Aber irgendwann reichte ihm das nicht mehr, ihm fehlte das | |
Gemeinschaftsgefühl, das Berührende in der Musik. "Ich bin wie ein Zwilling | |
- der eine will sich weiterbilden, der andere macht innig Musik." | |
Vermittelt wurde aber nur Affektenlehre, denn in der Barockoper gehe es | |
letztendlich um künstliche Emotionen, erklärt er. | |
Holger Schäfer greift sich seinen Laptop, ruft Youtube auf und sucht ein | |
Video des Freiburger Barockorchesters: "Brandenburg Concertos No.4 - i: | |
Allegro" von Bach. Perfekt gespielt, aber die Gesichter sehen kühl aus. "So | |
könnte ich mich auch hinstellen und spielen", sagt er. "Aber das innerliche | |
Erschüttert-Sein, das gibt es hier nicht. Alles ist durchgestylt." | |
Dann holt er wieder das Blatt Papier, malt zwei Gruppen mit kleinen | |
Kreisen: "Das sind die Musiker, das ist das Publikum." Er beschreibt, was | |
passiert, wenn sich Musiker auf ihr Profil, auf sich alleine, | |
konzentrieren. Dann sind sie für sich und faszinieren das Publikum mit | |
ihrem Können. Wenn sie dagegen innig Musik machen würden, könnten sie | |
gemeinsam mit dem Publikum zu einer Einheit verschmelzen. "So entsteht ein | |
Kraftfeld, ein Wir", sagt Holger Schäfer. Aber so etwas gebe es nicht in | |
der klassischen Musik, sondern höchstens bei Chören, im Folk und natürlich | |
beim Minnesang. | |
Das ist das Ziel von Holger Schäfer beim Musikmachen: Das Profil, die | |
Konzentration auf die Intonation eines einzelnen Tons, immer weniger | |
wichtig zu nehmen, es geschehen zu lassen und in der Innigkeit aufzugehen. | |
Er nennt es "Spiritualität". | |
Holger Schäfer geht in einen Nebenraum, holt seine Harfe, setzt sich mit | |
dem Instrument auf einen Hocker und erzählt das Märchen vom Einhorn von | |
Otfried Preußler. "Diese Geschichten sollen ein Kanal für Emotionen sein", | |
sagt er und lächelt. Er selbst finde in ihnen Sehnsucht und Hoffnung, wenn | |
ihm die Realität mal wieder zu eng und kompliziert erscheine. Ja, gerade | |
beim Minnesang fühle er sich weniger kompliziert. Deswegen sei es ihm auch | |
egal, was die Leute über ihn denken, sagt Schäfer. "Verrückt heißt doch | |
auch nur: vom Normalmaß abgerückt." | |
Am 17. Juli tritt Holger Schäfer bei der Auftaktveranstaltung zum 1. | |
Europäischen Minnesang-Festival auf dem Burgplatz in Braunschweig auf. Im | |
Oktober wird er dann wieder dort sein, um als deutscher Vertreter an dem | |
Wettstreit teilzunehmen. | |
15 Jul 2009 | |
## AUTOREN | |
Tim Meyer | |
## TAGS | |
Minnesänger | |
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