# taz.de -- Das Schlagloch: Der Feind hat mein Herz | |
> Mittelalterliche Erkenntnis: Erst der Kampf gegen das Fremde formt die | |
> eigene Identität. | |
Bild: Installation im Wolfram von Eschenbachmuseum in Wolframs-Eschenbach | |
Ein Ritter treibt sein Pferd in einen Wald hinein, der so gewaltig und | |
düster ist, dass der Ritter aufatmet, als er eine sonnige Lichtung | |
erreicht. Dort stößt er auf einen Fremdling, einen Heiden, der mit den | |
wunderbarsten Kostbarkeiten behangen ist. Alle Reichtümer des Königs zu | |
England hätten nicht einmal den Waffenrock dieses Fremden aufgewogen - so | |
schreibt der Dichter und lässt bald darauf die beiden Helden in der | |
Lichtung aufeinanderprallen: "Beider Augen blitzten, als sie einander | |
sahen, doch wenn jetzt ihre Herzen höher schlugen, so war die Trauer auch | |
nicht weit. Jeder der treuen, aufrechten Männer trug nämlich das Herz des | |
andern in der Brust; sie standen einander nahe, auch wenn sie sich beide | |
fremd waren. Nur dadurch, dass sie einander feindlich gegenübertreten, kann | |
ich den Heiden vom Christen unterscheiden. Möge ein gütiges Geschick den | |
Kampf enden und dem Tod wehren." | |
Der Kampf währt lange, und er endet mit der edlen Geste des Heiden, der | |
sein Schwert senkt, als die Klinge des Ritters birst. Sie setzen sich auf | |
den Rasen und geraten in ein höfliches Gespräch. Es stellt sich heraus, | |
dass die Männer Halbbrüder sind, denn des Ritters Vater verbrachte viele | |
Jahre im Orient, wo er mit einer Einheimischen einen Sohn zeugte, einen | |
Erben namens Feirefiz. Und dieser verschollene Sohn, so lautet die Mär, | |
soll aussehen wie beschriebenes Pergament, schwarz und weiß gefleckt. Daran | |
erkennt der Ritter seinen unbekannten Bruder, nachdem beide ihre Helme und | |
Kettenhauben heruntergerissen haben. Der Ritter heißt Parzival und der | |
Dichter, der diese Szene vor knapp tausend Jahren ersonnen hat, ist der | |
große Epiker mittelhochdeutscher Sprache Wolfram von Eschenbach. | |
Wolfram von Eschenbach schrieb diesen Versroman Anfang des 12. | |
Jahrhunderts, als schon vier Kreuzzüge erfolgt waren. Diese hatten nicht | |
nur die gesellschaftliche sowie die mythische Stellung des Ritters | |
gefestigt, sondern - in einer Umkehrung der kriegerischen Ideologie der | |
Zeit - auch den Fremden (den Sarazenen) dem gebildeten Christen näher | |
gebracht. Die Dichter an den Höfen Westeuropas erkannten in den Kämpfern | |
Saladins seelenverwandte Ehrenmänner, die ihre Vorstellung von | |
Ritterlichkeit und empfindsamer, unerreichbarer Liebe teilten, trotz der | |
brutalen und scheinbar endlosen Kämpfe um Jerusalem oder Tyrus. | |
Besonders fasziniert von den Gemeinsamkeiten waren die Tempelritter, die | |
sich der arabischen Welt so sehr aussetzten, dass sie ein Jahrhundert | |
später Opfer der aggressiven Verengung des christlich-europäischen Denkens | |
wurden und zwischen 1307 und 1314 in Schauprozessen systematisch vernichtet | |
wurden, unter anderem wegen ihrer vermeintlichen Komplizenschaft mit dem | |
Islam. Es wurde ihnen beispielsweise unterstellt, sie würden einen Götzen | |
namens "Baffomet" verehren, im Provenzalischen eine der Verballhornung des | |
Propheten Mohammed. Wolfram von Eschenbach nennt die Gralsritter in seinem | |
Roman daher Templar oder Templeisen, ein eindeutiger Bezug auf diese | |
spirituell-kriegerische Bewegung. | |
Doch die beschriebene Szene weist, wie alle große Literatur, weit über den | |
historischen Kontext der Figuren und des Autors hinaus. Jeder der treuen, | |
aufrechten Männer trug nämlich das Herz des andern in der Brust; sie | |
standen einander nahe, auch wenn sie sich beide fremd waren, sagt der | |
Dichter und löst damit mit leichter Hand den essentiellen Gehalt von Fremde | |
auf. | |
Fremde kann den Umständen, Zufällen, Vorurteilen geschuldet sein, doch sie | |
wurzelt nicht per se in einer ontologischen Differenz und darf daher nicht | |
als unüberwindbar gelten. Gewiss, die beiden Ritter kämpfen gegeneinander, | |
um ihr Leben gar, doch kaum haben sie die Waffen gestreckt, erkennen sie | |
Gemeinsamkeiten, die jeden Konflikt überragen. Mit dem nächsten Satz geht | |
Eschenbach einen entscheidenden Schritt weiter: Nur dadurch, dass sie | |
einander feindlich gegenübertreten, kann ich den Heiden vom Christen | |
unterscheiden. So wichtig ist ihm diese Aussage, dass der Dichter das Wort | |
unmittelbar an den Leser richtet; er hebt die Fiktion der Handlung auf, um | |
etwas kundzutun, dass zu allen Zeiten und in allen Ländern provokant | |
klingen muss: Das Eigene und das Fremde lassen sich nur dann klar | |
unterscheiden, wenn sie einander bekämpfen. Konflikt schärft Differenz, | |
Identität ist die Frucht von Feindschaft. Mit anderen Worten, die | |
antagonistische Haltung, basierend in diesem prototypischen Fall auf einer | |
automatischen, dogmatischen Ablehnung des Heiden, des kanonischen | |
Abweichlers, konstituiert den entscheidenden Unterschied. Denn dieser | |
Fremde ist nicht nur wie beschriebenes Pergament, ein Hinweis auf die | |
damals überlegene Bildung der Menschen des Orients, sondern auch schwarz | |
und weiß gefleckt, was als Bild verstört und als Gleichnis überzeugt. Er | |
ist ein Gemischter, und offensichtlich, seinem hehren Auftreten nach zu | |
urteilen, hat er von beiden Welten das jeweils Beste angenommen und | |
verinnerlicht. | |
Mit einigen wenigen Sätzen hat Wolfram von Eschenbach, so scheint es mir, | |
ein faszinierendes Ideal des Kulturbegegnung formuliert, getragen von der | |
Erkenntnis, dass das Trennende nur eine momentane Differenz ist, eine | |
Flüchtigkeit der Geschichte. Anders gesagt: Das Gemeinsame lauert in jeder | |
Lichtung. Folgerichtig repräsentieren unsere Kanons keineswegs kulturelle | |
Systeme, die sich in einem reinen Zustand beim kulturellen Kampf gegen | |
andere Konzepte und Formen durchgesetzt haben, sondern sie sind - auch | |
schwarz und weiß gefleckt - Resultat von Vermischungen und Vereinnahmungen. | |
Zwar neigen Zivilisationen dazu, das vermeintlich überwundene Konträre als | |
häretisch zu verunglimpfen, aber es hinterlässt Spuren im Denken und | |
Gestalten des vermeintlichen Siegers. Das Andere wird selten mit offenen | |
Armen aufgenommen, kultureller Wandel entsteht sowohl aus friedlichen | |
Begegnungen wie auch durch gewaltsame Umbrüche. Zeiten des regen | |
kulturellen Austauschs waren nicht unbedingt geprägt von Heiterkeit und | |
gegenseitigem Verständnis - die Tempelritter kämpften bei Tage und führten | |
bei Nacht Dispute mit ihren Gegnern. | |
Oder man nehme, wem das mittelalterliche Beispiel zu weit entlegen | |
erscheint, die Musik der afrikanischen Sklaven in Nordamerika. Von den | |
Plantagen und Ghettos aus hat diese Musik die weiße Hochkultur subversiv | |
erobert. Entstanden aus Sklaverei und Apartheid, entwickelten sich die Töne | |
und die Rhythmen der Unterdrückten und Minderwertigen zum wichtigsten | |
kulturellen Beitrag Nordamerikas und ironischerweise auch zu einem | |
bedeutenden Handelsgut. Außen weiß, innen schwarz, sagt man über bestimmte | |
Sängerinnen, die den Blues in sich tragen, und dieses Bild variiert jenes | |
von Wolfram von Eschenbach. | |
8 Jul 2008 | |
## AUTOREN | |
Ilija Trojanow | |
Ilija Trojanow | |
## TAGS | |
Minnesänger | |
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