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# taz.de -- Auf dem Rummel in Neukölln: Wo Trinken auch nicht hilft
> Maientage in Neukölln: Unser Autor kämpft sich furchtlos durch die Fress-
> und Schießbuden. Bis Sonntag kann man es ihm gleichtun.
Bild: Mittwoch ist Familientag auf den Maientagen in Neukölln
## Prolog
Der im Norden Neuköllns gelegene Volkspark Hasenheide ist ein Eldorado für
Freizeitläufer. Tag für Tag geht es bei Wind und Wetter im Kreis herum, für
die einen im und für die anderen gegen den Uhrzeigersinn. Wir älteren
Jogger grüßen einander bei jeder Begegnung wie die Brummifahrer – eine
Geste der Solidarität und des stillen Triumphs der Überlebenden.
Doch kaum sprießt im April das Grün, werden im autofreien Park Schilder
aufgehängt: „Schritt fahren! Spielende Kinder!“ Eine Woche lang brummen
Sattelschlepper mit schwerem Gerät herbei und verheeren den jungen Rasen.
Sie errichten die „Neuköllner Maientage“, einen dreiwöchigen Rummel mitten
in der Hasenheide. Das Vorkommando reitet relativ rücksichtslos ein, denn
spaßbefreite Asketen wie die Läufer zählen kaum zur Klientel. Und wer keine
Chips für den Autoscooter kauft, der kann auch weg.
Damit will ich keinesfalls sagen, dass Schausteller schlechte Menschen
wären, aber ihr Handeln lässt sie oft so wirken. Der vorletzte Samstag der
diesjährigen Maientage ist kühl und nass. So einen unwirtlichen Abend auf
dem Rummelplatz zu verbringen hat etwas von Wintergrillen. Eine ironische
Aktion, deren Gewinn sich in ebendieser Ironie auch schon erschöpft.
Vier Hauptgruppen mache ich aus: Familien mit kleinen Kindern, Pärchen,
Gruppen junger Leute und schließlich ein paar ältere Neuköllner. Die sitzen
im „Elchgarten“ solo unter „Löwenbräu“-Schirmen und mustern das einzi…
Paar, das vor der Festbühne im Regen schwoft. Auf der Bühne spielen die
Dancin’ Fools die Hits der 1980er, 70er und 60er Jahre. Das sind die
Momente, da selbst das Trinken nicht mehr hilft. Wie alleine an Weihnachten
merkt man auch allein auf dem Rummel erst so richtig, wie einsam man ist.
Eine erste Sichtung der Angebote ergibt: Fressbuden, Trinkbuden.
Fahrgeschäfte, die Wildwasserbahn „Atlantis“. Schieß- und Losbuden.
Bogenschießen, Dosenwerfen. „Wer will, wer kann, wer darf, wer traut
sich?!“ Eine innere Schnellprüfung ergibt: viermal Fehlanzeige. Aber
„Fuzzy’s Lachsaloon“ klingt gut, da geh ich später bestimmt noch rein.
## Selbstversuch eins
Nervenzerfetzend langsam fährt unsere Gondel die erste Steigung der „Wilden
Maus“ hoch. Klack – klack – klack. So klingt der Countdown der Angst, ein
Geräusch wie das Vorspannen des Hahns der Glock 17, die dem
Personenschützer eines Ex-Bundespräsidenten hier erst neulich in der
Schlange vorm Zuckerwattestand entwendet wurde. Eine Achtjährige im
Hidschab drückt beruhigend meine schweißnasse Hand. Nirgendwo sonst spürt
man so deutlich wie auf den Maientagen: Im Angesicht der Todesgefahr sind
wir alle gleich …
So hätte das womöglich der Ex-Spiegel-Kollege Relotius geschrieben, der
allerdings die zweifelhafte Berühmtheit erlangt hat, viele seiner
Geschichten schlicht erfunden zu haben. Aber Relotius hat von der taz nicht
den begehrten Zuschlag für diesen Bericht erhalten. Ich hab. Und ich bin
nun mal ehrlich: Diese ganzen Menschenschleudern muss ich auslassen, denn
oft lässt die Schwindelfreiheit mit den Jahren nach. In so einen
Kotzegenerator brauche ich mich heute gar nicht mehr zu setzen. Eher geht
der Spesenhunni von der Redaktion für zehn halbe Meter Bratwurst drauf.
Für die Geisterbahn aber nicht, denn für den Kenner der U8 bleibt das
Original unschlagbar, sosehr auch der „Panic Room“ mit einem rätselhaften
Schild lockt: Schwangeren, Herz-Kreislauf-Kranken und geistig Behinderten
ist „der Eintritt untersagt“, für Betrunkene hingegen „der Zutritt
verboten“. Die Erschrecker sehen schlimm aus. Sie stehen gerade zum Rauchen
vor der Tür. Ist ja heute wenig los.
## Selbstversuch zwei
Dieses Mal gleich, ohne Relotius zu bemühen: Schießen mit Gleitsichtbrille.
Mit dem Luftgewehr geht es auf eine dünne Strippe, an der ein Stofftier
hängt, und nicht – wie es der Brandenburger Jäger gerne zu tun scheint –
mit der Bazooka auf ein diffuses Rascheln im Maisfeld, dessen Herkunft sich
erst nach dem letalen Beschuss klärt.
Die Strippenmethode ist die Königsdisziplin. In den anderen Buden ballert
man nur auf weiße Hülsen, an denen jeweils eine Plastikrose befestigt ist.
„Gebt mir tausend Schuss und ich treff tausend Mal“, sagt ein junger Mann
hinter mir, der dann aber gar nicht schießt. Ich erwische immerhin den Rand
der Strippe. Der Trostpreis ist ein Stoffscheißhaufen in Herzform.
Ich hab die Maientage anders in Erinnerung. Es roch verheißungsvoll nach
Pisse, Sand und Bier. Die Sonne brannte, betrunkene Besucher schoben
einander durch die vollen Gassen, und am Abend beulte man sich wie einst
bei Bolle. Der grobe Spaß für grobe Städter passte da noch zu Neukölln mit
seinem schon im neunzehnten Jahrhundert erworbenen Ruf als Hort der Armut,
Kriminalität und billigen Vergnügungen.
## Selbstversuch drei
Haut den Lukas, ebenfalls mit Gleitsichtbrille. Den suche ich jetzt, da hau
ich drauf, dann wird mir warm – ich schwör. Aber den Lukas gibt es nicht
mehr. Stattdessen nur noch eine Boxbirne, vor der eine Horde junger Männer
steht. Bamm! Bamm!! Bamm!!! Ich ziehe mich heimlich zurück, ehe sie mich
entdecken. Mein Alter. Mein Rücken. Meine Würde. Ähnlich wie der Fußball
dient auch das Volksfest der sozial verträglichen Einhegung archaischer
Triebe, und wie beim Fußball klappt das bei den Akteuren/Schaustellern
meist besser als beim Publikum.
Doch nun dampft das Wetter die Triebe auf ein Achselzucken ein. Wir sind
Teilnehmer einer Beerdigung mit integriertem Entenangeln. Ein Rummel ohne
Rummel bleibt, gleich einer Ballerina ohne Beine, ein reichlich leeres
Versprechen.
## Selbstversuch vier
Längst friere ich an Körper, Geist und Seele. Auch das Feuerwerk um 22 Uhr
kann mich nicht erwärmen. Da hilft tatsächlich nur noch „Fuzzy’s
Lachsaloon“. Für vier Euro – jeder Furz kostet hier ein Schweinegeld, das
die taz besser angelegt hätte, um vielleicht nochmal nachzuprüfen, ob die
Dübel fürs neue Haus auch wirklich feuerfest sind – suche ich Trost.
Der Saloon ist voller Hindernisse. Alles kippelt, manchmal kommt man nicht
richtig durch oder voran. Das mag der Witz sein, nervt aber nur. Und wie
sollen das die Kinder schaffen? Im zweiten Stock hängen zwei Spiegel. Doch
was ist bitte daran lustig, dass jemand hässlich, krank und traurig
aussieht? Am Ende wartet eine lange Rutsche, die nicht rutscht, so dass ich
wie ein Käfer herauskrabbeln muss. Meine Würde, mein Rücken, mein Alter.
„Entschuldigung, die Rutsche rutscht nicht“, teile ich dem Kassierer mit.
„Feuchtigkeit“, antwortet er. Natürlich. Jetzt muss ich herzlich lachen.
Das tut gut. „Fuzzy’s Lachsaloon“ kann ich wärmstens empfehlen.
## Epilog
Am kommenden Sonntag ist alles vorbei. Beim Abbau wird es noch einmal ernst
werden. Wie die Hasen bei der Treibjagd werden die Jogger beiseitespringen,
denn so brutal, wie die Spielleute in den Park hineingekachelt sind, so
brachial kacheln sie heraus. Vielleicht können sie ja auch nur die
Warnschilder nicht lesen. Weitere drei Tage geht das so, dann wird es still
und der Park gehört endlich wieder uns: den Joggern, Dealern, Müttern,
Kindern, Trinkern, Slacklinern und Gassigehern.
15 May 2019
## AUTOREN
Uli Hannemann
## TAGS
Neukölln
Berlin-Neukölln
Trinken
Bratwurst
Kolumne Großraumdisco
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