# taz.de -- Nachruf auf Heidi Hetzer: Ein Leben im Rückspiegel | |
> Sie ging nicht durchs Leben, sie fuhr: Nun wird die zu Ostern gestorbene | |
> Berliner Weltenbummlerin Heidi Hetzer im engsten Kreis beerdigt. | |
Bild: Start zur Weltreise: Heidi Hetzer in ihrem Hudson Great (2014) | |
Dieses Geräusch: Der Sound des verleumdeten Ottomotors beim Gasgeben. Wie | |
in der dänischen Serie „Die Erbschaft“, in der Emil, einer der | |
Protagonisten, zum ersten Mal allein in seinem soeben ererbten Rennwagen | |
sitzt. Im Leerlauf lässt er ihn kurz heulen wie einen Löwen – und reißt | |
synchron den Mund auf. Als ob er es wäre, der so animalisch brüllt. Und | |
nicht die PS vorn unter der windschnittigen Haube. | |
Die Sounds, die ein Auto macht, seine Kraft, seine Form – all das wurde in | |
den letzten 130 Jahren gerne mit Symbolik belegt. Ein Auto hat im besten | |
Falle stark, laut, sportlich und schnell zu sein. Es hat – so die gern | |
bemühte Vorstellung – einen Einfluss auf die Stamina, und soll seinen | |
Fahrer zu einem attraktiven, gefährlichen Mann machen, ausgestattet mit den | |
gleichen Attributen wie sein Wagen. | |
Für seine Fahrerin allerdings gilt das nicht. Zumindest lassen die in | |
vielen Kreisen immer noch üblichen, despektierlichen Schenkelklopf-Witze | |
über Autofahrerinnen – Frauen und Einparken! – darauf schließen. „Schic… | |
Fahrgestell“ bedeutete für eine Frau etwas anderes als für einen Mann: | |
nämlich ein (ungewollter) Kommentar über ihre wohlgeformten Beine. | |
Dabei war es eine Frau, Bertha Benz, die 1888 als Erste die 100 Kilometer | |
lange Überlandfahrt mit einem Automobil von Mannheim nach Pforzheim | |
unternahm. Man hätte also schon längst drauf kommen können, dass Autos und | |
Frauen in der Tat hervorragend zusammenpassen. Dass jene, von der Statistik | |
längst widerlegten Vorurteile über schlechtere Fahrerinnen, einzig der | |
Phantasie einer chauvinistischen Haltung entstammen, die Frauen „von Natur | |
aus“ ein geringeres Interesse an Geschwindigkeit und Technik attestieren. | |
In Deutschland erschien 1981 übrigens ein Handbuch mit dem Titel „Danke ich | |
schaff’s alleine“, auf dem Cover die Zeichnung einer Frau im Overall, die | |
eigenhändig ihre Ente repariert. | |
Eine hingegen ist dieser muffigen 50er-Jahre-Schublade stets elegant davon | |
gebraust: Heidi Hetzer, frühere Charlottenburger Autohaus-Chefin, gelernte | |
Kfz-Mechanikerin, Weltenbummlerin. Vergangene Woche ist sie mit 81 Jahren | |
in ihrer Berliner Wohnung gestorben ist – nachdem sie erst kurz zuvor mit | |
ihrem rosa Landcruiser von einer längeren Afrika-Tour zurückgekehrt war. | |
Ihre Familie teilte am Wochenende mit, vermutlich seien „Altersschwäche | |
(Herzinfarkt, Schlaganfall o.ä.)“ die Todesursache. Die Beisetzung werde im | |
engsten Bekanntenkreis stattfinden, schreiben Sohn und Tochter weiter neben | |
der Todesanzeige auf der offiziellen Webseite ihrer Mutter. Man verspreche | |
aber, „mittelfristig allen eine Gelegenheit zur gemeinsamen Würdigung zu | |
bieten“. | |
Hetzer ging nicht durchs Leben, sie fuhr: Sie war eine „benzinverrückte | |
Berliner Göre“ (Hetzer über Hetzer), die mit 13 ihre erste illegale | |
Spritztour machte und kurz darauf aus Leidenschaft eine Lehre zur | |
Automechanikerin absolvierte. Hetzer fuhr schon damals wie besessen Rennen, | |
als Ralleyfahrerin gewann sie mehr als 150 Preise. Aus der Karriere als | |
Rennfahrerin wurde dann aber nichts: Jung übernahm sie den Autohandel ihres | |
verstorbenen Vaters, bis 2012 stand sie an der Spitze des Autohauses. | |
Hetzer war eine, die als 80-Jährige noch knallrote Leder-Zweiteiler zur | |
todschicken Cabrio-Kappe trug, und in ihrem freigeistigen Lebensstil | |
Klischees einfach nicht gelten ließ: Heidi Hetzer, Jahrgang 1937, könnte | |
Claire Waldoffs Friedrich Holländer-Interpretation „Oh wie praktisch ist | |
die Berlinerin“ von 1927 entsprungen sein: „Es stöhnt das aufgeklärte | |
Mädchen / sie muss sich irgendwie betät’gen / sie hat so furchtbar viel | |
Talente / mit denen sie möchte / mit denen sie könnte…“ | |
Hetzer war eine dieser praktischen Berlinerinnen, die ihren Landcruiser | |
pink lackieren ließ, weil sie glaubte, dass er damit im Ausland vor | |
Diebstahl gefeit sein würde, die sich von niemandem einschüchtern ließ, die | |
trotz Krankheiten, Überfällen, Unfällen noch 2014 mit einem ihrer 13 | |
Oldtimer in 959 Tagen um die Welt fuhr, und dort sämtliche Mitreisende, | |
Wegelagerer, Schaulustige in Grund und Boden berlinerte. | |
Mit Heidi Hetzer, der berühmtesten Autoverrückten Deutschlands, starb aber | |
nicht nur eines der städtischen „Orijinale“, die ohnehin seit Jahren an | |
Bedeutung verlieren: weil das Gros der Tourist*innen einen feuchten | |
Kehricht auf „typisch Berlin“ gibt, sondern vor allem „billig Berlin“ l… | |
und nutzt (und eh grundsätzlich die unhippen Bezirke verschmähen würde, in | |
denen Hetzer unterwegs war). Hetzer stand für eine Stadt, die auch in ihrer | |
Geschichte die Tradition vom Hinfallen und wieder Aufstehen vorlebte. | |
Mit Heidi starb zudem eine Frau, die ohne viel Aufhebens Rollenbilder | |
ignorierte, die selbstverständlich „in Style“ raste und reparierte, Kinder | |
aufzog und Geschäfte machte, ein Beweis gelebter Selbstermächtigung und | |
gelebter Emanzipation. Und es verschwand mit ihr eine verstaubte, aber | |
bezaubernde Unbekümmertheit im Umgang mit dem Automobil, die ebenso | |
anachronistisch war wie Hetzer selbst: Die eigene Freiheit als Frau (oder | |
Mann) ausgerechnet mit teuren Benzinschleudern zu untermauern, denen man | |
einen Bleizusatz in den Tank kippen muss – das ist kaum noch denkbar. | |
Heidi war eine der letzten, vielleicht auch die letzte Ikone, die Stil, | |
Urbanität und Menschlichkeit mit dem Umweltsünder Benziner verbinden konnte | |
und durfte. Sie wird einen Ausgang des aktuellen Streits um die City-Maut, | |
die AutofahrerInnen zu Recht zur Kasse bitten soll, nicht mehr erleben. | |
Genauso wenig wie den fernen Tag, an dem Privatautos, die außer Luxus keine | |
Funktion haben, aus der Stadt verbannt werden, und alle Menschen, Mann wie | |
Frau wie Kind, umweltfreundlich die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen. | |
Wer weiß, vielleicht hätte Heidi Hetzer auch noch irgendwann reuig ihre | |
mannigfachen Oldtimer verkauft, die Garagenstellplätze Stadtimker*innen | |
geschenkt und ein E-Auto angemeldet. Wahrscheinlich ist das nicht. | |
29 Apr 2019 | |
## AUTOREN | |
Jenni Zylka | |
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