# taz.de -- Nach Brand in Notre-Dame: Jetzt wird in die Hände gespuckt | |
> Macron macht Tempo. Ganz Frankreich diskutiert und plant die | |
> Wiederherstellung seines Nationalschatzes Notre-Dame de Paris. | |
Bild: Wie lange wird der Wiederaufbau von Notre-Dame wohl dauern – und wie vi… | |
PARIS taz | Der bisherige Glanz muss wiederhergestellt werden. Das steht | |
außer Frage. Paris ohne sein intaktes Wahrzeichen auf der Seine-Insel wäre | |
schlicht nicht mehr Paris. Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron | |
versicherte darum sofort, [1][er wolle die Notre-Dame rekonstruieren], als | |
das Feuer in der Kathedrale am vergangenen Montag noch nicht einmal | |
gelöscht und keineswegs sicher war, wie viel vom historischen Bauwerk übrig | |
bleiben würde. | |
Schließlich konnten er und mit ihm die ganze Nation aufatmen, die | |
Notre-Dame war keineswegs nur noch Schutt und Asche, die wesentlichen | |
Elemente der Struktur samt der Fassade mit den beiden Türmen sind erhalten | |
geblieben. Und so konnte Macron schon Mitte der Woche etwas konkreter | |
versprechen: „Wir werden die Kathedrale Notre-Dame noch schöner als | |
bisher wiederaufbauen, und ich will, dass dies [2][in fünf Jahren | |
geschieht]. Das können wir machen.“ | |
Das ist dann doch eine sehr kurz erscheinende Frist für die Restaurierung, | |
doch Macron wenigstens glaubt daran, dass sie realistisch ist, denn die | |
Franzosen, so meinte er stolz, seien ja ein „Volk von Erbauern“, das so | |
viel Prächtiges geschaffen hat. Mit viel Pathos fügte er an, es gehe nicht | |
ausschließlich um den Wiederaufbau einer der bedeutendsten Kirchen der Welt | |
und einer jährlich von 13 Millionen Menschen besuchten Touristenattraktion, | |
sondern um den Zusammenhalt der Nation, den sie ohne Notre-Dame zu | |
verlieren drohe. Die Kathedrale sei nämlich so etwas wie ein roter Faden in | |
der Geschichte der vergangenen neun Jahrhunderte. Macron macht so aus der | |
Frage der Restaurierung eine Frage der nationalen Identität. Bestimmt trägt | |
dies dazu bei, dass nun so viele Spendenangebote aus dem In- und Ausland | |
kommen. | |
Dass Macron es mit der Reparatur so eilig hat, hat sicherlich auch einen | |
zweiten Grund. Am liebsten möchte er selbst mit einem zweiten Mandat als | |
Staatschef der Bauherr bei der Rekonstruktion sein. Der frühere | |
Kulturminister Jack Lang, der unter Präsident François Mitterrand für den | |
Bau der Pyramide des Louvre zuständig war, drängte sogar zu einem noch | |
schnelleren Tempo; er meinte, drei Jahre müssten reichen. Das aber | |
schließen Fachleute fast kategorisch aus. | |
## Nichts überstürzen | |
Frédéric Letoffé, Chef der für die Restaurierung der historischen Monumente | |
tätigen Unternehmen (GMH), meinte dazu: „Von drei oder vier Jahren zu | |
sprechen ist schon deshalb unrealistisch, weil wir vorher erst mal damit | |
beginnen müssen, das Bestehende abzusichern.“ Wie auch andere von den | |
Medien befragte Experten hält er den Zeitraum von „zehn bis fünfzehn | |
Jahren“ für eine Instandsetzung der Notre-Dame für „vernünftig“. | |
Er möchte nichts überstürzen. Zunächst komme die Diagnose, dann die | |
Konsolidierung und erst danach der Wiederaufbau. Vorerst muss die | |
Brandruine trocknen. Da mit dem Dach samt dem historischen Dachstuhl die | |
Decke über dem Kirchenschiff weitgehend eingestürzt ist, muss das Innere | |
möglichst schnell mit einem Regenschutz gegen die Witterung geschützt | |
werden. Allein das ist bereits ein gigantisches Unterfangen. Unmöglich sei | |
dies nicht, erklärt der Vorsitzende der französischen Bauunternehmen, | |
Jacques Chanut, der überzeugt ist, dass in Frankreich das benötigte Knowhow | |
für die Restaurierung existiert. Selbst die historischen Techniken aus der | |
Zeit der Gotik, die noch heute Bewunderung verdienen, seien nie in | |
Vergessenheit geraten. | |
Hingegen ist der Wunsch nach einer schnellen Rekonstruktion mit einem | |
Mangel an qualifizierten Handwerkern konfrontiert. Laut ersten Schätzungen | |
braucht es 100 Steinmetze, 150 Zimmerleute und 200 Dachdecker. Das aber | |
sind Berufe, die in Frankreich mit Nachwuchsproblemen zu kämpfen haben, sie | |
sind nicht sehr attraktiv, außerdem bilden die Betriebe zu wenige Lehrlinge | |
zu Gesellen und Facharbeitern aus. | |
Offen ist auch, in welcher Weise die Restaurierung geplant werden soll. | |
Soll sie den Zustand vor dem Brand möglichst identisch wiederherstellen, | |
soll sie gar früheren Plänen folgen oder völlig innovativ mit neuen | |
Elementen und modernen Techniken vorgehen? Dazu ist laut dem | |
Religionshistoriker Jean-François Colosimo noch gar nichts entschieden. Er | |
glaubt, schon deshalb sei es vorschnell, wie Macron von ein paar Jahren zu | |
reden. „Wenn man einen Dachstuhl aus Eichenholz [wie beim zerstörten | |
Original] will, dauert das sehr viel länger als fünf Jahre. Wenn man | |
dagegen ein Dach mit Stahl und Beton wählt, wie bei der Rekonstruktion der | |
im Ersten Weltkrieg bombardierten und danach wiederaufgebauten Kathedrale | |
von Reims, geht das effektiv viel schneller.“ | |
## Notre-Dame ist das Ergebnis zahlreicher Veränderungen | |
Mit diesem technischen Dilemma ist eine grundsätzliche Problematik | |
angesprochen. Was ist eigentlich die Idee bei der Wiederherstellung? Soll | |
die Notre-Dame nach langjährigen Arbeiten exakt gleich aussehen wie am Tag | |
vor dem Brand, soll das aus Jahrhunderten Überlieferte repariert, | |
restauriert oder aber erneuert und mit zeitgenössischen Elementen und | |
Technologien modernisiert werden? | |
Notre-Dame, wie wir sie kennen, ist das Ergebnis zahlreicher Renovierungen | |
und Veränderungen seit dem Mittelalter. „90 Prozent der Nordfassade datiert | |
aus dem 19. Jahrhundert, auch wenn man meint, das stamme alles aus dem 13. | |
Jahrhundert. Man glaubt, vor etwas Ewigem zu stehen, in Wirklichkeit ist es | |
aber zusammengesetzt“, erklärt Cédric Trentesaux, Chefarchitekt für den | |
Denkmalschutz in Frankreich, in der Libération. Auch die flèche, der | |
Spitzturm, der durch den Brand des Daches eingestürzt ist, war erst Mitte | |
des 19. Jahrhunderts nach Plänen von Eugène Viollet-le-Duc gebaut worden, | |
der sich von Zeichnungen inspirieren ließ, die zeigen, dass schon früher | |
und bis ins 17. Jahrhundert hinein ein Glockenturm an derselben Stelle | |
existiert haben muss. | |
Mit welchem Konzept der Wiederaufbau oder die Instandsetzung der Kathedrale | |
nach einer gründlichen Bilanz angepackt werden soll, wird zweifellos | |
heftige Diskussionen auslösen. Weniger Probleme dürfte dagegen die | |
Finanzierung bieten. Seit der Trennung von Kirche und Staat ist Notre-Dame | |
wie fast alle der vor 1905 erbauten katholischen Gotteshäuser öffentliches | |
Eigentum und wird den Diözesen und Gläubigen zur Verfügung gestellt. Je | |
nach Fall ist der Staat oder die Kommune für den Unterhalt und die | |
Restaurierung verantwortlich. Dies gilt erst recht für die Monumente, die | |
unter Denkmalschutz stehen und für die das Kulturministerium zuständig ist. | |
Notre-Dame war aus diesem Grund auch nicht gegen Brandschäden versichert. | |
Demnach müsste also der Staat vollumfänglich für die Wiederherstellung | |
aufkommen. | |
Wenn nun Unternehmen, Mäzene und viele weitere Menschen spontan großzügige | |
Spenden ankündigen, kann dies der finanziell haftbaren Staatsführung nur | |
recht sein. Die generösen Konzerne, die bereits zum Teil Beträge von 100 | |
oder 200 Millionen Euro versprochen haben, agieren im Übrigen nicht ganz | |
uneigennützig. Ihre Spenden können sie zu 60 Prozent von den Steuern | |
absetzen; falls die Notre-Dame zum trésor national (Nationalschatz) erklärt | |
wird, was wahrscheinlich ist, kann dieser Steuerrabatt sogar 90 Prozent | |
betragen. Ihnen ist so „Paris wohl eine Messe wert“, wie vor seiner Krönung | |
1593 Heinrich IV. zu seiner Konvertierung zum katholischen Glauben in der | |
Notre-Dame sagte. Auch kommt man nicht ganz darum herum, sich ein wenig | |
sarkastisch die Frage zu stellen, warum für ein historisches Monument in | |
wenigen Tagen mehr als eine Milliarde Euro gespendet wird, während bei | |
einer schweren Naturkatastrophe oder für den Kampf gegen den Hunger und | |
Krankheiten weit weniger Geld zusammenkommt. | |
Wie auch immer, damit die Gläubigen der Notre-Dame nicht lange „obdachlos“ | |
bleiben, plant die Diözese den Bau eines „Provisoriums aus Holz“ auf dem | |
großen Platz vor der Kathedrale. Die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo | |
hat für dieses Projekt auf öffentlichem Grund bereits die grundsätzliche | |
Zustimmung der Stadt erteilt. | |
19 Apr 2019 | |
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## AUTOREN | |
Rudolf Balmer | |
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