# taz.de -- Kolumne Heult doch!: Das Gespenst im Kinderzimmer | |
> Wenn sich Kinder einen imaginären Gefährten zulegen, gilt das als Zeichen | |
> besonderer geistiger Gesundheit. Puh, Glück gehabt! | |
Bild: Nicht immer zum Fürchten: Gespenster | |
Ein Gespenst geht um im Kinderzimmer meines Vierjährigen, es will anonym | |
bleiben, deshalb soll es hier nur F. heißen. F. ist ein sehr nettes kleines | |
Gespenst, es geht donnerstagabends zur Feuerwehr, und sein bester Freund | |
ist der Räuber K. Der kommt jeden Sonntag zum Omelettessen auf die Burg von | |
F., wo er immer erst noch die Regenrinne repariert oder die Fensterrahmen | |
streicht. | |
Ansonsten lebt K. in einer Höhle im Wald und hat das Rauben eigentlich vor | |
längerer Zeit aufgegeben. Bloß wenn die Oma S., die übrigens am liebsten | |
mit der Drehleiter der Feuerwehr fährt, ihren Käsekuchen auf die | |
Fensterbank stellt, kann er nicht widerstehen und mopst sich den. | |
Nein, die Autorin dieser Zeilen ist völlig nüchtern. Es ist nur so, dass F. | |
gerade eine gewisse Penetranz in meinem Leben entwickelt. Eigentlich bin | |
ich nur auf der Arbeit sicher (aber, wie man sieht, nicht mal mehr da). | |
Normalerweise muss ich die erste F.-Geschichte erzählen, wenn ich den | |
Vierjährigen morgens zur Kita bringen. Dann eine beim Abholen, weil er | |
sonst auf den 300 bis 500 Metern Weg zum Bäcker/Supermarkt/Spielplatz vor | |
Langeweile höchstwahrscheinlich sterben würde, wie er anmerkt. Dann | |
natürlich eine als Gutenachtgeschichte. | |
Die Geschichten müssen stets „niegelnagelneu uuuund: LUSTIG, Mama!“ sein. | |
Das ist nicht leicht. Weil ich zum einen überhaupt keine lustigen | |
Geschichten erzählen kann, ich bin da wirklich schlecht drin. Ich konnte | |
auch noch nie Witze erzählen. Zum Glück ist das Kind, wie gesagt, gerade | |
erst vier Jahre alt. Da reicht es schon, wenn F. oder der Räuber K. mal | |
pupsen müssen beim Omelettessen, und das Kind lacht sich schlapp. | |
Ich habe inzwischen herausgefunden, dass ich froh sein sollte über F.s | |
Anwesenheit. Die Kinder- und Küchenpsychologen im Internet sind sich da | |
ziemlich einig: Wenn sich Kinder einen imaginären Gefährten zulegen, sei | |
das ein Zeichen besonderer geistiger Gesundheit. „Ihr Kind spielt mit | |
erfundenen Freunden? Gut so!“, lautet die Überschrift eines Welt-Artikels | |
aus dem Jahr 2015. | |
Mein Kind ist also psychisch stabil, das freut mich, das nehme ich erst mal | |
als gute Nachricht. Mich macht es dafür wahnsinnig. Ob das dann wiederum | |
gut fürs Kind ist, weiß ich nicht. | |
Tatsächlich ist F. aber auch unglaublich nützlich. Solange ich von F. | |
erzähle, läuft beziehungsweise fährt das Kind mit seinem Fahrrad überallhin | |
und noch weiter. Auf diese Weise haben wir im letzten Sommerurlaub in | |
Südtirol einen idiotisch hohen Berg erklommen (und sogar noch die letzte | |
Seilbahn wieder herunter erwischt). | |
Dank F. sind wir letztes Wochenende noch vor Einbruch der Dunkelheit beim | |
80. Geburtstag der Uroma eingetroffen (es war eine blöde Idee zu glauben, | |
man könnte um halb sechs Uhr abends in Mecklenburg-Vorpommern aus dem | |
Regionalzug von Berlin steigen und es gebe dann so etwas wie Radwege neben | |
der Landstraße. Die Google-Maps-Route über die Feldwege war lang und | |
steinig). | |
Neulich bin ich, natürlich ohne Luftpumpe oder Flickzeug, mit den Kindern | |
auf halber Radtourstrecke an der Havel liegen geblieben. Wir wollten vom | |
S-Bahnhof Grunewald bis zum Wannsee fahren, vielleicht noch mit der Fähre | |
nach Kladow. Kurz vor Schwanenwerder hatte der Kleine einen Platten. Wir | |
haben die ganze bescheuerte lange Havelchaussee runter geschoben, bis zum | |
S-Bahnhof waren es exakt 4,6 Kilometer. In der Geschwindigkeit eines | |
Vierjährigen sind das so ungefähr zwei Stunden. | |
„Was macht F. eigentlich gerade?“, habe ich seufzend gefragt, bevor das | |
Kind eine Geschichte einfordern konnte. Die Zeit verging dann erstaunlich | |
schnell. Meine eigenen Geschichten haben mich nur ein ganz klein wenig | |
gelangweilt. Ich befürchte jedoch, bei Erwachsenen gilt es nicht als | |
geistig gesund, wenn sie ein Gespenst zum Freund haben. Schade eigentlich. | |
Ich mag F. | |
14 Apr 2019 | |
## AUTOREN | |
Anna Klöpper | |
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