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# taz.de -- Kinoempfehlung für Berlin: Säulenheiliger der Subkultur
> Die subversive Kraft des schlechten Geschmacks: Die „Bahnhofskino“-Reihe
> im Filmrauschpalast Moabit widmet John Waters ein Special.
Bild: Ein junges Mädchen gerät auf die schiefe Bahn: „Female Trouble“
Das wurde Zeit: „Wir Kinder vom Bahnhofskino“, Berlins engagierteste
Mitternachtskino-Reihe, die schon jetzt aus der in Sichtweite der künftigen
Europacity gelegenen Kulturfabrik Moabit dem Luxusberlin der Zukunft
charmant den Finger zeigt, diese Filmreihe also verneigt sich endlich auch
vor John Waters, dem zentralen Säulenheiligen der Subkultur des
Mitternachtskinos. Nach Ausflügen unter anderem in die Wunderwelten des
australischen Exploitationsfilms, des Schlingensief-Kinokosmos oder des
süddeutschen Bumsfilms war der „Pope of Trash“ überfällig.
Von 35-mm-Kopien gezeigt werden John Waters’ „Pink Flamingos“ (1972),
„Female Trouble“ (1974) und „Polyester“ (1981), wunderbar queere Filme …
einer Zeit, als Subkultur noch für angriffslustige Rotzigkeit stand.
Das hat vor allem auch mit Harris Glenn Milstead zu tun, der als Dragqueen
Divine alle drei Filme bestimmt. Milstead war ein Junge aus Waters’
Nachbarschaft in Baltimore, in den 60ern entdeckten die beiden Drogen,
Warhols Kunstfilme und die subversive Kraft des schlechten Geschmacks als
beste Waffe im Kampf gegen den Biedersinn, der aus den langen 50ern noch
immer in den Wohnzimmern stand.
## Dragqueen-Ikone Divine
„In dieser Zeit war Divine wirklich mein Godzilla“, schwärmte Waters
einmal. „Sie erschrak die Normalos, aber auch andere Dragqueens.
Dragqueens waren damals sehr straight. Sie wollten ihre Mutter oder Miss
America sein. Sie wollten als Frauen durchgehen. Divine wollte
schockieren.“
Mit „Pink Flamingos“ wurde Divine zur Ikone: Mit einem Haufen Weirdos
genießt sie in einem Wohnwagen in den Wäldern Marylands ihren Ruhm als
„filthiest person alive“. Diesen Titel will ihr das Ehepaar Marble streitig
machen, das Pornoläden und den Heroinhandel an Grundschulen mit seinen
Erlösen aus dem Schwarzmarkthandel mit Babys finanziert.
Dieser Wettstreit bietet Anlass zu episodisch grellen Abscheulichkeiten:
Divine schiebt sich beim Schlachter Fleisch zwischen die Schenkel, ein
singendes Arschloch (wortwörtlich zu verstehen) tritt auf, es gibt Sex mit
einem Huhn, Scheiße wird mit der Post verschickt oder, frisch vom Pudel
abgelassen, von der Straße weg verzehrt. Am Ende hält Divine Gericht über
die Marbles – Schuldspruch: „Assholism“. Unter Plädoyers auf Mord und
Kannibalismus werden die Marbles geteert, gefedert und vor den laufenden
Kameras dankbarer Medienvertreter erschossen.
Räudige Ästhetik und ekstatisch gute Laune: Bis heute macht es einem „Pink
Flamingos“ nicht leicht. Dass es sich um eine Satire auf den American
Nightmare handelt, der mit den Manson-Morden 1969 aufbrach und
Woodstock-Utopia beendete, ist unter den Schichten von Make-up allenfalls
zu erahnen. Doch was sich auf dem Papier wie zynische Drastik liest,
entpuppt sich beim Sehen als geradezu kindliche Freude an grellen
Grenzüberschreitungen. John Waters’ Filme haben einen bösartigen Kern,
speisen sich aber aus einer smarten queeren Camp-Haltung, nicht aus dumpfem
Exzess.
## Persiflage auf den American Way
Mit seinem noch vom Underground-Spirit geprägten „Female Trouble“ und
„Polyester“ (einer vorsichtigen Öffnung in Richtung Mainstream) setzte
Waters sein Projekt einer queeren Persiflage auf den American Way fort:
„Female Trouble“ zeigt Divine auf dem schicksalhaften Weg eines jungen
Mädchens, das die Schuhe, die es sich wünscht, nicht bekommt, deshalb auf
die schiefe Bahn gerät und als grell geschminkte Punk-Delinquentin auf dem
elektrischen Stuhl landet.
Dass dieser Film in Berlin nun schräg gegenüber dem ehemaligen
Frauengefängnis gezeigt wird, aus dem die RAF-Inhaftierte Inge Viett 1976
ausbrach, davon sollte man John Waters, der immer ein großes Herz für den
Glam inhaftierter Frauen hatte, unbedingt in Kenntnis setzen.
Mit „Polyester“, in dem Divine eine dicke White-Trash-Mama spielt, nahm
Waters schließlich die Kultserie „Eine schrecklich nette Familie“ vorweg.
Im Gewand einer glossy Komödie beobachtet er den Verfall einer
Kleinfamilie, deren Patriarch zum Missfallen der Nachbarschaft ein
Pornokino betreibt. Ohnehin war Waters mit seinen schwarzen Komödien
durchaus Pionier: „Die Simpsons“ (wo er einen Gastauftritt hatte), „South
Park“ und Johnny Knoxvilles „Jackass“ verdanken ihm viel.
Leider wird ihm seit 2004 kein Film mehr finanziert: Die Filmwelt hat sich
gewandelt, als Elder Statesman of Trash hat Waters mit seinem
augenzwinkernden Habitus als intellektueller Dandy ohnehin längst im
Kunstbetrieb reüssiert. 2018 verlieh ihm das französische Kulturministerium
den „Ordre des Arts et des Lettres“. Ein Gewinn für die Kunst, ein Verlust
fürs Kino.
Dieser Text erscheint im taz Plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg
immer Donnerstags in der Printausgabe der taz
11 Apr 2019
## AUTOREN
Thomas Groh
## TAGS
John Waters
Divine
Kino Berlin
Geburtstag
Justin Trudeau
Spoken Word
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