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# taz.de -- Opernpremiere in Berlin: Der Geburtstag einer großen Oper
> Gelungene Premiere in der Deutschen Oper Berlin: „Der Zwerg“ von
> Alexander von Zemlinsky, inszeniert von Tobias Kratzer.
Bild: Der Tenor David Butt Philip und der Berliner Schauspieler Mick Morris Meh…
Noch immer gilt Alexander von Zemlinsky als Geheimtipp der Musikgeschichte,
der Mann, der im Schatten der Großen am Anfang des 20. Jahrhunderts stand,
Schönberg und Mahler vor allem, mit denen er freundschaftlich und sogar
familiär verbunden war. Schönberg heiratete Zemlinskys Schwester, die ihn
dann mit einem Maler betrog, und so geht es immer weiter mit amourösen und
künstlerischen Anekdoten, großen und weniger großen Namen und ihren
Zufällen. Nur über Zemlinskys Musik wird nicht gesprochen und aufgeführt
wird sie nur ganz selten.
Der erst 39 Jahre alte Regisseur Tobias Kratzer macht damit nun Schluss,
radikal und selbstbewusst. Denn er weiß natürlich, dass wir bei Zemlinskys
sechster Oper „Der Zwerg“, 1922 uraufgeführt, nur auf Alma Schindler
warten, später besser bekannt als Alma Mahler-Werfel. Zemlinsky war ein
eher kleingewachsener, nicht besonders gut aussehender Mann, der sich
sofort in die schöne Alma verliebte.
Sie wollte bei ihm das Komponieren lernen. Wie immer bei Frau Schindler
ging das nicht gut aus, aber weil sich offenbar niemand ernsthaft für
Zemlinskys Musik interessierte, setzte sich die Legende durch, seine Oper
sei nichts weiter als die autobiografische Verarbeitung dieser Affäre.
## Alma und Zemlinsky am Klavier
Das ist blanker Unsinn, den Kratzer mit einem klugen Kunstgriff aus der
Welt schafft. Bevor Zemlinskys Oper anfängt, sehen wir die beiden
tatsächlich in einem akkurat im Stil der 20er Jahre möblierten Salon des
Wiener Bürgertums. Sie sitzen am Flügel, mal abwechselnd, mal zusammen. Sie
versuchen, sich zu küssen, greifen dann aber doch lieber in die Tasten,
denn sie müssen wirklich Klavier spielen, nämlich Schönberg. Was denn
sonst?
Donald Runnicles spielt zu dieser Pantomime einer Pianistin und eines
Pianisten mit dem Orchester der Deutschen Oper Schönbergs Opus 34 von 1930,
benannt als „Begleitmusik zu einer Lichtspielszene für Orchester“.
Das Lichtspiel gibt es nicht, das Stück beruht ausschließlich auf einer
einzigen Reihe von zwölf Tönen. Beim bloßen Zuhören ist das nicht zu
erkennen, aber es klingt alles unglaublich gut, unter anderem, weil die
riesige Orchesterbesetzung auch ein Klavier vorschreibt. Die beiden oben
auf der Bühne sind keine Dekoration, sie spielen wirklich mit, obwohl die
Frau den Mann immer weniger mag und ihn am Ende in die Ecke wirft. Frau
Schindler mal wieder, die Ouvertüre ist zu Ende, der Vorhang fällt.
## Keine Alma, kein Schönberg, nur Zemlinsky und Oscar Wilde
Er öffnet sich sofort wieder, das Orchester spielt ein kurzes Fanfarenmotiv
und alles ist ganz anders. Keine Alma, kein Schönberg, nur Zemlinsky und
Oscar Wilde. Der homosexuelle Ire hat die von ihm „Märchen“ genannte
Erzählung „Der Geburtstag der Infantin“ geschrieben.
Georg Klaren, ein professioneller Drehbuchautor der damaligen
Filmindustrie, hat sie für Zemlinsky übersetzt und dramatisiert. Manchmal
kommt Wilde darin etwas geschwollen daher, aber das macht nichts, weil der
entscheidende Satz auch von Shakespeare sein könnte: „Das Schönste ist
hässlich.“
Wildes Handlung ist ein Gedankenexperiment. Warum vertrauen wir unseren
Spiegeln? Die Infantin des Märchens ist die Thronanwärterin am spanischen
Hof und feiert in den Schlossanlagen von Madrid ihren 18. Geburtstag.
Irgendein Sultan schenkt ihr die Missgeburt eines buckligen Zwerges, der
sehr schön singen kann und sich für einen glorreichen Ritter hält, aber
nicht zu wissen scheint, wie ekelerregend er aussieht. Wenn alle über ihn
lachen, meint er, dass sie sich freuen, ihn zu sehen. Er verliebt sich in
die Infantin, die ihrer Zofe befiehlt, ihm den Spiegel vorzuhalten. Das ist
der Tod des Zwerges.
## Spiegelbild oder nur ein Gespenst?
Ob es ein Selbstmord ist, bleibt bei Kratzer offen, denn er entwickelt aus
dieser bitter sezierenden Fallstudie eine Tragödie, die tief berührt. Eine
Spiegelwand verschließt das ganze Bühnenportal. Natürlich sieht der Zwerg
sein Spiegelbild, aber er hält es für ein böses Gespenst. Um dieses
verzweifelte Selbstgespräch zum Theater zu machen, spaltet Kratzer die
Rolle auf.
Der überragend singende britische Tenor David Butt Philip singt Zemlinskys
Noten, der zwergwüchsige Berliner Schauspieler Mick Morris Mehnert spielt
seine Figur, zunächst etwas irritierend im strahlend weißen Prachtsaal des
spanischen Hofes mitten unter den mal lasziv, mal streng kostümierten
Hofdamen, dann aber auch hinter den Spiegeln, damit der Zwerg ihn wirklich
sehen und bekämpfen kann.
## Musikalisch intensives Theater
Das ist virtuoses Thaterhandwerk. Elena Tsallagova kann sich einmischen in
diesen inneren Kampf um Leben und Tod in der Rolle der Infantin im
goldglitzernd-modischen Rock. Sie versteht das Unglück dieses Menschen, den
sie dann aber doch „Tier“ nennt.
Sie singt zurückhaltend genau, nie triumphierend, und so entsteht ein
ebenso schauspielerisch wie musikalisch intensives Theater, das sehr gut
auf spektakuläre Szenen und Bilder verzichten kann. Die gibt es nicht, weil
Kratzer sie nicht braucht. Er denkt nur das Drama zu Ende, das diesem Werk
zu Grunde liegt.
Es dauert weniger als 90 Minuten, füllt aber den ganzen Abend danach aus.
Das liegt an Wildes Scharfsinn, der nachhallt in der Musik von Zemlinsky
mit ihren weit ausgreifenden Melodien in fließend schillernden Harmonien.
Donald Runnicles, Chefdirigent der Deutschen Oper, hat ihr ein längst
fälliges Geburtstagsfest veranstaltet. Das Premierenpublikum zumindest hat
ihm dafür mit einhelligem Applaus gedankt.
25 Mar 2019
## AUTOREN
Niklaus Hablützel
## TAGS
Deutsche Oper
Alexander von Zemlinsky
Ocar Wilde
Komische Oper Berlin
Staatsoper Unter den Linden
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