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# taz.de -- Joe Biden küsst ungefragt Parteikollegin: Er hätte sich entschuld…
> Eine Politikerin aus der eigenen Partei, Lucy Flores, wirft Joe Biden
> zudringliches Verhalten vor. Biden reagiert reflexhaft defensiv. Schade.
Bild: „Nicht ein einziges Mal – nie – habe ich gedacht, unangemessen zu h…
Liebe Lucy Flores, ich möchte mich bei Ihnen entschuldigen. Sie sagen, dass
ich mich Ihnen bei einer Wahlkampfveranstaltung von hinten genähert, an
Ihren Haaren gerochen und Sie auf den Hinterkopf geküsst habe. Sie
schreiben, Sie hätten sich gedemütigt, beschämt und durcheinander gefühlt.
Wenn ich mir vorstelle, wie sich das für Sie anfühlen muss; es tut mir
wirklich sehr leid.
Ich erinnere mich daran nicht. Was nicht heißt, dass ich Ihre Vorwürfe
zurückweise. Ich kann nur einfach nicht sagen, dass das wirklich passiert
ist. Letzteres hat aber sehr wahrscheinlich mit meiner eigenen Wahrnehmung
zu tun. Meine Prägung in einer sexistischen Gesellschaft und mein
jahrzehntelanges Verhalten als mächtiger Politiker haben meine Antennen für
sexistische Übergriffe sicher verkümmern lassen. Wenn ich die Bilder sehe,
die jetzt in Zusammenschnitten überall gezeigt werden, und ich daran denke,
wie Sie Ihre Gefühle beschreiben, dann wird mir ganz schlecht vor Scham.
Auf der Grundlage kann ich mir vorstellen, dass Sie keine Neigung
verspüren, mit mir zu sprechen. Ich würde mich aber freuen, wenn Sie meine
Entschuldigung annehmen könnten.
Ihr Joe Biden.
## „Nicht ein einziges Mal“
Es wäre schön, wenn es so wäre. Nur leider hat [1][Joe Biden] diesen
Entschuldigungsbrief nicht geschrieben. Er hat keine Worte dafür gefunden,
die Last der Erinnerung von den Schultern einer Frau zu nehmen, hat es
vorgezogen, sich nicht den Folgen seiner Machtanmaßung zu stellen.
Stattdessen hat der frühere US-Vizepräsident zuallererst das getan, was
fast alle tun: „Ich war’s nicht“ gerufen.
„Nicht ein einziges Mal – nie – habe ich gedacht, unangemessen zu handeln…
sagte Biden, nachdem ihn die Parteifreundin aus Nevada, Lucy Flores, in
[2][einem Essay im New York Magazine] jetzt des Übergriffs beschuldigt
hatte. Die kursierenden Videozusammenschnitte von Szenen mit Joe Biden
indes, in denen er zum Beispiel von hinten an eine Frau herantritt, er
einer anderen an den Haaren riecht oder der dritten einen Kuss auf den
Hinterkopf gibt, machen die exakte Beweisführung der Flores-Vorwürfe
obsolet.
Das muss auch Biden oder jemandem aus seinem Beraterinnenstab aufgefallen
sein. „Wenn gesagt wird, ich habe mich so verhalten, dann werde ich
respektvoll zuhören. Aber es war nie meine Intention“, schob Biden seiner
ersten Ich-war’s-nicht-Erklärung hinterher.
## Joe Biden hat diese Chance verpasst
Worum geht es hier? Biden ist ein, wie er es selbst nennt, „taktiler
Politiker“. Er ist charmant, küsst, umarmt – und tritt dabei zu oft zu
nahe. Das kann Wut und Ängste auslösen, auch nach Jahren. Aber er hat die
demokratische Politikerin nicht vergewaltigt. Und sein Verhalten ist in
einem sozialen Kontext eher Regel als Ausnahme.
Nur im Wünsch-dir-was-Land hätte Biden die Chance erkannt, die darin liegt,
ehrlich mit solchen Fehlern umzugehen. Mit Fehlern, die nicht zwingend
vernichtend sein müssen. Es wäre die richtige Zeit, die Grenze der
Zuwendung durch mächtige Männer zu definieren, aber auch den Unterschied
zwischen einem tätlichen Übergriff und einer übergriffigen Machtsituation
zu setzen. Er hätte schreiben können:
Ich bin sicher, dass ich mich in meiner Karriere als einflussreicher Mann
vielfach sexistisch verhalten habe. In meiner langen Laufbahn, es kann
eigentlich gar nicht anders sein, muss ich mich auch anderen Frauen viel zu
sehr genähert haben. Ich war ganz gewiss in Situation zudringlich, an die
ich mich nicht einmal erinnere. Ich habe nicht verstanden, wie
verängstigend, verletzend oder verstörend mein Verhalten sein kann. Für all
das bin ich und nur ich verantwortlich.
Auch wenn das meine Verantwortung nicht schmälert, ist es wichtig zu sagen,
dass ich auch ein Produkt der Zeit bin, in der ich aufwuchs. Die Zeiten
haben sich geändert. Das hat [3][#MeToo] nicht alleine bewerkstelligt. Die
Gesellschaft hat #MeToo möglich gemacht. Heute bin ich in der Lage zu
verstehen. Heute können sich diejenigen, die verletzt wurden, äußern.
Dieser Prozess muss weitergehen. Damit ich niemanden mehr verletze und
damit nicht unzählige Frauen und zweifellos auch Männer verletzt werden.“
Diese Chance aber hat Joe Biden verpasst.
2 Apr 2019
## LINKS
[1] /US-Freiheitsmedaille-fuer-Joe-Biden/!5374047
[2] https://www.thecut.com/2019/03/an-awkward-kiss-changed-how-i-saw-joe-biden.…
[3] /!t5455381/
## AUTOREN
Barbara Junge
## TAGS
Sexismus
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sexuelle Belästigung
Lucy Flores
Joe Biden
US-Politik
Schwerpunkt #metoo
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