Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Religion im türkischen Wahlkampf: Hagia Sophia soll Moschee werden
> Der türkische Präsident will aus Istanbuls berühmtem Museum wieder eine
> Moschee machen. Entstanden ist der Bau als christliche Kirche.
Bild: Hoch thront sie über Istanbul: Die Hagia Sophia, hier bei Sonnenaufgang
Istanbul taz | Zuerst konnte man ja noch mit dem Kopf schütteln und sich
über die Unverfrorenheit wundern“, meinte eine Bekannte im Café, „doch
jetzt sieht es so aus, als meine er es wirklich ernst.“ Es geht um das
bekannteste Baudenkmal Istanbuls, die Hagia Sophia, und Präsident Recep
Tayyip Erdoğan. „Es kann möglich sein, dass die Muslime demnächst wieder
dort beten“, hatte er in einem Interview vor einer Woche gesagt.
„Dort beten, was soll das?“, fragten sich viele Bürger der Stadt, doch
schien der Spruch des Präsidenten zunächst nicht mehr als Wahlkampfgetöse.
Doch vor zwei Tagen legte Erdoğan noch einmal nach. „Wir werden die Hagia
Sophia zu ihrem Ursprung zurückführen“, sagte er. „Sie wird nicht länger
ein Museum sein. Wir werden sie wieder eine Moschee nennen.“
Die „Hagia Sophia“, die „Kirche der Weisheit“, ist eines der am meisten
besuchten Museen der Welt. An der Spitze der historischen Halbinsel, auf
dem ersten Hügel der Stadt, thront sie seit mehr als 1.500 Jahren über
Konstantinopel und Istanbul. Über 1.000 Jahre lang war sie die größte
Kirche der östlichen Christenheit, der Petersdom der Orthodoxie sozusagen.
Nach der Eroberung Konstantinopels 1453 wurde sie zur Hauptmoschee des
Osmanischen Reichs, und 1935 verwandelte die türkische Republik das
Kronjuwel Istanbuls in ein Museum, um ihrer historischen Bedeutung für
mehrere Religionen Genüge zu tun. Seitdem fordern islamische
Fundamentalisten die Rückverwandlung des Museums in eine Moschee.
## Imageverlust als weltoffene Stadt
„Auch die Türkei Erdoğans sollte stolz darauf sein, ein solches Museum zu
haben“, sagte der bekannteste Historiker des Landes, İlber Ortaylı, zu
Erdoğans Ankündigung, die Hagia Sophia wieder zu einer Moschee machen zu
wollen. Der Kolumnist Mehmet Yılmaz machte sich über den Präsidenten lustig
und erinnerte daran, dass das Museum ursprünglich ja eine Kirche war und
keine Moschee. „In was will Erdoğan die Hagia also zurückverwandeln?“,
fragte er im vielgelesenen Internetmagazin T 24.
„Doch das Lachen könnte uns noch im Hals stecken bleiben“, fürchtet Mehmed
B., ein Stadtführer, der die Hagia Sophia ganz oben auf seinem Programm
hat. „Wenn Erdoğan wirklich ernst macht, wäre das ein ungeheurer Verlust
für Istanbul.“ Und das betrifft nicht nur den Ausfall der Ticketeinnahmen,
sondern vor allem den Imageverlust als weltoffene Stadt.
Am Sonntag werden in allen Städten der Türkei [1][neue Bürgermeister
gewählt]. Erdoğan hat diese Kommunalwahlen zu einem „Kampf ums Überleben
der Nation“ stilisiert. Tatsächlich droht ihm und seiner AKP nach 16 Jahren
an der Macht erstmals eine schmerzliche Niederlage, nicht nur in Istanbul,
sondern auch in etlichen anderen Großstädten. Um von der wirtschaftlichen
Misere abzulenken, zieht Erdoğan deshalb die religiöse Karte.
Um an der Macht zu bleiben, will er das weltoffene Istanbul in eine
muslimische Weltmetropole verwandeln. Auf dem höchsten Hügel der Stadt wird
gerade die bislang größte Moschee der Türkei fertiggestellt. Diese
Erdoğan-Gedenkmoschee fasst 60.000 Gläubige und ist fast von jeder Stelle
in Istanbul aus zu sehen. Am zentralen [2][Taksim-Platz] ist gerade eine
weitere [3][Großmoschee] im Bau, die dem Platz der Republik einen neuen
Stempel aufdrücken soll. Die Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee
würde die islamische Dominanz in Istanbul noch einmal unterstreichen.
„Nicht die Nation, sondern Erdoğan kämpft um sein Überleben“, sagt völl…
zu Recht der Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroğlu von der
Republikanischen Volkspartei. „Sie haben keine Antwort auf die
Arbeitslosigkeit und die Verarmung des Volks“, rief Kılıçdaroğlu seinen
Anhängern zu, „stattdessen diffamieren sie uns als Terroristen und greifen
als letzten Strohhalm vor dem Untergang zur Religion.“ Wer die AKP wählt,
kommt in den Himmel, ist das letzte Angebot Erdoğans.
29 Mar 2019
## LINKS
[1] /Kommunalwahlen-in-der-Tuerkei/!5582924
[2] /Kulturzentrum-am-Taksimplatz/!5499416
[3] /Moschee-am-Taksim-Platz/!5493600
## AUTOREN
Jürgen Gottschlich
## TAGS
Türkei
Recep Tayyip Erdoğan
Islam
Istanbul
Kolumne Stadtgespräch
Türkei
taz.gazete
Türkei
taz.gazete
Türkei
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kommunalwahl in der Türkei: AKP sabotiert Erfolge der Opposition
Fünf kurdische Bürgermeister haben bei der Kommunalwahl gewonnen. Jetzt
sollen sie aber ihr Amt nicht antreten dürfen.
Kommunalwahl in der Türkei: Die Opposition meldet sich zurück
Es war nur eine Kommunalwahl, doch für Erdoğan ist ihr Ausgang fatal: Die
AKP verliert neben Ankara auch die Wirtschaftsmetropole Istanbul.
Kommunalwahl in der Türkei: Die Opposition meldet sich zurück
Es war nur eine Kommunalwahl, doch für Erdoğan ist ihr Ausgang fatal: Die
AKP verliert neben Ankara auch die Wirtschaftsmetropole Istanbul.
Kommunalwahlen in der Türkei: Die Angst der Regierung
Präsident Erdoğan hat den Wahlkampf für die Kommunalwahlen in der Türkei am
Sonntag zur Chefsache erklärt. Warum?
Kommunalwahlen in der Türkei: Wird Beyoğlu sozialistisch?
Im zentralen Istanbuler Bezirk Beyoğlu, dem Herz der Stadt, will ein
Sozialist Bürgermeister werden. Es könnte sogar gelingen.
Kommunalwahlen in der Türkei: Postbote oder Regierungspartner?
Ende März werden neben Bürgermeistern auch Gemeindevorsteher gewählt. Die
AKP lädt das niedrigste Amt der Kommunalverwaltung politisch auf.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.