# taz.de -- Bundestrainer vor seinem Rücktritt: „Skispringer sind Künstler�… | |
> Werner Schuster beendet nach dieser Saison seine Arbeit als Cheftrainer | |
> der Skispringer. Vor seinen letzten Weltmeisterschaften spricht er über | |
> seine Hoch und Tiefs. | |
Bild: Abwinken: Typische Handbewegung von Bundestrainer Werner Schuster bei den… | |
taz: Herr Schuster, mit welchen Zielen sind Sie zur WM nach Seefeld | |
gereist? | |
Werner Schuster: Die Ziele sind seit Jahren die gleichen. Wir wollen um | |
Medaillen springen, wir haben das Potenzial, um Medaillen zu springen. Am | |
liebsten zwei – eine im Einzel und eine im Team. Wenngleich speziell im | |
Einzel mindestens zehn Leute für eine Top-3-Platzierung infrage kommen. Im | |
Team waren wir sehr kompakt, aber auch da liegt die Medaille nicht zum | |
Abholen bereit. | |
Die Saison lief ja nicht so rund. Nur [1][Karl Geiger] hat zweimal | |
gewonnen. | |
Aber auch Markus Eisenbichler und Stephan Leyhe haben bewiesen, dass sie | |
das Potenzial haben. Und schön, dass Richard Freitag noch rechtzeitig so | |
einen großen Sprung geschafft hat. Das zeigt auch, was für ein toller | |
Skispringer er ist. | |
Kann Olympiasieger [2][Andreas Wellinger] den Anschluss an die Spitz wieder | |
schaffen? | |
Seine Rolle bei der WM wird ungewohnt für ihn sein. Es fehlt ihm die | |
Selbstverständlichkeit. Im Hintergrund laufen einige Aktivitäten, was | |
Materialabstimmung und technische Feinformung betrifft. Da kann noch mal | |
etwas kommen. Wenngleich die Voraussetzungen deutlich anders sind als die | |
Jahre zuvor. | |
Anders wird auch Ihr Leben. Sie hören nach dieser Saison als Bundestrainer | |
auf. Kam in den Tagen nach der Entscheidung nicht Wehmut auf? | |
Nein, ich bin immer noch der Ansicht, dass es ein guter Zeitpunkt war. Ich | |
kann eine intakte Mannschaft übergeben. | |
Wie lange hat es gedauert, bis die Entscheidung feststand? | |
Angefangen hat es in Pyeongchang. | |
So früh schon? | |
Als ich nach dem Olympiasieg von Andreas Wellinger die Schanze | |
runtergelaufen bin, kam in mir zum ersten Mal der Gedanke auf: Puuhh, | |
schaffst du noch die Zeit bis zu den nächsten Olympischen Spielen? Hast du | |
noch die Kraft, die Schaffenskraft, die Innovation, die Energie? | |
Zwischen den Spielen im Februar 2018 und Ihrer öffentlichen Entscheidung | |
Ende Januar 2019 lagen elf Monate. | |
Ganz ehrlich – es fiel mir bis kurz davor schwer, es zu formulieren. Ich | |
hatte zwar schon den Gedanken, dass es wahrscheinlich in diese Richtung | |
gehen würde, aber es war noch nicht so weit, dass ich es formulieren | |
konnte. Jetzt kann ich es formulieren, wenngleich es nicht leicht fällt. | |
Aber ich fühle mich gut dabei. | |
Sie haben schon vor Weihnachten ihren Rücktritt angedeutet, als Sie | |
erzählten, dass Ihr zwölfjähriger Sohn Sie im Winter nur aus dem Fernsehen | |
kennt. | |
Trotzdem, man glaubt es kaum, waren meine beiden Jungs gar nicht so | |
begeistert. Kinder sehen das anders. „Wieso? Wieso?“, haben sie gefragt. | |
Ihre Frau haben Sie sicherlich von Anfang an in Ihre Überlegungen mit | |
einbezogen? | |
Klar habe ich das mit ihr besprochen. Ohne eine intakte Familie wäre das | |
alles nicht gegangen. Ohne eine unglaublich starke Frau und, das reicht | |
nicht mal, ohne die Hilfe der Eltern und Schwiegereltern hätte ich meine | |
Aufgabe nicht so erfüllen können. Meine Kinder waren, als ich den Job des | |
Bundestrainers angetreten habe, ein und drei Jahre alt. | |
Dagegen stand eine interessante Aufgabe. | |
Dieser Job war und ist für mich ein Privileg. Und ich werde bis zum letzten | |
Tag versuchen, ihn nach bestem Wissen und Gewissen auszufüllen. | |
Sie sind der Mann mit der Fahne, Sie sind der Mann am Mikrofon. Sind Sie | |
der Mann für alles? | |
Ich könnte mich als den totalen Supertrainer hinstellen. Aber das tue ich | |
nicht, weil es nicht so ist. Man muss ehrlicherweise sagen, dass man als | |
Cheftrainer, gerade in einem so großen Team wie dem deutschen, die | |
Rahmenbedingungen, die Grundvoraussetzungen schafft. Ich habe zum Glück in | |
Roar Ljökelsöy, Christian Winkler und Jens Deimel sehr gute | |
Assistenztrainer an meiner Seite. | |
Macht da jeder alles? | |
Wir versuchen uns im Team so gut wie möglich abzustimmen. Wir haben | |
versucht, gemeinsam ein Konzept zu erarbeiten und Ruhe reinzubringen. Wir | |
versuchen denjenigen nicht hängen zu lassen, dem es nicht so gut geht. So | |
wie wir zuletzt Andi Wellinger nicht hängen gelassen haben. Oder Richard | |
Freitag. So wie wir auch versucht haben, [3][Severin Freund] nach seinen | |
beiden Kreuzbandrissen nicht hängen zu lassen. | |
Als Sie vor elf Jahren als Bundestrainer präsentiert wurden, waren Sie nur | |
Fachleuten bekannt. Wie war der Anfang für Sie? | |
Es gab ein paar ältere, namhafte und gute Sportler wie Martin Schmitt, | |
Michael Neumeyer, Michael Uhrmann und Georg Späth. Aber dahinter klaffte | |
eine Lücke von fast zehn Jahren. Severin Freund und Andreas Wank waren die | |
Jungen. | |
Können Sie sich noch an Ihre erste Aufgabe erinnern? | |
Zunächst war mir eine enge Vernetzung zwischen dem Weltcup-Team und der | |
B-Mannschaft wichtig, damit dort auch auf einem hohen Niveau trainiert | |
wird. Mir war wichtig, dass alle Trainer zusammenarbeiten. Ich habe eine | |
einheitliche Linie im Athletiktraining eingeführt, sodass an allen | |
Stützpunkten gleich trainiert und die Profilierungssucht an den einzelnen | |
Stützpunkten beendet wird. | |
Sie haben drei Spiele miterlebt. Mit welchen Gedanken erinnern Sie sich? | |
Die ersten Spiele in Vancouver waren nicht so leicht, ich war Rookie. Wir | |
hatten mittelmäßige bis schlechte Voraussetzungen, haben aber mit einer | |
relativ alten Truppe Silber geholt. Ob ich heute noch Bundestrainer wäre, | |
wenn wir diese Medaille nicht geholt hätten – wer weiß? | |
Sie blieben im Amt und fuhren 2014 nach Sotschi. | |
Wir hatten ein neues, junges Team, und die Chancen waren echt gut. Wir | |
haben im Einzel Lehrgeld bezahlt, Severin Freund ist einmal gestürzt. Auf | |
der großen Schanze war er dann auf Medaillenkurs und ist Vierter geworden. | |
Für diesen Wettkampf waren wir nicht reif. Aber wir haben das Team-Gold | |
geholt. Das war das zweite Schlüsselerlebnis. Wer weiß, ob ich ohne diese | |
Medaille noch hier sitzen würde. | |
Und weil aller guten Dinge drei sind … | |
… sind wir fantastisch vorbereitet mit einer tollen Mannschaft nach | |
Pyoengchang gefahren. Andreas Wellinger gelingt es, Einzel-Gold zu holen – | |
nach 24 Jahren. Wir haben in allen Wettbewerben eine Medaille gemacht. Das | |
war eine außergewöhnliche Situation. Weil Olympia nicht nur ein Honiglecken | |
ist, ist mir zum ersten Mal der Gedanke gekommen, dass Peking 2022 noch | |
sehr weit weg ist. | |
Einzig der Sieg bei der Vierschanzentournee ist ihnen immer verwehrt | |
geblieben. | |
Ja, die Tournee habe ich jetzt nicht gewonnen als Trainer. Damit muss ich | |
leben. Wer weiß, vielleicht gibt es noch einmal eine andere Möglichkeit mit | |
einer anderen Mannschaft? Oder vielleicht fange ich in fünf Jahren beim DSV | |
wieder als Trainer an? Wer weiß, was das Leben noch bietet? | |
Sie sind also mit Ihrer Arbeit zufrieden? | |
Absolut. Ich habe vor elf Jahren mit Naivität, mit Leichtigkeit und mit | |
Enthusiasmus angefangen. Ich hatte keinen Karriereplan. Ich habe mehr | |
erreicht, als ich mir gedacht habe. Ich habe viele tolle Erlebnisse gehabt. | |
Ich bin hier aufrecht reingegangen, und mein Ziel ist es, wieder aufrecht | |
rauszugehen. | |
Was hätten Sie noch gern erreicht? | |
Severin war schon die prägende Figur in meiner Trainer-Dekade. Er saß als | |
einer von drei jungen Springern in meiner ersten Sitzung. Wir haben | |
zusammen viel erlebt und viel erreicht. Es war ein großes Motiv, ihm zu | |
helfen, dass er den Weg zurück schaffen kann. Wir haben’s probiert, er | |
hat’s probiert. Es hat bis jetzt sportlich noch nicht gereicht. Menschlich | |
fehlt er im Team sehr, sportlich haben sich die anderen mittlerweile | |
emanzipiert. Ich wünsche ihm sportlich alles Gute, dass er noch einmal | |
durchstartet, dass er bis zur WM 2021 springen kann. Und dass er noch | |
einmal an alte Erfolge anknüpfen kann. | |
Wie wichtig war Severin Freund für Sie? | |
Severin hat das Team in einer Phase gerettet, als die Alten immer schwächer | |
wurden und die Jungen noch nicht stabil genug waren. Er hatte die | |
Persönlichkeit, die Technik und auch die Möglichkeiten, vorne | |
reinzuspringen. Severin war der Inbegriff der neuen Generation, der mit der | |
neuen Philosophie ausgebildet worden war. Er ist hervorragend in die Rolle | |
hineingewachsen. Diese Rolle als Führungsspringer in Deutschland musst du | |
erst einmal ausfüllen. Ich habe mit ihm tolle Erlebnisse gehabt. Er steht | |
eigentlich symbolhaft für die Ära. Vom Anfang bis zum Ende. | |
Was ist das Geheimnis des Skispringens? | |
Skispringen ist eigentlich eine Kunst. Man sollte nicht zu viel arbeiten, | |
aber man muss konsequent trainieren. Skispringer sind Künstler. Aber auch | |
ein Künstler kann nicht einfach so ein Bild auf die Leinwand malen, er muss | |
auch die Basics können. | |
23 Feb 2019 | |
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## AUTOREN | |
Klaus-Eckhard Jost | |
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