# taz.de -- Staatliche Essensrationen fast halbiert: Taktiert Pjöngjang mit Hu… | |
> Nordkorea spricht von einem Nahrungsmittelengpass. Ausgerechnet kurz vor | |
> dem Treffen von Kim Jong-un mit US-Präsident Donald Trump. | |
Bild: Landwirtschaft in Nordkorea: Das Regime meldet verheerende Ernteausfälle… | |
SEOUL taz | Es klingt alarmierend, was Nordkoreas UN-Botschafter in einem | |
undatierten Brief an die Vereinten Nationen schreibt: Das verarmte Land | |
stünde vor einer Nahrungsmittelkatastrophe. Rund 1,4 Millionen Tonnen | |
Lebensmittel würden fehlen. Die Sanktionen gegen das Regime sowie eine | |
Hitzewelle im Sommer hätten zu großen Ernteausfällen geführt. Bereits ab | |
Januar sei die staatliche Essensration für die Bevölkerung fast halbiert | |
worden. Steht Nordkorea also vor einer neuen Hungersnot? | |
Unter internationalen Beobachtern herrscht Skepsis. Die ungewöhnliche Geste | |
der Schwäche nur wenige Tage vor dem zweiten US-Nordkorea Gipfel im | |
vietnamesischen Hanoi könnte schließlich taktisches Kalkül sein. | |
Das nordkoreanische Regime, so lautet die Argumentation, würde den Druck | |
auf US-Präsident Trump erhöhen wollen, die Wirtschaftssanktionen gegen das | |
Land zu lockern. | |
De facto jedoch sind humanitäre Lieferungen ohnehin ausgenommen von den | |
derzeit bestehenden Sanktionen gegen Pjöngjang. Indirekt jedoch verschärfen | |
sie natürlich die Nahrungsmittelsituation: Verbotene Benzinlieferungen etwa | |
führen dazu, dass Traktoren nicht mehr in der Landwirtschaft eingesetzt | |
werden können. Und fehlende Devisen erschweren bitter benötigte | |
Düngemittelimporte. | |
## Umstrittene Sanktionen | |
Deshalb lehnen auch die meisten Menschenrechtsorganisationen, allen voran | |
Amnesty International, die Sanktionen in ihrer jetzigen Form ab. | |
Hinzu kommt, dass die Sanktionen die ohnehin unterprivilegierte | |
Landbevölkerung am stärksten trifft. Forscher der Stanford-Universität | |
haben mithilfe von Satellitenbildern nachgewiesen, dass das Nordkoreas | |
Regime in der Vergangenheit immer dann seine Energiezuteilungen am | |
stärksten auf Pjöngjang konzentriert hat, als die Sanktionen am schärfsten | |
waren. Sie haben also das regionale Gefälle weiter verstärkt. | |
Die Ernährungssicherheit in Nordkorea hatte sich dennoch in den letzten | |
drei Jahren dank höherer Ernteerträge etwas entspannt. Dies wurde den | |
Landwirtschaftsreformen von Machthaber Kim Jong Un zugeschrieben: Seitdem | |
dürfen sich Landwirte zu kleinen Kollektiven zusammenschließen und bis zu | |
30 Prozent ihrer Ernteerträge auf dem freien Markt verkaufen. | |
## „Chronische Ernährungsunsicherheit“ | |
Laut einem aktuellen Bericht der UN-Landwirtschaftsorganisation FAO sind | |
jedoch noch immer ein Fünftel aller nordkoreanischen Kinder aufgrund von | |
Mangelernährung in ihrem Wachstum beeinträchtigt. Von “chronischer | |
Ernährungsunsicherheit“ seien gar über 40 Prozent der Bevölkerung | |
betroffen. Doch hat auch die Ungleichheit im Land zugenommen. | |
Dass Kim Jong Un nun also die Essensrationen für die Bevölkerung hat | |
halbieren lassen, klingt drastisch. Doch seit den letzten Jahren leben | |
ohnehin immer mehr Nordkoreanerunabhängig vom staatlichen | |
Versorgungssystem. | |
Das brach nämlich nach dem Kollaps der Sowjetunion, dem wichtigsten | |
Öllieferanten und Handelsparter, vollständig zusammen. Die Folge war eine | |
extrem Hungersnot in den 1990er Jahrehn – ein kollektives Trauma, das zu | |
hunderttausenden Toten geführt und die Gesellschaftsordnung bis heute | |
nachhaltig verändert hat. | |
Die Nordkoreaner mussten damals praktisch über Nacht selbst für ihr | |
Überleben sorgen – auf den Schwarzmärkten, die sich damals massenhaft im | |
Land herausbildeten. | |
Besonders linientreuen Parteimitgleidern, die weiterhin gewissenhaft ihrer | |
Arbeit sowie den unzähligen Ideologie-Sitzungen nachgingen, traf der | |
Hungerstod als erste. Wer jedoch stattdessen kapitalistisches Gespür | |
entwickelte, konnte sich den neuen Gegebenheiten anpassen. | |
## Sozio-ökonomischer Wandel | |
Eine neue Händlerkaste bildete sich, die zu einem Großteil aus jenen | |
„politisch unliebsamen“ Familien stammen, die vor den Hungersnöten am | |
unteren Ende der gesellschaftlichen Hierarchie lebten. | |
Am kommenden Mittwoch nun trifft sich Trump erneut mit Kim zu Gesprächen. | |
Der US-Präsident hat kürzlich erneut betont, dass er das Regime in | |
Pjöngjang mit Wirtschaftshilfen für die Aufgabe des Atomprogramms belohnen | |
wolle. | |
Zugleich schraubte er jedoch die Erwartungshaltung an den Gipfel herunter: | |
Man habe bei der Lösung Nuklearfrage keine Eile. | |
22 Feb 2019 | |
## AUTOREN | |
Fabian Kretschmer | |
## TAGS | |
Nordkorea | |
Hungersnot | |
Hunger | |
Hungertod | |
Donald Trump | |
Kim Jong Un | |
Kim Jong Un | |
Kim Jong Un | |
Nordkorea | |
Atomabkommen | |
Nordkorea | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Nordkorea-USA-Gipfel: Sonderzug aus Pjöngjang | |
Viele Südkoreaner sehen hoffnungsvoll auf den Gipfel in Hanoi. Doch eine | |
komplette nukleare Abrüstung in Nordkorea ist unwahrscheinlich. | |
Referendum zu US-Militär in Japan: Tokio ignoriert Volkswillen | |
Japans Premier Abe will sich dem Ergebnis eines Referendums auf Okinawa | |
nicht beugen. Die Verlegung einer US-Militärbasis soll weitergehen. | |
Nordkoreas Botschafter in Italien: Diplomat soll untergetaucht sein | |
Nordkoreas Top-Diplomat Cho Seong Gil in Rom könnte mit seiner Ehefrau die | |
Flucht angetreten haben. Sein Insider-Wissen ist kostbar. | |
Kommentar Rede von Kim Jong Un: Die Warnung des Diktators | |
Die Neujahrsansprache des nordkoreanischen Diktators wird weltweit | |
interpretiert. Sie richtet sich aber in erster Linie ans eigene Volk. | |
Neue Waffentests in Nordkorea: Kim Jong Un lässt neue Waffe testen | |
Es ist der erste Waffentest seit Beginn der Annäherung zwischen Nordkorea | |
und den USA. Nordkorea zufolge handelt es sich um eine neue „taktische | |
Waffe“. |