# taz.de -- Verurteilte Journalistin in der Türkei: „Was bleibt mir übrig a… | |
> Seda Taşkın wurde nach einem Jahr im Gefängnis zu mehr als sieben Jahren | |
> Haft verurteilt. Nun kam die Journalistin frei. Ein Interview über ihre | |
> Zeit in Haft. | |
Bild: Seda Taşkın im Gespräch mit dem Journalisten Hayri Demir | |
taz gazete: Frau Taşkın, Sie sind Journalistin und haben ein | |
außergewöhnliches Jahr hinter sich. Am 23. Januar 2018 wurden Sie | |
verhaftet. Im Oktober wurden Sie zu sieben Jahren und sechs Monaten Haft | |
verurteilt. Am 17. Januar kamen Sie frei, jetzt soll der Prozess neu | |
aufgerollt werden. Was wirft man Ihnen vor? | |
Seda Taşkın: Alle inhaftierten Journalist*innen haben die Regierung | |
kritisiert. Die Regierung lässt Kritiker*innen entweder verhaften oder | |
sorgt mit Prozessen dafür, dass sie ihren Beruf nicht mehr ausüben können. | |
Mein Fall führt deutlich vor Augen, wie Journalismus in der Türkei verfolgt | |
wird. Mir wurde beispielsweise vorgeworfen, dass ich über eine kranke Frau | |
von 78 Jahren berichtet hatte, die in Muş verhaftet worden war. Es wurde | |
behauptet, mit meinem Bericht hätte ich „die Organisation ermutigt“ (die | |
verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK, Anm.d.Red.). Dass ich über eine | |
Unterschriftenkampagne für inhaftierte Journalist*innen berichtete, dass | |
ich ein Foto teilte, auf dem ein Mikrofon der (mittlerweile verbotenen, | |
Anm.d.Red.) Nachrichtenagentur DIHA zu sehen ist – all das wurde als | |
Straftatbestand gewertet. Dabei bin ich Journalistin. Mein Beruf erfordert, | |
dass ich dorthin gehe, wo es etwas zu berichten gibt. | |
Was soll das heißen, Sie hätten mit Ihren Berichten „die Organisation | |
ermutigt“? | |
So stand es in der Urteilsbegründung über meine Haftstrafe. Da hieß es: | |
„Sie machte sich schuldig, in die Provinz Muş und Umgebung gereist zu sein | |
und Berichte verfasst zu haben, die die Mitglieder der Terrororganisation | |
motivieren und ermutigen.“ Diese Formulierung ist nichts anderes als das | |
Eingeständnis, dass meine Berichterstattung als Straftat betrachtet wird. | |
Der Name Seda wurde in der Akte als Deckname gewertet. Was macht denn Seda | |
zu einem derart gefährlichen Namen? | |
Die hatten eine leere Akte vor sich. Darin gab es keinen einzigen Beweis | |
für die Mitgliedschaft in einer Terrororganisation, die mir ja vorgeworfen | |
wird. Also mussten sie sich Begründungen aus den Fingern saugen. Und das | |
taten sie. Seit meiner Kindheit benutze ich den Namen Seda, aber in meinem | |
Ausweis steht der Vorname Seher. Im Alltag und für alle meine Berichte | |
verwende ich den Namen Seda, in die Akte wurde er jedoch als „Deckname“ | |
aufgenommen. Auch die vielen hundert Briefe, die man mir ins Gefängnis | |
schrieb, waren an Seda adressiert. Das legten wir dem Gericht auch dar, | |
aber während des gesamten Verfahrens wurde mein Name als Deckname | |
behandelt. In der Verhandlung sprach mich sogar der Richter mit Seda an. | |
Dennoch verlängerte sich die Verhandlung, weil man meinen Namen Seda | |
recherchierte. | |
Können Sie uns Ihre Haftbedingungen schildern? | |
Als ich in meine Zelle kam, wurde ich von einer ganzen Reihe junger Frauen | |
begrüßt. Sie nahmen mich auf, als würden wir uns seit Jahren kennen. Als | |
ich mir ihre Geschichten anhörte, erkannte ich, dass keine von uns sich von | |
den anderen unterschied. Studentinnen waren darunter, Hausfrauen, | |
Politikerinnen, auch Journalistinnen wie ich. Die Zellen sind eigentlich | |
für eine Person bemessen, aber wir waren zu dritt. Das lag daran, dass so | |
viele Leute verhaftet werden. Weil der Raum so begrenzt war, hatten wir so | |
gut wie keine Bewegungsfreiheit. Nur auf dem Hof konnten wir uns etwas | |
bewegen. | |
Wie liefen die Tage ab? | |
Ich stand jeden Morgen um halb acht auf und machte eine Stunde Sport. Mit | |
Sport meine ich kleine Übungen in der Zelle. Dann Frühstück, anschließend | |
las ich zwei Stunden lang. Nach dem Mittagessen verbrachte ich die Zeit | |
wieder mit Lesen und Schreiben. Ich hatte richtig Arbeitszeiten für mich | |
festgelegt. Außer den Besuchstagen verliefen alle Tage nach dieser Routine. | |
Ich hatte keine Kamera in meiner Zelle, aber ich stellte mir einen | |
Fotoapparat vor und überlegte, wie ich fotografieren könnte. | |
Wie meinen Sie das? | |
Ich habe vor meiner Haft viele Porträtaufnahmen von Frauen und Kindern | |
gemacht. Ich rief mir die letzten Kinderfotos ins Gedächtnis, die ich | |
geschossen hatte, und versuchte, sie mit dem Wissen, das ich jetzt hatte, | |
nachdem ich viel über Fotografie gelesen hatte, neu aufzunehmen. | |
Hatten Sie Schwierigkeiten, die Dinge zu bekommen, die Sie brauchten? | |
Im Grunde braucht man dort nicht viel. Alles ist schwierig zu bekommen. | |
Denn selbst die Liste für Einkäufe war von der Anstaltsleitung vorgegeben. | |
Zum Beispiel bekam man keine Schere. Aber ich musste meine Haare schneiden. | |
Der Mangel macht einen dann kreativ. Es kann Monate dauern, bis die | |
Friseurin kommt. Ich musste eine Lösung finden. Also fing ich an, meine | |
Haare mit dem Nagelknipser zu schneiden. So wurde ich plötzlich zur | |
Friseurin für die ganze Zelle, und das mit einem einzigen Nagelknipser. | |
(lacht) | |
Was haben sie im Gefängnis besonders vermisst? | |
Aus beruflichen Gründen, aber auch, weil ich es mag, bin ich oft auf Reisen | |
ins Unbekannte gegangen. Diese Reisen haben mir in der Haft am meisten | |
gefehlt. Es war auch schmerzlich, die Kamera, die mich draußen Tag und | |
Nacht begleitet, nicht benutzen zu können. Man gab uns kein Radio, um Musik | |
zu hören. Ich habe mich sehr nach Musik gesehnt. | |
Wir haben gesehen, dass Sie auch aus der Haft heraus Berichte geschrieben | |
haben. | |
Ich habe die Haft als Chance genutzt. Mein Beruf ist nicht an einen | |
bestimmten Ort gebunden und kennt keine Grenzen. Ich habe mich auf die | |
Geschichten der Menschen im Gefängnis fokussiert. Zwischen mich und das | |
Leben hat man die Mauer gesetzt. Diese Mauer wollte ich mit meinen | |
Berichten einreißen. Ansonsten hatten wir es mit ernsthaften Problemen zu | |
tun. Das Wasser kam rostig aus dem Hahn. Ich berichtete in einem Brief, | |
dass der Zugang zu sauberem Wasser, einem menschlichen Grundbedürfnis, im | |
Gefängnis verhindert wird. Das gefiel der Anstaltsleitung gar nicht. Eine | |
der Kontrolleurinnen unserer Briefe legte mir nahe, nicht über die Zustände | |
zu schreiben. Ich hielt dagegen, genau deshalb sei ich verhaftet worden, | |
genau das würde ich fortsetzen. | |
Der inhaftierte Journalist Nedim Türfent wies in einem Brief aus dem | |
Gefängnis auf Ihre Lage hin und forderte dazu auf, Ihnen zu schreiben. | |
Haben Sie unerwartete Briefe von Leuten erhalten, die Sie nicht kannten? | |
Ich habe Briefe von Menschen bekommen, die ich nicht kannte, in Sprachen, | |
die ich nicht beherrsche. Auch viele Kolleg*innen in der Türkei sorgten mit | |
ihren Briefen dafür, dass ich nicht allein war. Manchmal kamen so viele | |
Briefe, dass ich mit den Antworten die ganze Nacht hindurch beschäftigt | |
war. Auch mit Nedim habe ich häufig geschrieben. Es hat mich sehr berührt, | |
dass er noch aus der Haft heraus über meine Lage schrieb. Ein Journalist in | |
Haft berichtet über eine andere Journalistin in Haft. | |
Von Ihren Anwält*innen habe ich erfahren, dass Ihre Freilassung | |
überraschend für sie kam. | |
Für mich auch. Ich saß mit anderen Gefangenen im Gespräch zusammen, da | |
wurde mein Name durchgesagt. Ich öffnete das Gitter der Eisentür. Es hieß, | |
ich käme frei. Ich habe es nicht geglaubt. Ich dachte, die nehmen mich auf | |
den Arm. Denn das Regionalgericht hatte mich zu einer Haftstrafe | |
verurteilt, die nächsthöhere Instanz hatte den Fall noch gar nicht | |
aufgenommen. Ich kam nach genau 360 Tagen frei und nahm nur die Briefe mit. | |
Um ehrlich zu sein, ich hatte längst jede Hoffnung auf die Justiz | |
aufgegeben und gedacht, es würde nicht zur Freilassung kommen. Denn es geht | |
hier ja um ein Land, in dem von unabhängiger Justiz keine Rede sein kann. | |
Die Justiz ist doch nur noch eine Theaterbühne. Darum habe ich gelacht, als | |
mich das Gericht im Oktober zu sieben Jahren und sechs Monaten Haft | |
verurteilt hat. | |
Wie kann man über eine solche Strafe lachen? | |
Weil diese Sache von vorn bis hinten tragikomisch war. Können Sie sich das | |
vorstellen? Ich wurde bestraft, weil ich mit meinen Berichten „die | |
Organisation ermutigt und motiviert“ haben soll. Wir haben es mit einer | |
Justiz zu tun, die eine solche Strafe verhängen kann, ohne dass ein | |
einziger konkreter Beweis vorliegt! Was bleibt einem da anderes übrig, als | |
über so eine Justiz zu lachen? | |
Und wie geht es weiter? Die Haftstrafe besteht ja nach wie vor. | |
Nach dem Beschluss, mich auf freien Fuß zu setzen, wird das Verfahren | |
erneut aufgerollt. Am 20. März muss ich wieder vor Gericht. Ich möchte noch | |
einmal daran erinnern, wie wichtig Solidarität in dieser Phase ist. Das | |
gilt nicht bloß für mich, sondern für etliche inhaftierte Journalist*innen. | |
Die Solidarität muss fortdauern, bis kein einziger Journalist, keine | |
einzige Journalistin mehr in Haft ist! | |
Aus dem Türkischen von Sabine Adatepe | |
4 Feb 2019 | |
## AUTOREN | |
Hayri Demir | |
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