| # taz.de -- Zum Tod von Horst Stern: Der erste Umweltjournalist | |
| > Horst Sterns TV-Reihe über Nutz- und Wildtiere war voller ökologischer | |
| > Sternstunden. Nun ist er im Alter von 96 Jahren gestorben. | |
| Bild: Die verletzte Integrität des Tieres und der Natur waren sein Thema: Hors… | |
| In den 1970er Jahren wurde er berühmt. Horst Stern, Journalist, | |
| Schriftsteller, Dokumentarfilmer, Umweltkämpfer und Moralist. Mit | |
| Reibeisenstimme, schiefer Lippe und gefurchter Stirn trat er gleich nach | |
| der Tagesschau vor die Fernsehkamera, berichtete über Schweine und Hühner, | |
| Hirsche und Gämsen, Spinnen und Schmetterlinge. | |
| „Sterns Stunden“, so der Titel der Sendereihe, waren Sternstunden für das | |
| Fernsehen. Die Einschaltquoten explodierten, die Post kam waschkörbeweise, | |
| die Jägerschaft lief Amok, Zuschauer fielen in Weinkrämpfe ob des gezeigten | |
| Tierleids. Typisch für Stern war der zurückgenommene Untertitel seiner | |
| Serie: „Bemerkungen über…“. Un-sensationeller geht es nicht. Dabei waren | |
| seine Sendungen über unsere Haus- und Wildtiere singuläre Glanzpunkte. | |
| Als Horst Stern 1970 seinen ersten Film „Bemerkungen über das Pferd“ | |
| drehte, war er alles andere als ein Fernsehprofi. Der 1922 in Stettin | |
| geborene, gelernte Bankkaufmann hatte nach seiner Rückkehr aus | |
| amerikanischer Gefangenschaft und einem kurzen Intermezzo als Dolmetscher | |
| der US- Armee vorwiegend für Printmedien gearbeitet. | |
| 1947 hatte er als Gerichtsreporter bei den „Stuttgarter Nachrichten“ | |
| begonnen, für die er in den 50er Jahren hinreißende Tiergeschichten | |
| schrieb. Dann folgten mehr als 50 Stücke für den Schulfunk, bevor er sich | |
| schließlich überreden ließ, doch mal ein, zwei Tiersendungen fürs Fernsehen | |
| zu drehen. | |
| ## Er hatte keine zoologischen Galanummern im Sinn | |
| Als klassische Tiersendungen sind seine 26 TV-Filme allerdings kaum zu | |
| bezeichnen. Verspielte Löwenkinder oder balgende Jungfüchse waren Sterns | |
| Sache nicht. Auch das Kopulationsverhalten des Nilpferds war ihm so fern | |
| wie der Todesbiss der Raubkatze in kunstvoll herbeigezoomte | |
| Antilopen-Rücken. | |
| Nein, Stern hatte keine zoologischen Galanummern im Sinn. Das Attribut | |
| „Tierfilmer“ empfand er sogar als Beleidigung. Stern wollte den Menschen | |
| als „luxurierendes, biologisch unangepasstes Wesen“, das er ist, mit dem | |
| Tier konfrontieren. Er wollte zeigen, wie wir die Schweine zur Sau machen, | |
| wie wir Wildtiere zur Massenexhibition ins Schaugatter zwingen und sie dort | |
| mit Keksen füttern. Die verletzte Integrität des Tieres und der Natur waren | |
| sein Thema. | |
| Seine Botschaft war einfach: Ein Huhn ist ein Lauftier und gehört nicht in | |
| den Käfig. Ein Rind ist ein Weidegänger und gehört nicht auf Spaltenböden. | |
| Und ein Pferd gehört nicht über 1,80 Meter hohe Oxer und | |
| Dreifach-Kombinationen gescheucht. | |
| Seine Sendungen waren ökologische Grundkurse, die auch jetzt noch in den | |
| Köpfen älterer Zeitgenossen herumspuken. Heute weiß jedes Kind, dass die | |
| industrielle Massentierhaltung pervers ist. Dies als Erfolg auch seiner | |
| Arbeit gelten zu lassen, fiel Horst Stern bis ins hohe Alter schwer. Er sah | |
| vor allem die Misserfolge, den unerträglichen Status quo, die „ermüdete | |
| Wahrheit“, die so oft schon ausgesprochen worden ist, dass längst keiner | |
| mehr hinhört. | |
| Dabei war Stern nicht mehr und nicht weniger als der erste richtige | |
| Umweltjournalist der Republik. Und bis heute einer der besten. Seine | |
| Fernseh-Nachhilfestunden machten ein breites Publikum mit dem Artensterben | |
| und dem Siechtum des Wald bekannt, mit Gentechnik-Größenwahn und dem Elend | |
| der Massentierhaltung. | |
| ## Stern wirkte vor der Kamera immer bekümmert | |
| Was ihm fehlte zum Fernsehstar, war die joviale Ausstrahlung eines Ranga | |
| Yogeshwar oder die Lässigkeit anderer, ewig gut gelaunter TV-Größen. Stern | |
| wirkte vor der Kamera immer bekümmert, als sei gerade die Hauskatze | |
| gestorben. Das eigentlich Großartige: Er machte keinerlei Versuche, einmal | |
| zu lächeln oder gar heiter rüber zu kommen. Er blieb authentisch schlecht | |
| gelaunt. | |
| Und er hat viele gute Gründe dafür, wie jede Sendung aufs Neue bewies. „Man | |
| rettet ja nicht den Wald, in dem man ‚Oh Tannenbaum‘ singt“, beschied er | |
| ausgerechnet an Heiligabend und mahnte, Hirsche und Rehe stärker zu | |
| bejagen! Empörte Zuschauer riefen an und forderten, man möge dieses | |
| „besoffene Schwein sofort aus dem Programm nehmen“. | |
| Nach seinem selbst gewählten abrupten Fernsehabschied gründete er 1980 das | |
| Umweltmagazin Natur, das er fünf Jahre lang mit großem Erfolg leitete. Doch | |
| am Ende verstrickte er sich, wie die Süddeutsche Zeitung schrieb, in die | |
| Widersprüche eines „hochglanzpolierten, werbefinanzierten, nach Auflage | |
| gierenden Blatts“. | |
| Stern befreite sich aus diesem Widerspruch und verließ die Zeitschrift. Sie | |
| erreichte nie wieder das Format der frühen Jahre. Mit seinem Rückzug als | |
| Natur-Herausgeber verließ Horst Stern auch den „Bettelorden der | |
| Naturschützer“ – er zog sich zurück, schrieb Romane, lebte zeitweise in | |
| einem ländlichen Domizil auf der irischen Insel. | |
| ## Selbstgewählte literarische Einsiedelei | |
| Viele seiner Mitstreiter waren damals verzweifelt, dass einer ihrer Besten | |
| kapitulierte und „einen Roman über einen alten Kaiser schrieb, wo es doch | |
| an allen Umweltfronten brannte“, so Hubert Weinzierl, langjähriger | |
| Vorsitzender des Bunds für Umwelt und Naturschutz und grüner Weggefährte | |
| Sterns. | |
| Weinzierls Gram war prototypisch für das Bedauern vieler Freunde über die | |
| selbstgewählte literarische Einsiedelei. Alle haben ihn vermisst: den | |
| glänzenden Mitverlierer so vieler Kämpfe um Flughäfen, Flüsse, Moore, | |
| Auwälder, Watten und Seen. | |
| Man möge ihn doch einfach in Ruhe lassen, soll Horst Stern grantelig und | |
| einsilbig diejenigen zurechtgewiesen haben, die ihn zu Talkshows einladen | |
| wollten. Stern, der Mitbegründer des Bunds für Umwelt- und Naturschutz, | |
| blieb zurückgezogen und lebte nach seiner irischen Auszeit seit dem Jahr | |
| 2000 wieder im bayerischen Passau, wo er in der vergangenen Woche im Alter | |
| von 96 Jahren gestorben ist. | |
| Horst Stern hat nicht mehr mitgespielt am Ende. Und doch werden ihm viele | |
| nachtrauern. Zumal es noch so viele Kämpfe zu verlieren gibt. | |
| 22 Jan 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Manfred Kriener | |
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