# taz.de -- Album von Fadosängerin Carminho: Der Moment ist die Grenze | |
> „Maria“, das neue Album der Lissabonner Fado-Sängerin Carminho, markiert | |
> eine Neuerfindung des Genres. Im März kommt sie nach Deutschland. | |
Bild: In Lissabon geboren, in der Welt zuhause: Carminho | |
Carminhos neues Album heißt: „Maria“. Und so lautet auch ihr echter Name: | |
Maria do Carmo Carvalho Rebelo de Andrade. Geboren ist sie 1984 in | |
Lissabon, Hafenstadt der sieben Hügel, dort, wo zu Beginn des 20. | |
Jahrhunderts der Fado als Gesang von Armen, Matrosen und Prostituierten | |
auch das bürgerliche Nachtleben eroberte. | |
Carminho hat ihr neues Album selbst produziert, zudem komponierte sie auch | |
fast alle Songs und schrieb die Texte. In der Frühzeit des Fado mussten die | |
fadistas ihre Dichter bezahlen – pro Lied. Und wenn sie Pech hatten, kaufte | |
eine Konkurrentin das gleiche Gedicht ein. Amália Rodrigues, Legende des | |
Fado im 20. Jahrhundert und Vorbild der nachfolgenden Interpretinnen, | |
präsentierte während ihrer internationalen Karriere auch eigene Gedichte, | |
blieb aber die Ausnahme – die meisten fadistas ließen schreiben. | |
Die aktuellen Stars der Fado-Musik gehen neue Wege, ohne falsche | |
Bescheidenheit. Carminho spielt auch E-Gitarre à la portuguese: gezupft. | |
Ihr Song „Estrela“ ist ein Liebeslied mit dahingetupften Fragen. Der | |
Auftakt des neuen Albums aber ist grandios, ein kraftvolles | |
A-cappella-Stück. | |
## Traumwandlerische Sicherheit | |
Ein bisschen klingt „Maria“ so, als ginge man auf eine lange Wanderung, | |
entlang einer Steilküste, geführt von einer Stimme, die eigentlich in eine | |
Kirche gehört und der die Gitarren den Weg ebnen, sie locken und stützen – | |
bis man dann oben auf dem Berg in Jubel ausbricht. Carminhos Stimme, ein | |
rauer Alt, öffnet sich manchmal in einer Tiefe, die eine Reife zeigt, ihrem | |
Alter weit voraus; heute hört man eine traumwandlerische Sicherheit in | |
Nuancen, die fast erschreckt. | |
Carminho beherrscht alle Register. Ein gelungener Fado klingt wie eine | |
Naturgewalt: Da bleibt kein Platz für Zweifel an der Echtheit dieses | |
Moments. Carminho hätte schon mit 24 Jahren berühmt werden können. Aber | |
damals ergriff sie die Flucht: „Ich hatte noch gar nichts zu sagen – | |
nichts, worüber ich singen konnte mit ganzem Herzen. Also bin ich auf | |
Weltreise gegangen. In Indien, in einem Hospiz, habe ich einen Tanz | |
zwischen Leben und Tod erlebt, der mich aufgeweckt hat. Ich wollte meine | |
Grenzen austesten und habe fest gestellt: Es gibt gar keine Grenzen! Der | |
Moment, der Augenblick ist die Grenze, sonst nichts.“ | |
Fado als Genre zelebriert den Moment, die Liebe, die Trauer und – die | |
Lebenserfahrung. Die alten fadistas werden verehrt. Carminho ist mit ihnen | |
aufgewachsen. Ihre Mutter, Teresa Siqueira, war Fado-Sängerin und führte | |
einen eigenen Fado-Club in Lissabon. „Ich singe Fado seitdem ich zehn bin, | |
aber eigentlich habe ich Fado schon im Mutterleib gelernt“, sagt Carminho. | |
In einem der schönsten Songs des Albums, „A mulher vento“ (Die Wind-Frau), | |
erzählt sie vom „kostbaren Schicksal der Sängerin“, die aber auch eine | |
Gefangene ist, einsame Gefährtin des Windes. Carminho singt, als wären zwei | |
Wesen in ihr zu Hause – eine uralte Frau und ein völlig freies, kleines | |
Kind, das ungestüm ins Leben drängt. Carminho mögen auch viele junge | |
Portugiesen, die eigentlich gar keinen Fado mehr hören wollen. Diese | |
„Wind-Frau“ klingt wie eine mutige, eigenwillige Freundin für alle | |
Lebenslagen, auch in den rauen Krisenzeiten der portugiesischen Wirtschaft, | |
die so viele dazu getrieben haben, ihr Land zu verlassen. | |
26 Jan 2019 | |
## AUTOREN | |
Gaby Sohl | |
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Clubmusik | |
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